Hamburg. Zu Unrecht schreiben Eltern Jungen bessere Fähigkeiten zu. Hamburger Forscherin plädiert für höheren Frauenanteil in MINT-Fächern.
Das Feld ist riesig, und es bietet sichere Jobs, ein gutes Gehalt und rasante Aufstiegschancen: Berufe in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, die kurz als MINT-Fächer zusammengefasst werden, sind eine sichere Wahl. Und dennoch entscheiden sich deutlich weniger junge Frauen als Männer für eine Ausbildung in diesem Bereich.
Während das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) kürzlich meldete, dass an deutschen Hochschulen erstmals mehr weibliche als männliche Studierende eingeschrieben sind, nämlich 50,2 Prozent, liegt der Anteil in den MINT-Fächern nur bei 32 Prozent, wie Inga Schlömer, Professorin für digitale Transformation an der IU Internationale Hochschule in Hamburg, berichtet.
Schule Hamburg: Niedrige Frauenquote in der Informatik
Höhere Frauenanteile gibt es in den Fächern Biologie und Chemie sowie bei interdisziplinären, also fächerverbindenden Ingenieurwissenschaften wie etwa Umwelt- und Chemieingenieurwesen – dort ist das Geschlechterverhältnis annähernd ausgewogen. Biologie ist traditionell ein Fach, das Frauen interessiert, da dominieren sie sogar. In anderen Bereichen, beispielsweise in Ingenieurfächern oder in der reinen Informatik, liegt die Frauenquote dagegen bei etwa zehn Prozent.
„Es muss noch viel passieren, damit Frauen sich für MINT-Fächer interessieren. Wir an der IU haben Kampagnen wie Women in Tech, wo Stipendien vergeben werden, oder interaktive Online-Veranstaltungen für Schülerinnen, um Einblicke zu geben in die Welt der IT, Vorbehalte abzubauen und mehr Mädchen für IT und Tech zu begeistern“, sagt Professorin Schlömer, die an ihrer Hochschule auch den Studiengang Digital Business leitet.
„Der MINT-Bereich gehört zu den Schlüsselbranchen"
Kämen mehr junge Frauen in die MINT-Berufe, so argumentiert sie, dann gäbe es zwei Gewinner: die Frauen selbst und die Gesellschaft als Ganzes. „Gerade der MINT-Bereich gehört zu den Schlüsselbranchen, der besonders im digitalen Wandel stark von technischen Innovationen geprägt ist“, sagt Inga Schlömer. Deshalb wüchsen diese Branchen schneller als andere und es würden höhere Löhne gezahlt.
Das bedeutet: Entscheiden sich Frauen gegen diese Fächer, haben sie tendenziell geringere Beschäftigungsaussichten und ein niedrigeres Einkommen. Auch zeigten Studien: „Wenn mehr Frauen einen MINT-Studienabschluss hätten, würde das dazu beitragen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wir hätten mehr Beschäftigung, mehr Produktivität von Frauen, das würde die Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt abschwächen und letztlich mehr Wirtschaftswachstum bringen.“
"Frauen studieren gern anwendungsorientierte Fächer"
Die Digitalisierung könnte auch für Frauen eine Chance sein, allerdings liegt der Frauenanteil in der IT-Branche nur bei 16 bis 17 Prozent. Die reine Informatik ist sehr männlich geprägt. „Wir sehen, dass Frauen sich sehr dafür interessieren, ein technisches mit einem nicht technischen Fach zu kombinieren. Frauen wählen gern interdisziplinäre Studiengänge wie Lebensmittel- oder Biochemie, Wirtschaftsinformatik oder Wirtschaftsingenieurwesen sind weitere Klassiker. Man könnte es so interpretieren: Frauen studieren gern anwendungsorientierte Fächer. In Zeiten voranschreitender Digitalisierung wäre gerade Informatik kombiniert mit einer gewissen Domäne etwas, wo Frauen sinnstiftende Beruf finden könnten“, so Prof. Schlömer.
Mathe ist ein Schlüsselbereich für diese Fächer – tun sich Mädchen damit wirklich schwerer als Jungen? Dafür gebe es keine Belege, es sei eher Frage der Einschätzung: „Mädchen schätzen sich in mathematischen Fächern schlechter ein als Jungen, sie zeigen weniger Interesse“, sagt Prof. Schlömer. „Mädchen glauben eher, dass sie nicht ausreichend Kompetenzen haben.
"Mädchen nehmen sich im Unterricht zurück"
Auch bei Eltern findet sich diese Einschätzung oftmals – sogar noch, bevor ihre Kinder den allerersten Matheunterricht hatten.“ Mütter und Väter schrieben Jungen oft schon im Kindergartenalter größere mathematische Fähigkeiten zu als weiblichen Geschwistern oder anderen Mädchen – und das ziehe sich durch ins Schulleben, wo die Lücke dann noch weiter aufgehe. „Die Mädchen bauen so ein Selbstkonzept auf, wonach sie in Mathe nicht gut genug sind. Im Unterricht geben sie den Jungen den Vortritt und nehmen sich selbst zurück – das wird zu einer Spirale. Auf lange Sicht sinkt dadurch das Interesse an MINT-Themen.“
Bamberger Forscher haben die Studienfachwahl untersucht und festgestellt, dass Mädchen nur geringfügig schlechter in Mathematik sind als ihre männlichen Altersgenossen, aber dafür einen sehr deutlichen Vorsprung in Deutsch und Fremdsprachen haben – und deshalb diesen Weg oftmals einschlagen.
"Eltern legen den ersten großen Grundstein"
„Interessant ist: Landläufig glaubt man, man brauche gute Mathekenntnisse, um in einem MINT-Fach zu bestehen. Für Informatik und ein gutes Programmierverständnis braucht man aber nicht nur logisch-mathematische Fähigkeiten, sondern auch Sprachbegabung“, so Schlömer. „Gute Deutschkenntnisse können also auch eine Super-Voraussetzung sein, um in eine MINT-Karriere zu starten.“
Besonders die Eltern sind gefragt: „Sie legen den ersten großen Grundstein; da ist es wichtig, ganz vorurteilsfrei an die Erziehung heranzugehen, die eigenen Rollenbilder und Erwartungen zu hinterfragen und Klischees zu vermeiden.“ Eltern sollten früh gucken, ob ihre Tochter Interesse an Naturwissenschaftlichen und technischen Themen hat, und sie dann fördern.
Schule Hamburg: Materialien sollten Mädchen mehr ansprechen
„Das geschieht zu wenig“, sagt Inga Schlömer, „auch in der Schule.“ Dort könnten Schulmaterialien so modernisiert werden, dass sie andere Geschichten erzählen, die auch Mädchen stärker ansprechen. Studien zufolge sei es auch erfolgreich, phasenweise die Geschlechter in MINT-Fächern zu trennen – also Mädchen unter sich Versuche machen zu lassen oder zu unterrichten und Jungen ebenfalls. „Das kann helfen, dass sich Mädchen trauen müssen und sich nicht hinter den Jungen verstecken.“
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Inga Schlömer selbst kommt aus einem Elternhaus mit Ingenieuren, so war es für sie nichts Besonderes, sich für technische Zusammenhänge und Maschinen zu interessieren. Sie hat Wirtschaftsingenieurwesen studiert. „Diese Kombination hat mich fasziniert. Ich schaue mir an, wie technische Zusammenhänge funktionieren, habe dabei aber auch die wirtschaftliche Perspektive für einzelne Unternehmen im Blick.“