Hamburg. Ein interner Vermerk scheint nahezulegen, dass der Chef der Staatsanwaltschaft den Innensenator vor einer Durchsuchung schützte.
Die Vorwürfe sind extrem schwerwiegend: Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich soll 2019 Hausdurchsuchungen bei Innensenator Andy Grote (SPD), dem früheren parteilosen Wirtschaftssenator Frank Horch sowie Polizeipräsident Ralf Martin Meyer verhindert haben –, und zwar aus rein politischen Gründen.
Wie aus einem Vermerk der Staatsanwaltschaft hervorgeht, der dem Abendblatt vorliegt, hat Fröhlich bei einer Dienstbesprechung am 5. Juli 2019 trotz der Bedenken der anderen Teilnehmer entschieden, von den Hausdurchsuchungen abzusehen.
Laut Vermerk sagte Fröhlich, er nehme in Kauf, dass möglicherweise Beweise für Straftaten verloren gingen, da es anderenfalls zu einer „politischen Krise“ komme. Außerdem wäre die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft gefährdet.
Grote und die VIP-Karten: Debatte um Prominentenbonus
Bei den Ermittlungen gegen Grote, Horch und Meyer ging es um Vorteilsnahme im Amt – also Korruption –, weil sie teure VIP-Karten des FC St. Pauli angenommen hatten. An der Dienstbesprechung nahmen außer Fröhlich vier Leitende und Oberstaatsanwälte teil. Diese äußerten laut Vermerk Bedenken gegen die von Fröhlich favorisierte Vorgehensweise. Es dürfe keinen Prominentenbonus geben. Außerdem sei es rechtsstaatlich bedenklich, wenn mit zweierlei Maß gemessen würde.
Zum Hintergrund: 2019 liefen die Ermittlungen im Zuge der Rolling-Stones-Affäre auf Hochtouren. Mehrere Beamte, darunter auch zwei Staatsräte, wurden angeklagt, weil sie Eintrittskarten für das Konzert im Stadtpark erhalten hatten – obwohl sie diese bezahlt hatten. Schon die Tatsache, dass sie über das Bezirksamt Nord an die begehrten Karten gekommen waren, galt als Vorteilsnahme.
Fröhlich soll Grote für „nicht integer“ gehalten haben
Einer der Teilnehmer der Runde äußerte noch Bedenken bezüglich der Integrität der betreffenden Personen, insbesondere gelte dies für Andy Grote. Fröhlich, so heißt es weiter in dem Vermerk, habe beigepflichtet, dass auch er Grote für nicht integer halte. Dennoch sei ein „Hochkochen“ der Angelegenheit vor der Bürgerschaftswahl zu vermeiden, sonst gebe es einen „politischen Tsunami“. Die Wahl fand im Februar 2020 statt, SPD und Grüne setzten ihre Koalition fort, und Grote blieb Innensenator.
Generalstaatsanwalt Fröhlich wollte sich auf Abendblatt-Anfrage am Freitag nicht äußern. Es gab von der Behörde auch kein Dementi bezüglich der Inhalte der Dienstbesprechung vom Juli 2019.
Verdacht auf Vorteilsnahme als Amtsträger
Das Ermittlungsverfahren gegen Grote wurde im Mai 2020 schließlich eingestellt. Der Verdacht gegen ihn, Meyer und Horch hatte sich nach einer Betriebsprüfung beim FC St. Pauli ergeben. Sie haben in den Jahren 2013 bis 2016 VIP-Tickets für Heimspiele des FC St. Pauli angenommen und genutzt. Der Vorwurf lautete auf illegale Vorteilsnahme als Amtsträger.
Nach Abendblatt-Informationen soll Grote insgesamt acht VIP-Tickets der höchsten Preiskategorie im Wert von rund 1700 Euro erhalten haben. Grote ließ im August 2019 dazu mitteilen, dass sein Besuch von Heimspielen „jeweils in dienstlicher Funktion und auf Einladung der Vereinsführung“ erfolgt sei. Er habe repräsentative Aufgaben wahrgenommen und einen Austausch zu den damals „relevanten Themen“ gepflegt.
Andy Grote: Anfangsverdacht war bejaht worden
Dazu zählten Grote zufolge etwa die bauliche Entwicklung und Nutzung des Stadions. Der Ausbau des Stadions war im Sommer 2015 abgeschlossen worden – Grote war damals als Leiter des Bezirksamtes Mitte zuständig für alle Genehmigungen.
Die Staatsanwaltschaft prüfte daraufhin 2019, ob es sich um illegale Vorteilsnahme handeln könnte. Im Fall von Grote sei dabei ein Anfangsverdacht bejaht worden, hieß es damals von der Staatsanwaltschaft. Wohl auch deshalb, weil das von Grote geleitete Bezirksamt für die Baugenehmigungen des Stadions maßgeblich zuständig war. Grote wurde schließlich von den Ermittlern ein Fehlverhalten, aber keine strafbare Handlung attestiert.
Die Entscheidung hatte nach Abendblatt-Informationen schon seinerzeit für Irritationen im politischen Raum gesorgt. Etwa weil in der Rolling Stones-Affäre selbst gegen Leute ermittelt wurde, bei denen gar nicht durchweg ersichtlich war, welchen Einfluss sie auf die Genehmigung des Konzerts hätten nehmen können. Mancher wunderte sich, dass hier offenbar mit zweierlei Maß gemessen wurde.
Staatsanwaltschaft verweist auf Unschuldsvermutung
Generalstaatsanwalt Fröhlich äußerte sich am Freitag nicht auf eine Abendblatt-Anfrage zu den Vorwürfen. Bei der Staatsanwaltschaft sei „weder etwas von geheimen Vermerken noch einer Entscheidung des Generalstaatsanwalts bekannt“, sagte Oberstaatsanwältin Mia Sperling-Karstens als Sprecherin der Staatsanwaltschaften mit Bezug auf einen Bericht der Plattform t-online, die am Donnerstag zuerst über das Thema berichtet hatte.
„Die hier fraglichen Verfahren gegen Herrn Meyer und Herrn Grote wurden bereits vor mehreren Jahren auf Basis der Prüfung eines strafrechtlichen Anfangsverdachts ohne Einleitung von Ermittlungen mit Zustimmung des Gerichts eingestellt. Für die Betroffenen gilt insoweit die Unschuldsvermutung“. Über „darüber hinausgehende interne Vorgänge oder angebliche Äußerungen im Zuge interner Beratungen“ erteile die Pressestelle „grundsätzlich keinerlei Auskunft“.
Justizsenatorin Gallina schaltet sich ein
Die gegenüber der Staatsanwaltschaft weisungsbefugte Justizbehörde teilte auf Abendblatt-Anfrage mit, „dass die eingestellten Verfahren der Staatsanwaltschaft als solche der Behörde und der damaligen Behördenleitung im Rahmen des regulären Berichtswesens mitgeteilt worden“ seien. Die Behörde habe nun aber „im Rahmen ihrer Dienst- und Fachaufsicht bei der Generalstaatsanwaltschaft einen Bericht zu dem bezeichneten Sachverhalt angefordert“.
Nach Abendblatt-Informationen hat Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) sich am Freitag auch persönlich eingeschaltet und mit Generalstaatsanwalt Fröhlich gesprochen.
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Die Innenbehörde von Senator Grote wollte die Vorgänge nicht inhaltlich kommentieren. „Uns liegen über den internen Schriftverkehr innerhalb der Staatsanwaltschaft keine Erkenntnisse vor“, sagte Behördensprecher Daniel Schaefer. Auch die Polizeipressestelle wollte sich zu den Vorgängen nicht näher äußern. Da es sich um ein abgeschlossenes Verfahren handle, sollten alle Fragen hierzu an die Staatsanwaltschaft gerichtet werden, hieß es.
Ein erstaunter Anwalt und eine empörte CDU
Der renommierte Rechtsanwalt Gerhard Strate sagte auf Anfrage: „Man möchte fast hoffen, dass dieses Dokument eine Fälschung ist. Es spricht leider viel dafür, dass es echt ist. Es fügt sich nahtlos ein in die Denkungsart, mit der die Hamburger Staatsanwaltschaft die Cum-Ex-Affären behandelt hat. Die Behördenleitung versteht sich offenbar immer mehr als Schutz- und Trutzwall der Stadtregierung.“
In der Opposition sorgen die Vorgänge für Kritik. „Die Skandale um Innensenator Grote werden für den Senat immer mehr zur Belastung“, sagte CDU-Fraktionschef Dennis Thering. „Unvergessen seine feucht-fröhliche Party im Lockdown. Dann sein peinlicher Umgang mit dem mittlerweile über Hamburgs Grenzen hinweg legendären ‚Pimmelgate‘. Und die Vorwürfe aus 2019, Innensenator Grote hätte in seiner Zeit als Bezirksamtsleiter mehrmals VIP-Karten für Spiele des FC St. Pauli erhalten. Nun kommt anscheinend auch noch ein Justizskandal dazu.“
Der nun bekannt gewordene Vorgang sei „für Tschentscher und seinen Senat ein politischer Tsunami“, so Thering. „Ich erwarte vom Bürgermeister und seiner Justizsenatorin eine lückenlose Aufklärung der im Raum stehenden Vereitelung einer Strafaufklärung durch den Generalstaatsanwalt.“
Linke und AfD fordern zum Handeln auf
Linken-Innenpolitiker Deniz Celik sagte: „Wieder Andy Grote. Und wieder geht es um die Frage, ob der Innensenator möglicherweise über dem Gesetz steht.“ Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre Grote als Senator „endgültig unhaltbar geworden und muss zurücktreten“, so Celik.
„Wir fordern jetzt schnelle und umfassende unabhängige Untersuchungen, um sein mögliches Fehlverhalten und eine mögliche politische Einflussnahme durch die Generalstaatsanwaltschaft aufzuklären.“
AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann sagte, Tschentscher sei „nach den diversen Affären dieses Senators aufgefordert, endlich zu handeln“.