Hamburg. Betriebsversammlungen und große Demo sorgen für eingeschränkte Betreuung. Personalmangel könnte „fatale Wechselwirkung“ auslösen.
Für viele Hamburger Eltern von kleineren Kindern dürfte diese Woche mit einer Herausforderung beginnen: Etliche Träger von Kindertagesstätten und Nachmittagsbetreuung an Grundschulen (GBS) werden am Dienstag Betriebsversammlungen abhalten, und im Anschluss werden Tausende Beschäftigte direkt weiterziehen zu einer großen Demonstration in der Innenstadt. In vielen der gut 1100 Kitas und an etlichen Grundschulen wird es daher ab Mittag nur eine eingeschränkte Kinderbetreuung geben.
Auf der anderen Seite sind es die Eltern selbst, vertreten durch den Landeselternausschuss LEA, die zusammen mit Gewerkschaften, dem Kita-Netzwerk Hamburg und anderen Organisationen zu dieser Demo aufrufen, die um 17.30 Uhr am Bahnhof Dammtor beginnen soll. „Wir sind ausgebrannt – Beschäftigte Hamburger Kitas sind am Belastungslimit!“, lautet das Motto der Veranstaltung.
Demo in Hamburg: Es fehlen 4000 bis 6200 Fachkräfte in Kitas
Die Gewerkschaft Ver.di verweist darauf, dass sie im Rahmen einer bundesweiten Befragung festgestellt habe, dass in Deutschland 173.000 Fachkräfte fehlen, darunter 4000 in Hamburg. Knapp 41 Prozent der in der Hansestadt befragten Beschäftigten gaben demnach an, dass sie zeitweise für mehr als 17 Kinder gleichzeitig verantwortlich sind. Gut ein Drittel der Fachkräfte hatte das Gefühl, seinen eigenen pädagogischen Ansprüchen nicht gerecht werden zu können.
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Dieser Befund wurde kürzlich durch den „Ländermonitor“ der Bertelsmann Stiftung untermauert, wonach im 2023 in Hamburg sogar rund 6200 Fachkräfte fehlen werden. Die Autoren haben dabei allerdings bereits die steigende Nachfrage nach Kita-Plätzen ebenso mit eingerechnet wie die wissenschaftlichen Empfehlungen, wonach in Krippengruppen (unter drei Jahre) maximal drei Kinder auf eine Fachkraft kommen sollten und in Elementargruppen (ab drei Jahre) maximal 7,5.
Betreuungsschlüssel in Hamburg verbessern sich seit Jahren
Die Autoren attestieren Hamburg durchaus, dass es auf dem richtigen Weg ist: Demnach haben sich die Personalschlüssel im Elementarbereich seit 2014 von 1 zu 8,7 auf 1 zu 7,6 verbessert, sind also nah am Ideal. Auch in den Krippengruppen wurde die Personalausstattung von 1 zu 5,1 auf 1 zu 4,1 angehoben. Das ist allerdings noch relativ weit von der Empfehlung 1 zu 3 entfernt, was den in der Studie errechneten hohen Personalbedarf erklärt. Hamburg selbst hat sich ein Verhältnis von 1 zu 4 zum Ziel gesetzt.
Das Fazit der Studie liest sich aus Hamburger Sicht ernüchternd: „Eine fatale Wechselwirkung erschwert die Gewinnung neuer Fachkräfte und auch die Bindung des vorhandenen Personals an das Berufsfeld“, heißt es. Zu wenig Personal verschlechtere nicht nur die Qualität der Bildung, sondern auch die Arbeitsbedingungen, was es erschwere, vorhandene Mitarbeiterinnen im Beruf zu halten. Dieser „Teufelskreis“, so die Autoren, könne nur durchbrochen werden, wenn die Politik langfristige für eine bessere Personalausstattung sorge.
Gewerkschaft und Opposition fordern: Senat muss für mehr Personal sorgen
Michael Stock, Kita-Experte bei Ver.di in Hamburg, schließt sich dieser Forderung an. „Es ist nur zu verständlich, dass die Kita-Beschäftigten auf die Straße gehen, sie sind längst mit ihren Kräften am Limit.“ Es brauche dringend ein Lösung. So sieht es auch Insa Tietjen von der Links-Fraktion in der Bürgerschaft: Der Senat müsse „endlich spürbare Maßnahmen ergreifen“.
Doch in der Sozialbehörde sieht man die Einschätzungen der Studie und von Ver.di kritisch. „Wir gehen einem zusätzlichen Fachkräftebedarf von rund 1000 Personen in den kommenden Jahren aus“, sagte Behördensprecher Martin Helfrich. Den Verweis auf viele unbesetzte Stellen könne man nicht nachvollziehen: So seien bei Hamburgs größtem Träger Elbkinder von knapp 5000 pädagogischen Stellen nur 149 oder 3,0 Prozent unbesetzt.
Krankenstand bei den Elbkindern liegt bei fast 15 Prozent
Dem städtischen Unternehmen zufolge war allerdings der Krankenstand von Januar bis September mit durchschnittlich 14,68 Prozent höher als im letzten Vor-Corona-Jahr 2019, als er bei 12,43 Prozent lag. „Durch den vergleichsweise hohen Krankenstand in diesem Jahr, bedingt durch die Corona-Wellen, nachgeholte Operationen und außerdem durch die in Krankheitszeiten aufgestauten und nachzuholenden Urlaube, kam es in den Kitas und GBS-Standorten zu einer höheren Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden“, räumt Elbinder-Sprecherin Katrin Geyer ein. „Hinzu kommt, dass vakante Stellen oft nicht zügig und oder adäquat nachzubesetzen waren und sind.“
Sowohl die Elbkinder als auch die Sozialbehörde betonen aber, dass sie bereits eine ganze Reihe an Maßnahmen ergreifen, um Fachkräfte zu gewinnen. „Einsatz gut ausgebildeter italienischer Fachkräfte; Gewinnung von Fachkräften aus der Ukraine; Zusammenarbeit mit Fachschulen; Präsenz auf Fachmessen und Jobbörsen; Einsatz von Quereinsteigern und Auszubildenden in der Beruflichen Weiterbildung“, listen die Elbkinder auf. Zudem werde mit „guten Arbeitgeberleistungen“ geworben, etwa Jahressonderzahlungen, Anwesenheitsprämien, betriebliche Altersvorsorge, HVV-Jobticket und mehr.
Sozialbehörde: Nie zuvor wurden so viele Pädagoginnen in Hamburg ausgebildet
Die Sozialbehörde verweist zudem auf die deutlich erhöhten Ausbildungskapazitäten. Die Zahl der Absolventen sei heute höher als je zuvor: Im vergangenen Jahr hätten 1850 junge Menschen ihre Aus- oder Weiterbildung in sozialpädagogischen Berufen abgeschlossen – rund 700 mehr als vor zehn Jahren. Richtig sei aber auch, dass Fachkräfte gesucht würden.