NORDERSTEDT. Chöre und Blas-Ensembles im Land wehren sich gegen die aus ihrer Sicht unfairen Corona-Regeln. Vereine in Norderstedt verlieren schon Mitglieder.
Der Musikverein Norderstedt überlegt schon, einfach nach Hamburg zu ziehen. Jedenfalls zum Proben. Denn nach der dort geltenden Corona-Verordnung dürfen Blasmusikerinnen und -musiker auch in Innenräumen spielen. Aber nach den Corona-Regeln der schleswig-holsteinischen Landesregierung gilt jetzt in Schleswig-Holstein ein absolutes Blasverbot in Innenräumen, Chöre dürfen nur mit Mund-Nasen-Schutz singen. „Das Spielen von Blasinstrumenten in Innenräumen ist nicht zulässig. (...) Während der gesamten Chorprobe und auch beim Singen ist von allen Teilnehmenden eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen“, heißt es in der neuesten Landesverordnung.
Die Vereinen fürchten um das Miteinander und die Mitglieder
Erneut wird die Musikszene davon hart getroffen wie schon zu Beginn der Pandemie. In Norderstedt macht sich Unverständnis unter den Musizierenden breit. Warum haben gilt ein Blasverbot im Innenraum, aber Sportler dürfen, etwa beim Fuß- und Handball, im vollen Lauf ohne Masken unter dem Absondern jeder Menge Aerosole sogar Körperkontakt haben? „Das Blasverbot hat uns alle überrascht, vor allem für unsere Jugendlichen ist das sehr traurig, weil sie sich jetzt nicht mehr zum gemeinsamen Proben treffen dürfen“, sagt Imke de la Motte, Vorsitzende des Musikvereins, in dem neben dem Symphonischen Blasorchester (SBN) die Bigband „Fishhead Horns“ und die drei Kinder- und Jugendorchester „JuBlaNo“, „Brass, Wind & Fun“ und „BlasWars“ Mitglieder sind.
Alle Ensembles haben ein ausgeklügeltes Hygiene-Konzept für ihre Proben und Aufführungen. Doch schon das SBN-Konzert „JahresAusklänge“ in der „TriBühne“ sagte der Musikverein ab, und die „Fishhead Horns“ strichen ihre Swing Gala am 5. Februar im Kulturwerk. Nun aber darf auch nicht einmal mehr geprobt werden.„Wir sehen uns nicht als Pandemie-Treiber, einzig die Querflöte pustet viel Aerosole nach vorn in die Luft, beim Saxofon aber kommen gar keine Aerosole raus“, sagt die Saxofonistin de la Motte und klingt dabei hörbar verstimmt.
Brandbrief des Landesmusikrates an den Ministerpräsidenten
Im Moment würde der Musikverein noch die weitere Entwicklung abwarten und hofft auf den Landesmusikrat Schleswig-Holsein, der sich in einem Brief an Ministerpräsident Daniel Günther, Kulturministerin Karin Prien und Gesundheitsminister Heiner Garg vehement gegen das Blasverbot und gegen das Singen mit Maske wehrt und die Rücknahme der Einschränkungen fordert. „Es ist für uns nicht nachvollziehbar, auf welcher Datengrundlage das Musizieren auch für geimpfte und geboosterte Personen untersagt wird, während zeitgleich derselbe Personenkreis im Fitnessstudio schweratmend Gewichte stemmen darf“, heißt es in dem Schreiben des Musikrat-Präsidiums an die Landesregierung. Die jetzt gültige Verordnung sei „eine ungebührliche Benachteiligung der Musik, ein Eingriff in die Kunstfreiheit des Landes und ein eklatanter Verstoß gegen §13 der Landesverfassung zum Schutz und Förderung der Kultur. Wir fordern Sie auf, die geltende Verordnung sofort zu überarbeiten und die Benachteiligung der Musizierenden umgehend zu beenden“.
Der Musikverein versucht, die Verordnung pragmatisch zu verarbeiten. „Wir hoffen, dass wir zumindest unser SBN-Frühjahrskonzert am 14. Mai in der ,TriBühne’ geben können, und dafür üben momentan alle für sich allein Zuhause, doch die Gemeinschaftsproben müssen möglichst rasch folgen“, sagt Imke de la Motte.
Singen unter der Maske – das geht absolut gar nicht
Für die Norderstedter Chöre ist Singen mit Maske, auch bei den Proben, absolut keine Option. „Das geht gar nicht“, sagt Elske Weiss, zweite Vorsitzende des Norderstedter Frauenchores. Das Luftvolumen würde durch die Maske stark eingeschränkt: „Wir planen jetzt weder Proben noch Konzerte und warten ab.“
Zu Anfang der Pandemie hätten ohnehin schon sechs Sängerinnen den Chor verlassen, sodass nur noch 16 aktive Sängerinnen zwischen 40 und 85 Jahren bleiben. „Viele Frauen orientieren sich jetzt anders, um Gesellschaft zu haben, machen Ehrenamtsarbeit oder gehen in Kartenspiel-Clubs“, sagt Weiss. Alle aber hoffen, dass sie ab Mitte Februar wieder gemeinsam singen dürfen – ohne Maske.
Der Chor „Charisma“, der zur Chorgemeinschaft Alster-Nord gehört, lehnt es ebenfalls ab, mit Maske zu singen. „Das ist völlig spaßbefreit“, sagt die Vorsitzende Renate Degenhardt-Lüdtke. Um aber in der Übung zu bleiben, proben sie mit ihrer Chorleiterin Bianka Kilwinski per Zoom-Konferenz. „Doch das ist oft schwierig und mühselig wegen der Technik und demotiviert viele von uns“, bedauert sie. Zudem könnten nur die einzelnen Stimmlagen üben, aber nicht der ganze Chor auf einmal. Konzerte wird „Charisma“ erst wieder planen, wenn Proben ohne Maske zulässig sind. Auch der Männerchor der Chorgemeinschaft Alster-Nord hat die Proben eingestellt. „Keiner will mit Maske singen, wir sind alle nicht mehr die Jüngsten, und da wird die Luft eben zu knapp“, sagt Bernhard Drews, Vorsitzender der Chorgemeinschaft. Im Moment treffen sich die Männer zum Spaziergang im Wald, um wenigstens die Gemeinschaft zu erhalten. „Wir hoffen, dass wir Anfang März wieder richtig proben können“, sagt Drews. „Ich finde die Maßnahmen übertrieben, denn wir sind alle dreifach geimpft“, kritisiert der Vorsitzende des Chores mit 35 Mitgliedern die neuste Landesverordnung.