Hamburg. Immer mehr Menschen werden Opfer von Heiratsschwindel im Netz. Vor allem Frauen werden oft mit falschen Identitäten getäuscht.

Die Worte wärmen ihr das Herz. „Guten Morgen, mein Schatz, wie hast du geschlafen? Wie geht es dir heute, mein Sonnenschein?“ Renate M. ist glücklich, gleich nach dem Aufwachen diese liebevolle Botschaft zu lesen. Er hat wieder geschrieben! Er denkt an sie! Und offensichtlich ist er genau so verliebt wie sie selbst. Harry Hoffman, der Arzt aus Atlanta im US-Bundesstaat Georgia: Er ist ihr Traummann, den sie hoffentlich bald in die Arme schließen kann.

Harry versteht sie. Harry hat keine Scheu, über seine Sorgen und Ängste zu sprechen. Er ist sensibel, intelligent und emphatisch. Dieser Mann ist wirklich etwas Besonderes. Deshalb hat die 61-Jährige auch keine Bedenken, ihm über finanzielle Engpässe hinwegzuhelfen. Er braucht das Geld ja nur für eine kurze Zeit — bis sie vereint sind. Doch als Renate M. am 22. September 2021 ihren Schatz vom Flughafen abholen will, wartet sie vergebens. Kein Wunder. Denn der Harry Hoffman, den die Frau über das Internet kennen- und lieben gelernt hat, existiert überhaupt nicht.

Love Scamming: Die Opfer verlieren nicht nur Geld, sondern ihr Grundvertrauen

„Love-Scamming“ heißt die Masche, mit der Betrüger überwiegend Frauen, aber auch Männer emotional so innig an sich binden, dass diese bereit sind, hohe Beträge zu zahlen. Die Opfer glauben, sie investierten in eine gemeinsame Zukunft. Tatsächlich aber sind die „Partner“, mit denen sie sich über Messangerdienste austauschen, lediglich aus vielen gefakten Puzzlestücken zusammengesetztes Blendwerk. Und das Geld versickert auf verschlungenen Wegen.

„Love-Scamming ist eine heimtückische Kriminalität“, sagt Carsten Schott, der bis vor Kurzem die Dienststelle für phänomenbezogene Vermögensdelikte beim Landeskriminalamt (LKA) in Hamburg geleitet hat. Seit dem 1. Juli ist der 60-Jährige in Pension und engagiert sich bei der Opferschutzorganisation Weißer Ring, die auch Geschädigte in Sachen Love-Scamming betreut und unterstützt.

Love-Scamming, der Experte Carsten Schott
Love-Scamming, der Experte Carsten Schott © Carsten Schott | Carsten Schott

Schott hat in seiner Zeit beim LKA viele Love-Scamming-Fälle begleitet und weiß: „Die Frauen geraten in eine emotionale Abhängigkeit. Irgendwann sind sie blind vor Liebe.“ Und dann geben sie ihr Geld her, manche mehrere Tausend Euro, einige sogar nach und nach Hunderttausende. „Wir hatten mit Opfern zu tun, die alle Ersparnisse verschickt und Aktiondepots aufgelöst hatten und dann quasi vor dem Nichts standen“, sagt Schott. „Aber noch schwerer wiegt der emotionale Schaden. Die Menschen haben an die große Liebe geglaubt und an eine gemeinsame Zukunft. Und dann erfahren sie, dass sie betrogen worden sind.“ Viele Opfer hätten später, wenn sie den Weg zur Polizei finden, erzählt, dass sie „das Vertrauen in Beziehungen komplett verloren haben“.

So wie Renate M. (Name geändert), die seit Jahren einen Facebook-Account unterhält für Kontakte mit der Familie und mit Freunden. Im Januar vergangenen Jahres wird sie von jemandem angeschrieben, der sich als Harry Hoffman aus Amerika vorstellt. Er erzählt, er sei Arzt und halte sich in Afghanistan auf. Die beiden schreiben einander, mehrfach täglich. Es wird zu einem Ritual, auf das Renate M. nicht mehr verzichten möchte und kann. Der Austausch wird ausführlicher, inniger, und nach drei Monaten hat sich die 61-Jährige verliebt.

Hamburgerin überwies über 5000 Euro an einen Mann, von dem sie nie wieder hörte

In dieser Zeit hat Harry ihr immer wieder mitgeteilt, dass er Angst habe, verfolgt zu werden, und dass er Afghanistan gern verlassen wolle. Er plane, vorzeitig aus dem Arbeitsvertrag zu kommen. Schließlich bittet Harry Hoffman die Hamburgerin Renate M., die Kosten für den Flug zu übernehmen. Sie erklärt sich bereit. Denn er will ja zu ihr kommen! Im September 2021 überweist sie 3100 Euro auf ein Berliner Konto, wenig später weitere 2000 Euro. Harry verspricht ihr, dass sie das Geld zurückbekomme – und sogar noch viel mehr. Sobald sie einander endlich sehen, wenn sie ihn am Flughafen abgeholt hat. Das ist das Letzte, was Renate M. von diesem Mann hört. Seitdem: absolute Funkstille.

„Beim Love-Scamming benutzen die Täter gefakte Accounts, gefakte Personalien. Die gesamte Geschichte ist frei erfunden“, berichtet Carsten Schott. Oft seien die Fotos von echten Accounts geklaut, „mit Screenshot oder App, das ist alles kopierbar“. Der Experte warnt eindringlich vor dieser perfiden Betrugsmasche. „Erst wird eine Vertrauensbasis geschaffen, eine emotionale Nähe, bevor man zum Geschäftlichen kommt“, erläutert der ehemalige LKA-Mann das Erfolgsrezept. Wichtig sei es für die Betrüger, die Opfer „an den Haken zu bekommen“.

Gleich morgens bekommt die Frau oder der Mann, der glaubt, einen vertrauenswürdigen Freund oder sogar die große Liebe gefunden zu haben, die erste Nachricht. So geht es weiter über den Tag. Der andere erzählt von sich, von seinen Ängsten. „Man denkt“, fasst Schott die Erfahrungen der Opfer zusammen, „das ist endlich ein sensibler Mann, der mich versteht.“

Die Täter leben oft in Afrika und werden nie zur Rechenschaft gezogen

Wenn die Opfer dann emotional tief in die „Beziehung“ verstrickt sind, würden sie systematisch mithilfe erfundener Geschichten ausgeplündert, berichtet Schott weiter. Immer wieder muss wegen vermeintlicher Probleme Geld gezahlt werden. „Das geht so lange, bis sie nicht mehr kann. Und dann wird der Kontakt von einem Moment zum anderen abgebrochen.“ Die oder der Geschädigte falle daraufhin in ein tiefes Loch, sei verzweifelt wegen der wirtschaftlichen Folgen und zudem zutiefst verletzt und verunsichert, was Beziehungen anbelangt.

Bei der Polizei, wenn die Opfer Anzeige erstatten, bekommen sie von den zuständigen Ermittlern auch Informationsmaterial mit, um sich dann an Opferschutz­einrichtungen zu wenden, zum Beispiel an den Weißen Ring. „Es ist wichtig, dass man die Menschen mit ihren Sorgen nicht alleinlässt.“

Das typische Opfer sei weiblich, beim Alter zwischen Ende 50 bis Mitte 70 und suche nach Freundschaft, Verständnis und unter Umständen auch Liebe. Die intensive Kommunikation, bis das Opfer emotional tief berührt ist und dann zum Überweisen von Geld überredet wird, dauere meist zwischen vier Wochen und mehreren Monaten, erzählt Schott. „Und wenn man nicht mehr zahlt: In der Sekunde wird der Kontakt abgebrochen, der Account gelöscht. Man ist einfach nicht mehr zu erreichen.“

Love Scamming: Corona-Pandemie hat zu mehr Betrugsfällen geführt

Gerade in Zeiten von Corona seien die Fallzahlen extrem angestiegen, berichtet der Experte. „Wir bewegen uns auf Rekordniveau.“ Nach 29 Anzeigen im Jahr 2019 stieg die Zahl im vergangenen Jahr auf 171. Darüber, wie hoch die Dunkelziffer ist, gebe es „nicht mal ansatzweise eine Vorstellung“. Es sei schwer, die Opfer zum Anzeigen zu bewegen. Manche würden lieber noch weiterzahlen, in der Hoffnung, doch irgendwann das versprochene Geld zurückzuerhalten. Viele Opfer empfänden auch Scham, auf den Betrug hereingefallen zu sein.

Eine von denen, die dann doch zur Polizei gingen, war Elfriede G. (Name geändert). Die 85-Jährige hatte über ihren Facebook-Account Kontakt zu einem Mann bekommen, der sich Mr. Eric Edwards nannte und angeblich in Atlanta lebe. Zurzeit sei er in Syrien stationiert und habe einen Knieschuss erlitten. Elfriede G., die bald innige Gefühle für diesen Mann entwickelte, wurde von Mr. Edwards gebeten, seinem Vorgesetzten eine Mail zu schicken, damit Mr. Edwards beurlaubt werden könne. Anschließend werde die amerikanische Armee sein Vermögen in Höhe von 300.000 Euro an die 85-Jährige schicken, damit sie es verwahrt. Den Transport des Geldes solle ein Diplomat vornehmen.

Später schrieb Mr. Edwards, der Diplomat sei festgenommen worden, und das Geld liege nun beim Zoll fest. Um doch noch an das Vermögen zu kommen und die Reise zu ihr zu finanzieren, müssten 4800 Euro für die Fahrt und 20.500 Euro als Kaution gezahlt werden. Elfriede G. überweist das Geld. Im Betreff auf dem Bankformular hat sie eingetragen: „Mr. Eric Edwards, Verlobter, Familienbeförderung.“ Sie hat geglaubt, er komme zu ihr nach Hamburg, damit sie heirateten. Aber als sie zum Flughafen gefahren ist, um ihn abzuholen, die schmerzliche Erfahrung: Er kommt nicht. Und schließlich dämmert ihr: Sie ist betrogen worden.

Täter erstellen spezielle Accounts, damit Spur nicht zurückverfolgt werden kann

Die Täter gehen in der Regel gut organisiert vor. So wird nach einem ersten Austausch beispielsweise auf Facebook oder Instagram vorgeschlagen, künftig über den Messanger-Dienst „Hangout“ zu kommunizieren. Oft erzählen die Täter den Opfern, sie müssten „aus Sicherheitsgründen“ auf diesen speziellen Google-Account wechseln, etwa weil sie beim Militär arbeiten und nicht lokalisiert werden dürften. „So lagern die Täter die Kommunikation aus“, sodass über die normalen Chatverläufe der Opfer später nichts nachzuweisen sei, erklärt Schott. Auf diesen speziellen Accounts sei alles löschbar, sogar von außen. So könnten die Opfer die Spuren der Täter nicht verfolgen.

Und auch die Ermittler stoßen hier an Grenzen. Wenn das Geld über Bankkonten überwiesen wurde, sei dies oft der einzige Ermittlungsansatz: „der Spur des Geldes folgen“, sagt der pensionierte LKA-Mann. Es werde geguckt: Wer ist Kontoinhaber, wer ist verfügungsberechtigt. Häufig seien das weitere Opfer, die ihr Konto unwissend zur Verfügung gestellt haben, oder Strohleute, die extra für die Täter die Konten eröffnen und betreiben. Oft seien dafür Personen mit schwarzafrikanischer Herkunft eingetragen. Überhaupt seien die afrikanischen Länder Ghana, Nigeria und Kenia die „Hochburgen der Betrugsmasche“ mit Love-Scamming.

Die Täter sind geschult, erzählt Ex-Ermittler Schott. „Sie bekommen eine gewisse Grundausbildung“, wie sie eine intensive Beziehung aufbauen und möglichst schnell an das Geld der Opfer kommen können. „Sie sehen am eigenen Erfolg: Wie funktioniert es am besten?“ Sprachbarrieren überwinden sie meist mit dem Google-Translater. Und sie wissen, was gut ankommt: das Interesse, wie es ihrer Chatpartnerin geht, die Frage nach den Plänen, ein inniger Austausch. Und dann schreibt der Täter beispielsweise: „Genieß den Tag. Ich liebe dich, du bist mein Glück. Ich sehne den Tag herbei, wenn wir uns in den Armen liegen.“

Doch das passiert nie.