Hamburg. Der Rechtsanspruch lässt sich laut Zahlen der Bertelsmann-Stiftung nicht erfüllen. Die Arbeitsagentur will Abhilfe schaffen.
Trotz des massiven Ausbaus in den vergangenen Jahren fehlen in Hamburg nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung im kommenden Jahr 3700 Kita-Plätze. Für deren Betreuung müssten rund 1000 Fachkräfte zusätzlich eingestellt werden. Das „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme 2022“, das die Stiftung jetzt veröffentlicht hat, weist auch für Schleswig-Holstein und Niedersachsen fehlende Kita-Plätze aus. Die Berechnungen fußen auf einer weiteren Studie, die das Deutsche Jugendinstitut (DJI) veröffentlich hat.
In der bundesweiten Untersuchung aus dem Jahr 2021 waren Eltern von bis zu zehn Jahre alten Kindern gefragt worden, welche Betreuung sie sich für ihr Kind an welchen Tagen und in welchem Umfang wünschen. Die Antworten waren entsprechend der Verteilung der Kinder und der Altersstruktur in den Ländern gewichtet worden. Das Ländermonitoring hat die tatsächliche Kinderbetreuungsquote mit dem Betreuungswunsch der Eltern abgeglichen und so den Bedarf ermittelt.
Im Krippenbereich fehlen in Hamburg besonders viele Kita-Plätze
Danach wünschten sich im vergangenen Jahr 53 Prozent der befragten Eltern für ihr Kind unter drei Jahren eine Betreuung, aber nur 47 Prozent der unter Dreijährigen besuchten zu der Zeit in Hamburg tatsächlich eine Kita. Die Differenz von sechs Prozentpunkten ergibt rechnerisch einen Bedarf von 3200 zusätzlichen Kita-Plätzen. Für die Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen gibt die Bertelsmann-Studie eine Lücke von zwei Prozentpunkten an, was 500 Kita-Plätzen entspricht. „Der Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung kann bis 2023 nicht für alle Kinder mit Bedarf erfüllt werden“, lautet das Fazit der Studie.
Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) widerspricht. „Der Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung wird in Hamburg umgesetzt. Für alle steht eine Betreuung zur Verfügung, fünf Stunden pro Tag inklusive Mittagessen sogar für alle Eltern kostenfrei“, sagt Leonhard. „Falls jemand keinen Platz finden sollte, helfen wir konkret – dafür stehen bei Bedarf die Bezirksämter mit dem Kitaplatz-Nachweisverfahren zur Verfügung.“
Bertelsmann-Stiftung: Auch Personalschlüssel in Hamburgs Kitas mangelhaft
Laut Behörde kann nicht jeder Wunsch von Eltern nach einer bestimmten Kita mit einer speziellen Ausrichtung zum Beispiel bei der Ernährung oder unmittelbar im Wohnortstadtteil garantiert werden. Wenn es aber einen erheblichen Platzmangel gäbe, müsste das an den offenen Verfahren für einen Platznachweis ablesbar sein. Nach Angaben der Sozialbehörde waren im April 2022 aber lediglich 25 offene Platznachweisverfahren in Bearbeitung. Auch die DJI-Studie räumt ein, dass die Antworten der Eltern keine Rückschlüsse darauf zulassen, ob sie ihren gewünschten Betreuungsbedarf auch den zuständigen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe angezeigt haben.
Bei den im Ländermonitoring erhobenen Daten zu Teilhabe, Gruppengröße und Personalschlüssel in der Kindertagesbetreuung schneidet Hamburg überwiegend gut ab. Danach hat sich die Zahl der Kinder unter drei Jahren von 2014 bis 2021 um 6245 auf 28.184 erhöht. Die Teilhabequote von 47 Prozent liegt deutlich über dem Bundesschnitt von 34 Prozent. Bei den Drei- bis Sechsjährigen liegt der Hamburger Wert von 95 Prozent knapp über dem Bundesschnitt (92 Prozent).
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Die Personalschlüssel für die unterschiedlichen Altersgruppen und Betreuungsarten liegen in Hamburg unter den wissenschaftlich empfohlenen Relationen. Lediglich bei den Kindergartengruppen der ab Dreijährigen liegt in der Mehrheit der Fälle der Schlüssel mit 1:7,6 nahe beim empfohlenen Wert von 1:7,5. „Im bundesweiten Vergleich der Personalschlüssel liegt Hamburg im Mittelfeld“, lautet das Fazit der Studie. Dabei habe sich die personelle Ausstattung seit 2014 verbessert: von 1:5,1 auf 1:4,1 bei den Krippengruppen und von 1:8,7 auf 1:7,6 bei den Kindergartengruppen.
Viele Kindergartengruppen zu groß
Moniert wird allerdings die Gruppengröße. „Insbesondere ein erheblicher Anteil der Kindergartengruppen ist zu groß (66 Prozent)“, schreiben die Autorinnen. Wissenschaftliche Empfehlungen sehen Gruppengrößen von zwölf Kindern für die jüngeren und von 18 Kindern für die älteren vor. In Hamburg werden diese Werte insgesamt bei 62 Prozent der amtlich erfassten Kita-Gruppen nicht erreicht – bundesweit sind es 52 Prozent.
Acht Prozent der 17.981 in Kitas Beschäftigten verfügen über einen einschlägigen Hochschulabschluss (bundesweit: sechs Prozent). Über einen einschlägigen Berufsfachabschluss zum Beispiel als Sozialassistentin verfügen 19 Prozent der Mitarbeitenden (Bund: 14 Prozent). „Differenziert man die Entwicklung … zwischen 2016 und 2021 nach Qualifikationsniveau, zeigt sich ein deutlicher Anstieg der Personen ohne fachlich einschlägige Ausbildung“, heißt es in der Studie. Ihr Anteil habe sich mehr als verdoppelt. Der Anteil des Personals ohne Berufsabschluss sei jedoch um 14 Prozent gesunken, während er bundesweit um 23 Prozent angestiegen sei.
Kita-Personal fehlt
Die Sozialbehörde verweist auf den deutlichen Platzausbau im Zuge des Bevölkerungswachstums. „In den vergangenen zehn Jahren sind fast 300 Kitas in Hamburg hinzugekommen, und mehr als 28.000 Kinder zusätzlich sind in die Betreuung gekommen“, sagt die Sozialsenatorin. Derzeit besuchten mehr als 80.000 Kinder die Kitas. Auch die Qualität der Kinderbetreuung habe deutlich zugenommen.
„Das sieht man auch an dem verbesserten Personalschlüssel. Klar ist: Bei einer wachsenden Bevölkerung und immer mehr Kindern brauchen wir auch künftig viele gute Kitas – und deswegen auch immer mehr Fachkräfte“, sagte Leonhard. Die Autorinnen der Studie haben ausgerechnet, wie teuer es wäre, sollten tatsächlich 1000 zusätzliche Fachkräfte benötigt werden: Allein die Personalkosten schlügen mit 43,7 Millionen Euro zu Buch. Bau- und Betriebskosten für neue Kitas kämen hinzu.
Kita Hamburg: Defizit im nächsten Jahr noch größer
Laut dem Bertelsmann-Ländermonitoring fehlen in Schleswig-Holstein im kommenden Jahr sogar 18.100 Kitaplätze. Um die angebliche Nachfrage zu decken, müssten 4500 zusätzliche Fachkräfte eingestellt werden – Mehrausgaben in Höhe von 210 Millionen Euro. Wie in Schleswig-Holstein und Hamburg ist auch in Niedersachsen das Kita-Angebot massiv ausgebaut worden.
Doch auch beim südlichen Nachbarn der Hansestadt prognostiziert die Studie ein Defizit für 2023: Nach den Berechnungen sollen in Niedersachsen 45.500 Kitaplätze fehlen. In dem Flächenland müssten 12.000 Fachkräfte zusätzlich eingestellt werden, um eine adäquate Versorgung zu gewährleisten. Kosten: mehr als 543 Millionen Euro.