Hamburg. Von „Dagobert“ über den „Kiez-Killer“ bis zum RAF-Terroristen – wo das SEK in Hamburg seit 50 Jahren zum Einsatz kommt.

Ein handschriftlicher Vermerk auf einem gelochten Zettel vom 6. November 1972 ist so etwas wie die Geburtsurkunde der Spezialeinheit der Hamburger Polizei. Vermerkt wurde dort vor 50 Jahren, dass die Einheit Mobiles Einsatzkommando, kurz MEK, heißen wird. In den Jahrzehnten danach folgten zahlreiche herausragende Einsätze, die oft mit „Jahrhundertfällen“ wie dem Kaufhauserpresser „Dagobert“ oder die Entführung von Jan Philipp Reemtsma zusammenhingen. Nach den Terroranschlägen vom 11. September, durchgeführt von der Terrorzelle um Mohammed Atta, der, wie mehrere Komplizen, in Hamburg wohnte, hat die Einheit noch einmal eine Aufwertung erhalten.

Technik und Ausrüstung wurden auf den modernsten Stand gebracht und werden ständig weiterentwickelt. Etwas tragisch für die Truppe, die mittlerweile unter dem Namen Spezialeinsatzkommando, kurz SEK, firmiert: Nach dem 11. September gab es zwar viele, aber wenige wirklich spektakuläre Einsätze mehr.

Polizei Hamburg: Die spektakulären Fälle des SEK

Es war das Fiasko auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck, der Befreiungsversuch, bei dem sämtliche Geiseln, Sportler der israelischen Olympiamannschaft, ein Polizist und fünf Terroristen getötet wurden, das der Grund für die Aufstellung der Spezialeinheit war. Jetzt feiert sie ihr Jubiläum. Ein halbes Jahrhundert wurde sie immer dann eingesetzt, wenn die Lage besonders „brenzlig“ war. Der Vorteil: In einem Stadtstaat wie Hamburg ist die Spezialeinheit schnell vor Ort. So galt die Hamburger Einheit schon immer bundesweit als besonders erfahren und gut.

Herausragend sind dabei die „großen Fälle“. Keine zwei Jahre nach der Gründung, im April 1974, musste sich die Spezialeinheit bewähren. Am Steindamm in St. Georg hatte Ingenieurstudent Emilio Humberto M. die dortige Commerzbank überfallen und bereits einen Polizisten erschossen. Als er gut zwei Stunden später aus der Bank kam, eine der sieben Geiseln mit Messer an deren Hals vor sich, die Mütze des getöteten Polizisten auf dem Kopf, erschoss ein Beamter der Spezialeinheit den Geiselnehmer. Es war ein Stück deutsche Polizeigeschichte. Zum ersten Mal war der „finale Rettungsschuss“ eingesetzt worden, um einen Täter zu töten.

Im Januar 1981 wurde Peter-Jürgen Boock, der damals zu den Top Ten der in Deutschland gesuchten RAF-Terroristen gehörte, von der Spezialeinheit in Wilhelmsburg verhaftet. Die Aktion verlief unspektakulär. Boock, der in Begleitung einer Frau war, ließ sich widerstandslos festnehmen.

Polizei Hamburg: "Kiez-Killer" und Entführungen

Im April 1986 nahmen Beamte der Spezialeinheit „Kiez-Killer“ Werner „Mucki“ Pinzner in dessen Wohnung an der Steilshooper Straße fest. Der Einsatz lief nicht wie geplant. Als Streifenpolizist „verkleidet“ hatte ein Beamter an der Tür von „Mucki“ geklingelt, um ihn auf die Straße zu locken. Er hatte behauptet, das Auto des Auftragsmörders sei angefahren worden. Doch Pinzner, nur mit einem Handtuch bekleidet, wollte nicht rausgehen. So wurde er kurzerhand an der Wohnungstür überwältigt.

Im Februar 1987 war die Spezialeinheit bei der Entführung des damals 14-jährigen Nico Meiss eingebunden. Die Beamten führten nach einer gescheiterten Geldübergabe eine zweite Geldübergabe durch, die wie eine „Schnitzeljagd“ ablief. Der Täter konnte mit dem Geld flüchten. Er ließ den Jungen frei. Später wurde der Mann in Spanien verhaftet.

Polizei Hamburg jagt den Kaufhauserpresser „Dagobert“

Nach der Explosion einer Bombe im Juni 1992 bei Karstadt „Mö“ begann einer der langwierigsten Einsätze der Spezialeinheit. Fast zwei Jahre lang jagten die Beamten Kaufhauserpresser „Dagobert“. Zahlreiche Geldübergaben wurden durchgeführt. An Geld kam „Dagobert“ nie. Der Erpresser entging den Beamten aber immer, wenn auch manchmal nur knapp. Im April 1994 wurde er in einer Telefonzelle in Berlin-Treptow festgenommen, von wo aus er die nächste Geldübergabe forderte.

Wie „Dagobert“ gilt auch die Entführung von Jan Philipp Reemtsma als Jahrhundertfall. Der Millionär wurde im März 1996 aus seinem Arbeitshaus in Blankenese verschleppt. Zwei gescheiterte Geldübergaben in Hamburg und Trier sowie die erfolgreiche Übergabe in Krefeld wurden von Beamten der Spezialeinheit begleitet. Reemtsma kam nach 33 Tagen Gefangenschaft frei. Die Täter, Thomas Drach und zwei Handlanger, wurden in den Jahren danach festgenommen.

Im Fall der Erpressung von Michael Otto nimmt die Einheit den Täter im Zug fest

Eine Patrone mit seinem Namen drauf – das war das i-Tüpfelchen bei der Erpressung von „Versandhauskönig“ Michael Otto im Januar 1997. Die Geldübergabe erfolgte aus einem Nahverkehrszug in Richtung Lübeck. Beamte der Spezialeinheit nahmen dabei den Täter fest.

Im Juni 1997 beendeten Beamte der Hamburger Spezialeinheit in Lübeck eine Geiselnahme in der dortigen Haftanstalt. Ein Gefangener hatte die Anstaltspsychologin als Geisel genommen. Als er in einem Fluchtwagen aus dem Tor fuhr, stoppten die Beamten das Fahrzeug und nahmen den Täter fest.

Es war die bislang letzte „richtige“ Entführung, die im Juni 1998 von Beamten der Spezialeinheit beendet wurde: Damals hatten die Täter Hotelierssohn Bodo Janssen verschleppt. Beamte der Spezialeinheit lokalisierten die Täter und schließlich eine Wohnung in den Grindelhochhäusern. Dort wurde das Entführungsopfer befreit.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, bei denen gekaperte Passagierflugzeuge von islamistischen Terroristen in das World Trade Center und das Pentagon gelenkt wurden, führte die Spur nach Hamburg. Zahlreiche Wohnungen, vor allem von Unterstützern der „Selbstmordpiloten“, wurden von der Spezialeinheit gestürmt.

SEK: Hier kommt die Spezialeinheit zum Einsatz

In den Jahren danach gab es keine „Jahrhundertfälle“ mehr. Erpresser lassen sich heute in Bitcoin, nahezu unverfolgbar über das Internet, bezahlen. Es werden nicht mehr Menschen entführt, sondern wichtige Daten verschlüsselt, für die es gegen Lösegeld das Passwort gibt. Das SEK wird aktuell immer dann eingesetzt, wenn die Situation besonders schwierig ist oder scharfe Schusswaffen im Spiel sind.

Besondere Einsätze, wie die Zerschlagung der Marek-Bande, die den Kiez dominierte, die Festnahme des Schwerkriminellen Thomas Wolf im Mai 2009 auf der Reeperbahn oder die Abschiebung des Terrorhelfers Mounir El Motassadeq im Oktober 2018 waren spektakulärere Einsätze. Die Einsatzlagen, auf die sich die Spezialeinheit heute vorbereitet und für die sie ausgerüstet ist, sind hauptsächlich Amok- oder Terrorlagen.