Hamburg. Im Zuge der Pandemie kam es zu massenhaften Austritten. Viele sind nicht zurückgekehrt – aus denkbar unterschiedlichen Gründen.

Am Probenabend in der Luruper Emmauskirche wirkt auf den ersten Blick alles wie immer. Stühle werden gerückt, Jacken abgelegt und Taschen ausgepackt. Einige Sängerinnen und Sänger umarmen sich herzlich, andere blättern konzentriert durch ihre Noten und summen dabei ein paar Melodien. Die Laune ist gut, der Umgangston ungezwungen und herzlich. Schließlich klatscht die charismatische Chorleiterin Britta Dierks in die Hände und bittet alle, sich aufzustellen. Dann gibt Dierks ein paar Töne vor, und das Einsingen beginnt, gefolgt von der Überleitung in die ersten Lieder.

Die Sängerinnen und Sänger von Swinging Colors stimmen zwei Gospel an: „Have A Nice Day“ und „There Is Love“. Alles klingt wunderschön und sehr spirituell, und auch als Zuhörer fühlt man sich wie die Mitsingenden: frei, erfrischt, getragen.

Corona: Hamburgs Chöre haben zu wenig Sänger

Doch so sonnig-unbeschwert wie die Texte ist die Stimmung bei Swinging Colors zurzeit nicht. Corona hat alles verändert. Den beliebten Gospelchor gibt es seit rund 30 Jahren. In der Zeit vor der Pandemie waren 60 Sängerinnen und Sänger dabei – mit Leidenschaft und Disziplin. Mittlerweile ist der Chor auf 41 Mitsingende geschrumpft, von denen aber zehn seit Monaten nicht bei den Proben erschienen sind. Wenn es gut läuft, sind – wie an diesem Abend – 25 dabei, ein harter Kern, der nicht ans Aufhören denkt. So wie Swinging Colors geht es zurzeit vielen Chören in der Stadt.

„Die Entwicklung der vergangenen zwei Jahre hat uns leider stark zugesetzt, sagt Christina Bornhöft vom seit 2015 bestehenden ZinneChor. Von ursprünglich 35 Mitgliedern sind zwischen 15 und 20 Aktive übrig geblieben. „Wir haben durch Corona Mitglieder verloren, sind aber guten Mutes, dass wir mit Kraft und Engagement neu durchstarten können.“ Mit Optimismus versucht es auch Charlotte Lehr vom Kamenaki Chor, von dessen einst 70 Mitgliedern nicht einmal die Hälfte übrig geblieben ist. „Wir hatten in diesem Jahr nach langer Zeit endlich wieder ein Konzert, das sehr gut besucht war“, sagt Lehr, „wir sehen endlich wieder Land.“

Corona: Proben in geschlossenen Räumen waren verboten

Doch die Ausgangslage ist sehr schwierig, und die Gründe für den Mitgliederschwund allerorten sind vielfältig. Während der Lockdowns lag das Chorleben brach – und auch danach ging es nur langsam bergauf. Wegen der Gefahr der Aerosol-Verteilung waren Proben in geschlossenen Räumen lange verboten, geprobt wurde – wenn überhaupt – im Freien oder in Kleingruppen zu Hause. Virtuelle Proben – vergleichbar dem Homeschooling – konnten das Original nicht ersetzen und waren für ältere Mitgliederhäufig zu schwer umsetzbar.

Diese Krise traf bei den Chören auf ein Milieu, das es schon seit Jahren schwer hat und das auch viele andere Vereine und Verbände betrifft: Die Mitglieder überaltern, während Jüngere – eingespannt in Beruf und Familienleben – oft nicht mehr die Zeit für die abendlichen Proben finden.

Ergebnis war, dass sich latent vorhandene Auflösungsprozesse durch die Pandemie verstärkten. Nicht wenige von denjenigen, die nun monatelang nicht mehr gesungen haben, sind schließlich ganz ausgestiegen. Manche hatten keine Lust mehr, andere fühlten sich nach der langen Zeit ohne Proben nicht mehr gut genug, wieder andere haben immer noch Angst vor Aerosolen und verbringen die Abende lieber in den eigenen vier Wänden.

Viele Chöre bekommen keine Auftritte mehr

Während sich Kneipen, Theater und Restaurants inzwischen wieder gut gefüllt haben, bleiben viele Chöre schwach besetzt. Etliche Kontakte sind abgebrochen, was weniger Auftritte zur Folge hat. Chöre, die früher für Feste und sonstige Veranstaltungen gebucht wurden, bekommen seit Monaten keine Anfragen mehr, was wiederum zu Krisen bei der Besetzung von nicht ehrenamtlich arbeitenden Chorleitern geführt hat. Auch dem ZinneChor kam auf diese Weise ein Leiter abhanden, seit Kurzem ist die Stelle aber neu besetzt.

Rund 1000 Chöre soll es im Raum Hamburg geben, aber die Zahlen sind stark schwankend. Manche bestehen nur sehr kurze Zeit, manche sind auch Untergruppen anderer Chöre. Im Chorverband Hamburg sind rund 100 organisiert – Tendenz abnehmend. „Seit Corona lösen sich leider laufend Chöre in Hamburg auf“, sagt Angelika Eilers, Präsidentin des Chorverbands, der rund 100 Chöre bindet. „Wir erhalten leider immer wieder entsprechende Briefe.“ Im Sommer 2020 hatte der Chorverband eine Umfrage gemacht, an der sich 77 Chöre beteiligten. Schon damals gaben 42 Prozent an, wegen Corona bis zu vier Mitglieder verloren zu haben, bei 15 Prozent waren es sogar mehr als fünf.

Corona Hamburg: Manche Chöre schließen sich zusammen

Um den Abwärtstrend zu stoppen, schließen sich immer mehr kleine Chöre zusammen, die alleine nicht mehr existieren können, berichtet Verbandschorleiter Jonathan Gable vom Chorverband. „Die Chöre stemmen sich mit viel Energie und Fantasie gegen den Negativtrend“, berichtet Gable. Neben Kooperationen bis hin zu Zusammenschlüssen gebe es auch immer häufiger große Projekte, bei denen es dann nicht mehr ausschließlich ums Singen gehe, sondern um große Musik-Aufführungen mit vielen Beteiligten.

Bei Swinging Colors wird jegliche Krisenstimmung quasi weggesungen. „Wir können nur als Gemeinschaft etwas reißen“, sagt Gründungsmitglied Bärbel Kubsch, „und wir halten auch zusammen, wenn es mal schwierig wird.“ Singen im Chor fördere das Wohlbefinden und die Gesundheit, weiß Martin Kurbjeweit, „und die richtige Atmung schützt ja auch vor Krankheiten“. Leiterin Britta Dierks unterbricht ihren Einsatz kurz für ein Statement, das ihr wichtig ist: „Wussten Sie, dass man beim Singen keine Angst empfinden kann? Das ist wissenschaftlich erwiesen.“