Hamburg. Die Justizsenatorin und die Osterburg-Affäre – eine politisch-moralische Gratwanderung. Gallina räumt Teilnahme an Hummeressen ein.
Es gibt Bilder, die Politiker oder Politikerinnen nicht wieder loswerden können. Manche werden sich noch erinnern, dass sich der damalige SPD-Bürgermeisterkandidat Thomas Mirow im Wahlkampf 2003/2004 auf einem Bobbycar fotografieren ließ. Der intellektuelle Politiker in Anzug und Krawatte wirkte etwas lächerlich und unglücklich auf dem kleinen Kinderspielzeug. Unglücklich war letztlich auch der Wahlkampf für die SPD, die CDU holte mit Bürgermeister Ole von Beust die absolute Mehrheit.
Unvergessen ist die Fotostrecke in der Zeitschrift „Bunte“, die den damaligen Ersten Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) und seine Frau im Wahlkampf 2011 in feierlicher Robe und beinahe barocker Pracht im Nobelhotel Vier Jahreszeiten zeigt. Das kam im nüchternen Hamburg nicht gut an, und Ahlhaus war bald nicht mehr Bürgermeister.
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Geradezu berühmt ist die Bilderfolge, die den damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) im Pool planschend mit seiner damaligen Freundin, Kristina Gräfin Pilati, im Sommer 2001 auf Mallorca zeigte, während sich die Bundeswehr auf ihren ersten Kampfeinsatz auf dem Balkan vorbereitete. Scharpings Ministerimage war ramponiert.
Von ähnlich suggestiver Kraft ist die Vorstellung, Justizsenatorin und Grünen-Landesvorsitzende Anna Gallina habe mit ihrem damaligen Partner Michael Osterburg im Mai 2017 in einem edlen Restaurant auf der Mittelmeerinsel Malta Hummer gegessen, nachdem sie kurz zuvor an Bord der „Sea Eye“ noch sehr medienwirksam versucht hatte, Flüchtlinge aus dem Libyschen Meer zu retten. „Wasser für Flüchtlinge – Hummer für grüne Landesvorsitzende?“, fragte die CDU in einer Mitteilung nach Bekanntwerden des Vorgangs am Mittwoch und machte so die moralische Fallhöhe deutlich. Der entscheidende Unterschied zu Scharping und anderen: Es gibt keine Fotos von der maltesischen Tafel.
Der Druck wurde für die Justizsenatorin zu groß
Dafür gibt es einen Bewirtungsbeleg. Laut Staatsanwaltschaft befindet sich das Schriftstück unter den mehreren Tausend Dokumenten, deren Beträge der frühere Grünen-Politiker Osterburg über die Grünen-Fraktion in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte, deren Vorsitzender er war, im Zeitraum 2014 bis 2019 abgerechnet haben soll. Auf 250 Euro soll sich die Rechnung belaufen. Ob Gallina an dem Essen teilgenommen hat, war zunächst nicht bekannt. Dazu sagte die Staatsanwaltschaft nichts, und sowohl Osterburg als auch Gallina schwiegen.
Doch für die Senatorin wurde der Druck dann doch zu groß. Am späten Freitagnachmittag, nach zahlreichen innergrünen Krisen- und Abstimmungsgesprächen, räumte die Senatorin ihre Teilnahme ein. „Ich kann mich an einen Restaurantbesuch mit mehreren Personen einige Tage nach Rückkehr aus dem Einsatzgebiet erinnern, bei dem von anderen Hummer bestellt wurde. Ich selbst esse keinen Hummer“, erklärte Gallina. Es tue ihr leid, dass rund um den humanitären Einsatz im Mittelmeer in der Öffentlichkeit ein so negativer Eindruck entstanden sei. „Ich habe Verständnis dafür, dass ein solches Essen Irritationen und Empörung bei den Menschen hervorruft. Dafür möchte ich mich ausdrücklich entschuldigen. Ich war auf Malta, um Menschen zu helfen, die in schreckliche Not geraten sind. Dieses Engagement ist seit Jahren Kern meiner politischen Arbeit und darüber hinaus.“
Im Übrigen, so Gallina, bleibe es dabei, dass sie sich als Justizsenatorin öffentlich nicht zu Fragen äußern könne, die das Ermittlungsverfahren gegen Osterburg betreffen. „Ich bin überzeugt davon und wünsche mir persönlich dringend, dass der Sachverhalt strafrechtlich aufgearbeitet wird“, so die Senatorin. Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Osterburg wegen des Verdachts der Untreue. Die Anklagebehörde ermittelt nicht gegen Gallina, die als Justizsenatorin pikanterweise deren Dienstvorgesetzte ist. In Betracht kommt allerdings die Befragung Gallinas als Zeugin, was auch zunehmend wahrscheinlicher wird, erst recht nach ihrer Einlassung vom Freitag. Erst ging es um diverse Abrechnungen aus einem italienischen Restaurant in Eimsbüttel, wobei Osterburg als Bewirtungsgäste Politiker und Journalisten angegeben hat, die nie mit ihm essen waren. Stattdessen kann sich der Wirt erinnern, dass Osterburg häufig in Begleitung Gallinas kam, die damals noch ein Paar waren.
War Gallina immer dabei und wusste sie von den „Bezahlungsmodalitäten“ Osterburgs?
Dann ging es um einen viertägigen Aufenthalt auf Mallorca, für den der Grünen-Fraktion in Hamburg-Mitte von Osterburg 4000 Euro in Rechnung gestellt worden sein sollen. Und nun Malta und bei allem zwei Fragen: War Gallina immer dabei und wusste sie von den „Bezahlungsmodalitäten“ Osterburgs oder ahnte sie etwas?
Was das Hummer-Essen auf Malta angeht, überließ Gallina Grünen-Bürgerschaftsfraktionschef Dominik Lorenzen die Erklärung. „Anna Gallina hat uns intern versichert, dass sie keine Kenntnisse über die spätere Verwendung der Restaurantquittung hatte“, teilte Lorenzen mit und fügte gleich eine Ehrenerklärung für seine Parteifreundin an: „Jeder, der Anna Gallina kennt, weiß, dass sie eine integre Persönlichkeit ist, der es um die Sache geht.“
Dabei gilt ganz grundsätzlich: Wenn Gallina etwas von den Machenschaften ihres Ex-Partners wusste oder ahnte, hätte sie nie Senatorin werden dürfen, weil sie sich unter Umständen selbst strafbar gemacht hätte. Bei der Wahl in den Senat im Juni dieses Jahres lief das Ermittlungsverfahren gegen Osterburg bereits. Allen Beteiligten bei den Grünen und dem Koalitionspartner SPD war also das Risiko ihrer Wahl bewusst. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bestand vor der Berufung Gallinas in den Senat auf einer Klarstellung. Gegenüber der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) soll Gallina gesagt haben, sie habe keine Ahnung von Osterburgs Machenschaften gehabt.
Die Affäre belastet zunehmend die rot-grüne Koalition
Nun werden sich Gallinas Besuche mit Osterburg beim „Italiener um die Ecke“ vermutlich kaum bestreiten lassen. Eine andere Qualität haben die Mallorcareise und das Hummer-Dinner auf Malta, die zudem nicht entfernt etwas mit der Tätigkeit eines Fraktionschefs in Hamburg-Mitte zu tun haben. Auch wenn Gallina selbst keinen Hummer gegessen hat, so bleibt die Teilnahme an dem Essen doch eine politische Instinktlosigkeit. In diesen Dingen sind die Grünen durchaus puritanisch. Gallina dürfte noch einmal blankes Unverständnis bei den Parteifreunden ernten – und nicht nur dort. Ein nicht unbedeutender Sozialdemokrat formuliert es drastisch: Er spricht sogar von einem „moralischen Offenbarungseid“ der Justizsenatorin.
Seit Monaten begründet die Senatorin ihr öffentliches Schweigen in der Causa Osterburg damit, dass sie nicht in das laufende Ermittlungsverfahren eingreifen wolle. Überzeugen kann diese Position nicht, denn keine Rechtsnorm hindert sie, sich zu äußern. Und sie ist ja nun auch davon abgerückt. Im Gegenteil: Durch die im Unklaren belassene Situation und weitere drohende „Enthüllungen“ beschädigt sie zunehmend ihr Amt und belastet die rot-grüne Koalition.
Die Affäre um ihren Ex-Partner ist zum beherrschenden Thema ihrer Amtszeit geworden. Und auch wenn die beinahe regelmäßigen Durchstechereien aus den Ermittlungsakten nicht vorhersehbar waren, auszuschließen waren sie keinesfalls. Eine einfache Überlegung zeigt die Schwäche der Senatorin: Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich kann sich jederzeit die Akte Osterburg vorlegen lassen und zum Beispiel die Anhörung Gallinas als Zeugin anordnen oder die Ermittlungen in die eine oder andere Richtung vorantreiben. Auch wenn das sehr unwahrscheinlich ist, allein die Möglichkeit schränkt die Amtsautorität der Senatorin stark ein.
Aus der SPD wächst der Druck, Gallina solle sich möglichst schnell öffentlich zu den gesamten Vorwürfen gegen Osterburg erklären und die Spekulationen damit möglichst beenden. Allerdings agieren die Sozialdemokraten nicht öffentlich, schließlich haben sie mit der „Party-Affäre“ von Innensenator Andy Grote einen Fall individueller Unzulänglichkeit in den eigenen Reihen. Aber auch bei den Grünen dürfte die Neigung schwinden, mit den Ungewissheiten, die sich aus dem Ermittlungsverfahren ergeben, noch lange zu leben. In zehn Monaten ist schließlich Bundestagswahl.