Hamburg. Oussama Y. soll Stimmen gehört haben, als er seine Partnerin angriff. Sie überlebte – und traf ihn auf der Flucht.

Nachdem er seiner Partnerin mit dem Messer in den Hals gestochen, sie lebensgefährlich verletzt hatte und nackt vom Tatort geflüchtet war, setzte sich Oussama Y. nach Frankreich ab. Obgleich die 22 Jahre alte Malina N. (Name geändert) dem Tod gerade so eben von der Schippe gesprungen war, riss der Kontakt nicht ab. Der Täter und das Opfer telefonierten regelmäßig, und zwischendurch trafen sie sich auch – so erzählt es Oussama Y. Ein Stück scheinbare Normalität in einer Situation, die alles, aber nicht normal war.

Vielleicht wäre es weiter so gelaufen, wäre es sechs Monate nach der Bluttat, im Mai dieses Jahres, Hamburger Zielfahndern nicht gelungen, den international gesuchten Mann in Kooperation mit französischen Kollegen in Paris zu verhaften.

Oussama Y.: „Ich liebe meine Frau noch immer“

Von Frankreich nach Frankfurt und dann nach Hamburg überstellt, steht Oussama Y. seit Mittwoch vor dem Landgericht, wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Er sagt: „Ich liebe meine Frau noch immer.“ Der 27-Jährige, ein schlanker Mann im weißen Hemd, schweigt zum Tatvorwurf. Eine Tat von äußerster Brutalität, begangen womöglich im Wahn – und der eine Flucht folgte, die das Prädikat kurios verdient.

Der Mann, der später im Gericht angibt, dass nie eine Schizophrenie oder irgendeine andere psychische Erkrankung bei ihm diagnostiziert worden sei, soll am späten Abend des 29. Oktober 2021 „Stimmen“ gehört haben, wie er seiner Freundin auf dem Balkon der elterlichen Wohnung in Bramfeld sagte. Hier lebte das Paar mit der vier Jahre alten Tochter.

Tochter hat ihre blutende Mutter gesehen

Oussama Y. soll laut Schubladen und Schränke durchwühlt haben, so die Anklage. Als er immer lauter wurde, bat seine Freundin ihn, aus Rücksicht auf die schlafende Tochter leiser zu sprechen. In dieser „wahnhaften Situation“, so die Staatsanwältin, stach er ihr mit seinem Messer in den Hals, die Schlagader verfehlte er nur um Millimeter. Als Malina N. ihm in die Wohnung folgte, griff der Täter sie ein zweites Mal an. Da versetzte er ihr Stiche in den Bauch, in die Rippen und in die linke Achselhöhle.

Das Opfer kam schwer verletzt ins Bundeswehrkrankenhaus.
Das Opfer kam schwer verletzt ins Bundeswehrkrankenhaus. © HA | Michael Arning

Die Tochter, inzwischen aufgewacht, und ihre stark blutende Mutter flohen in den Hausflur. Nachbarn retteten sie. Ihre verschlossene Wohnungstür stoppte den tobenden Oussama Y., der seiner Partnerin weiter nachstellte. Schließlich entledigte sich der 27-Jährige seiner Kleidung, schmiss das Tatmesser weg, türmte nackt über die angrenzenden Dächer und flüchtete schließlich bis nach Frankreich, wo einer seiner fünf Brüder lebt.

Malina N. hatte erhebliche Leberverletzungen erlitten und musste notoperiert werden. Sie überlebte, aber es war knapp.

2017 wurde Oussama Y. abgeschoben, 2020 kehrte er zurück

Auch wenn Oussama Y. „zur Sache“ selbst nichts sagen will, so gewährt er doch einen tieferen Einblick in seine Lebensumstände. Geboren in Algier, aufgewachsen in einem Haushalt mit sechs Geschwistern, verließ er nach neun Jahren die Schule ohne Abschluss und arbeitete zunächst zwei Jahre im Automobil-Bereich. 2014 machte er sich, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, auf den Weg nach Europa. Zu Fuß durchquerte er unter anderem die Türkei, Griechenland und Ungarn, bevor er ein Jahr später in Wien als Reinigungskraft in einem Restaurant etwas Geld verdiente. Dort lernte er auch die damals noch minderjährige Malina N. kennen. 2016 besuchte er die junge Frau in Hamburg -- und hier blieb er erst einmal.

Ende 2017 kam ihre Tochter zur Welt, im selben Jahr wurde er wegen eines Drogendelikts nach Algerien abgeschoben. Dann lebte er mit seiner Partnerin einige Zeit in Paris; 2020 kehrte Oussama Y. nach Hamburg zurück und fand mit Malina­ N. in deren elterlicher Wohnung in Bramfeld eine Bleibe. 2018 habe er seine Freundin in Algerien geheiratet, erzählt Oussama Y. Sollte diese Heirat in Deutschland anerkannt sein, könnte Mali­na N. im Zeugenstand wohl die Aussage verweigern. Die Anklage spricht jedoch von ihr lediglich als „Lebensgefährtin“.

Gras, Kokain, Haschisch und Ecstasy: Drogenproblem

Viele der Fragen des Gerichts drehen sich um die Drogensucht des Angeklagten, der wenig ausließ, um sich zu betäuben. Er habe täglich Haschisch geraucht, sagt der 27-Jährige, etwa drei bis vier Gramm – was eine enorme Menge ist. Außerdem Kokain und Alkohol am Wochenende, dazu noch Ecstasy-Tabletten, etwa drei Stück pro Woche. Ob der Konsum auch mit der mutmaßlichen Tat in Verbindung steht? Das Gericht bringt am Mittwoch kurz einen Befund in den Prozess ein, aus dem hervorgeht, dass der Angeklagte zur Tatzeit Kokain im Blut hatte. Zudem begleitet ein psychiatrischer Sachverständiger die Hauptverhandlung.

Finanziell kam das Paar, das sich nach Angaben des Angeklagten zum muslimischen Glauben bekennt und auch arabisch miteinander sprach, offenbar irgendwie über die Runden: Oussama Y. arbeitete – schwarz – in Hamburg als Reinigungskraft, verdiente etwa 600 bis 700 Euro im Monat; Malina N. bezog Hartz IV. Auf die Nachfrage des Vorsitzenden Richters, ob es auch zu Handgreiflichkeiten gekommen sei, sagt Oussama Y. „Wir hatten Streit, aber das ist normal.“ Einmal, das war im Sommer 2021, habe er sie geschlagen. „Aber sie hatte mich vorher gewürgt. Ich konnte kaum atmen.“

Polizei vor dem Haus an der Stefan-Zweig-Straße, in dem die 22-Jährige von ihrem Freund niedergestochen wurde.
Polizei vor dem Haus an der Stefan-Zweig-Straße, in dem die 22-Jährige von ihrem Freund niedergestochen wurde. © HA | Michael Arning

Oussama Y.: „Ich habe kein Leben mehr und keine Zukunft“

Als der Richter fragt, wie es jetzt um die Beziehung bestellt sei, wischt er sich mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen. Nach der Festnahme und der Aussicht auf eine lange Gefängnisstrafe habe sich Malina N. von ihm getrennt. „Ich liebe sie noch immer“, so Oussama Y. „Ich habe einen Fehler gemacht.“ In der U-Haft habe er Briefkontakt zur Mutter seines Kindes, sie besuche ihn auch. „Ich habe kein Leben mehr und keine Zukunft“, sagt er. Der Prozess wird fortgesetzt.