Hamburg. Michael Batz hat die NS-Historie eines Hauses an der Rothenbaumchaussee aufgeschrieben. Heute werden Stolpersteine gesetzt.

Michael Batz verzaubert den Hamburger Hafen regelmäßig mit blauem Licht. Doch er bringt auch Licht ins Dunkel der Vergangenheit: Sieben Jahre lang hat er die Geschichte des Hauses an der Rothenbaumchaussee 26 erforscht. Im Abendblatt-Interview spricht er über sein Buch „Das Haus des Paul Levy“ (Dölling und Galitz Verlag) und die große Resonanz.

Hamburger Abendblatt: Vor diesem Haus werden am Sonnabend Stolpersteine für Auguste Friedburg und Yves Saget verlegt. Beide waren hier einst Wohnungseigentümer. Was bewegt Sie an einem solchen Tag?

Michael Batz: Heute ist für mich ein Moment der großen Freude. Weil die Geschichten aus der Vergangenheit konkret in die Gegenwart ragen und damit in die Zukunft. Es geht um besondere Menschen und ihre Schicksale. Damit gewinnt man einen sehr persönlichen Zugang.

Welches Schicksal hatten Auguste Friedburg und Yves Saget?

Batz: 1922 sind jüdische Familien in das gerade fertiggestellte Haus an der Rothenbaumchaussee 26 gezogen. Zu ihnen gehörte der Rentier Martin Friedburg, Auguste war seine Tochter, eine gelernte Röntgenschwester. Sie wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort im März 1943 ermordet. Der andere Stolperstein ist für Yves Saget, der zur berühmten Hamburger Verlegerfamilie Campe gehörte. Er war ein französischer Kunstmaler und hatte eine Wohnung in diesem Haus nach dem Tod seiner Großmutter sowie weitere zahlreiche Immobilien in der Stadt geerbt. Er wurde in Frankreich festgenommen und als Angehöriger der Résistance zuletzt ins KZ Neuengamme verschleppt. Er ist am 22. Oktober 1944 in der Stadt seiner Großeltern und seines Urgroßvaters ermordet worden.

Wie geht das Narrativ im „Haus des Paul Levy“?

Batz: Es handelt vom ersten baugenossenschaftlichen Projekt in Hamburg. Vermögende Juden haben es vor etwas mehr als 100 Jahren als Kapitalgesellschaft gegründet und die Wohnungen auch selbst genutzt. Bis die Nazis sie vertrieben und das Haus, so hieß es damals, partiell arisierten. Bei meinen Recherchen habe ich mit Paul Levy begonnen, weil er als erster im Adressverzeichnis erscheint.

Eine Urenkelin des Bankiers Paul Levy wird mit ihrem Sohn bei der Stolperstein-Verlegung dabei sein. Wie haben Sie Frau Levy gefunden?

Batz: Durch das Hamburger Abendblatt! Die Zeitung hatte im Jahr 2016 über mein Dokumentarstück für die Hamburger Bürgerschaft „Das Haus des Paul Levy“ berichtet, die Basis für das spätere Buch. Die Dame, die in der Nähe von Hamburg lebt, hatte den Beitrag gelesen und sich daraufhin bei mir gemeldet.

Warum haben Sie sich ausgerechnet mit diesem Haus beschäftigt?

Batz: Ein befreundeter Musiker hatte mir einmal erzählt, dass dort eine auf dem Dachboden versteckte Klarinette gefunden wurde. Das machte mich stutzig. Und so begann ich meine Recherchen.

Wie viele Biographien haben Sie erforscht?

Batz: Es sind rund 50. Aber es werden immer mehr, weil ich inzwischen in der Generation der Urenkel angelangt bin.

Wie sehen Sie Ihre Rolle in diesem Projekt?

Batz: Es gibt drei Lesarten: Man kann es als historisches Geschichtsbuch mit recherchierten Tatbeständen lesen. Man kann es auch als Hamburg-Roman, als Porträt eines Jahrhunderts wahrnehmen. Und schließlich: Es ist ein Essay über das Verschwinden und über das, was bleibt, wenn etwas angeblich verschwunden ist. Eine Recherche über eine verlorene Zeit.

Sie sind also Historiker, Autor und Hermeneutiker – ein Experte für das Verstehen.

Batz: Das kann man so sagen. Und Hamburger Stadtschreiber.

Den Posten gibt es aber gar nicht.

Batz: Nö. Aber den bekleide ich offensichtlich. Das hat sich so ergeben. Meine Frage ist: Was bietet diese Stadt, ist sie das, was sie zu sein scheint? Sie ist noch etwas ganz anderes, nämlich das, was wir nicht wissen und nicht wissen wollen. Grabe, wo du stehst. Das ist der Satz, der immer noch stimmt. Ich möchte einen Beitrag zu einer geistigen Kultur in Hamburg leisten. Dazu gehört, dass man hinter die Kulissen schaut, tiefer guckt, strenger fragt und sich nicht mit billigen Klischees zufriedengibt. Wenn man an die Häuser klopft, fallen die Geschichten nur so raus. Man muss nur klopfen.