Stormarn. Momentan dürfen Chöre unter der 2G-Regel proben. Das heißt aber auch, dass einige Mitglieder ausgeschlossen werden müssen.

„Es ist schon ein bisschen traurig“, sagt Kantor Ulrich Fornoff. Er steht in der Schlosskirche in Ahrensburg und begutachtet seinen Flyer mit der Aufschrift „Schlosskirchenmusik 2021“. Auf der Vorderseite steht: Alle Veranstaltungen unter Corona-Vorbehalt. „Vieles von dem, was geplant war, konnte nicht stattfinden“, sagt Fornoff. Der neue Flyer für 2022 steht bereits im Aufsteller. „Da findet sich viel von dem Programm 2021 wieder“ – auch die Einschränkung unter Corona-Vorbehalt.“ Ob die geplanten Nachholtermine laufen können, steht noch in den Sternen.

Singen gilt in der Pandemie als besonders gefährlich

Viele Branchen, Institutionen und Vereine leiden seit fast zwei Jahren unter der Corona-Krise. Doch gerade das gemeinschaftliche Singen gilt zu Zeiten der Pandemie angesichts der Übertragung des Virus über Aerosole als besonders risikobehaftet, manche Medien bezeichneten es gar als „gefährlichstes Hobby der Welt“. Das bekommen die Chöre zu spüren: Nichts ist, wie es war. Proben und Konzerte fallen aus, Mitglieder treten aus, die Chorlandschaft droht zu verstummen. Zeit zu fragen: Wie geht es den Chören in der Region?

Eines hat die Pandemie den Kirchenmusiker Ulrich Fornoff gelehrt: Flexibilität. „Ich habe in den vergangenen zwei Jahren viel geplant in dem Wissen, dass es anders kommen kann und wahrscheinlich wird.“ Das sage er nicht ohne Melancholie, aber auch ohne Bitterkeit. Denn zumindest erleide er keine materielle Not, habe einen Arbeitsplatz. Wie es in Zukunft mit seinen Chören weitergeht, darum macht er sich jedoch Gedanken. Er leitet in der Schlosskirche Ahrensburg zwei Kinderchor-Gruppen, den Gospelchor und die Kantorei.

Kantor Ulrich Fornoff probt mit seinen Chören in der Schlosskirche Ahrensburg auf Abstand. 
Kantor Ulrich Fornoff probt mit seinen Chören in der Schlosskirche Ahrensburg auf Abstand.  © Juliane Minow

Ungeimpfte können derzeit in den Chöre nicht mitsingen

Mit allen Chören hat er seit Beginn der Corona-Krise viel Auf und Ab erlebt. Momentan dürfen die Ensembles unter Einhaltung der 2G-Regel proben. Etwa die Hälfte der Mitglieder komme zu diesen Proben. „Einige sind sehr vorsichtig, andere haben Vorerkrankungen und einige wenige sind nicht geimpft“, berichtet der Kantor. Diejenigen muss er von den Proben ausschließen. „Das tut mir natürlich weh, aber es ist richtig so.“ Etwa eine Handvoll Mitglieder sei seit der Pandemie ausgetreten, in etwa so viele sind aber auch neu hinzugekommen. „Das macht Hoffnung“, sagt er.

„Für den Kinderchor ist es am schwierigsten“, berichtet der Kantor. „Einfach mal auf dem Teppich sitzen, ein Spiel spielen, eine Geschichte vorlesen. Alles, was Gewusel auslösen könnte, die lebendige Interaktion fällt Corona zum Opfer.“ Und auch die Erwachsenenchöre bekommen die Pandemie zu spüren. Vom totalen Lockdown über Open-Air-Proben und Singen mit Abstand bis hin zu 3G- und 2G-Bedingungen war alles dabei. Um mehr Platz zu haben, sind die Chöre vom Gemeindesaal in die Kirche umgezogen. „Die Lüftung erzeugt einen Dauerton, es ist ständig Durchzug und durch die großen Abstände ist die Akustik gestört. Vor zwei Jahren hätten wir gesagt: So kann man doch nicht proben. Aber auch das hat uns die Pandemie gelehrt: Was alles geht. Sie hat uns unfreiwillig flexibel gemacht“, so der Kantor.

Kantor verschickt Chorfastenbriefe

Als im Frühjahr 2020 der Lockdown kam, waren viele Chormitglieder schockiert. „Wir alle mussten uns dessen enthalten, was uns lieb und teuer ist.“ Um das aufzufangen, hat Fornoff angefangen, Chorfastenbriefe zu schreiben. Ein reger E-Mail-Verkehr ist so über die Zeit entstanden. Der Kantor hat auch Lernhilfen herumgeschickt, Videos aufgenommen, ist kreativ geworden – weil er keine andere Wahl hatte. „Je nachdem, wie lange das noch so weitergeht, mache ich mir schon Sorgen um die Zukunft meiner Chöre.“ Die Hoffnung sterbe aber zuletzt.

Hoffnung hat auch Joachim Winkel. Er leitet unter anderem die Chorgemeinschaft Ohe, die zurzeit 34 aktive Mitglieder hat. Die vorgegebene 2G-Regel bei den Proben reicht ihm aber nicht aus. Er hat auf freiwilliger Basis 2Gplus eingeführt, um noch mehr Sicherheit zu schaffen. „Die Mitglieder tragen diese Entscheidung mit. Die sind alle dabei und vorsichtig.“ Um die Abstände einhalten zu können, ist der Chor für die Proben aus der alten Schule nahe der Feuerwehr in Ohes Kirche umgezogen. Zum dritten Mal seit Beginn der Pandemie haben die Sänger den Ort gewechselt.

Proben im Freien bringt nicht viel

In der Corona-Krise brauche der Chor einen langen Atem. „Wir haben zwischendurch auch im Park geprobt, aber das Proben im Freien bringt eigentlich nicht viel.“ Zu schlecht sei die Akustik, zu groß die Abstände. Schwierigere Stücke einzustudieren, war zu dieser Zeit nicht möglich. Dies sei nicht dramatisch – Konzerte wurden ohnehin abgesagt. Das große Festkonzert zum 70-jährigen Bestehen musste ausfallen. Für 2022 hofft man, dies nachzuholen.

Immerhin: Finanzielle Schwierigkeiten hat der Chor durch die Ausfälle nicht, da die Konzerte gewöhnlich mehr kosten, als sie einbringen. Der Verein finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge. Die hat Winkel aber wegen der mangelnden Proben ausgesetzt. „Das fand ich nur fair“, sagt er. Obwohl die Situation schwierig war und ist, kann Winkel noch immer gut damit umgehen. Aber: „Wenn die Chöre länger nicht singen, sind sie gesanglich auch nicht mehr auf so einem hohen Niveau. Das merkt man schon. Das kommt aber auch schnell wieder.“

Angst, dass sich jemand infiziert

Wenn der Chor heute probt, macht Winkel sich durchaus Gedanken um die Sicherheit seiner Sängerinnen und Sänger. „Natürlich ist die Angst da, dass sich doch jemand infiziert. Da alle geimpft sind, ist das Risiko aber zum Glück nicht so hoch.“ Weil die Lage derzeit so angespannt ist, will Winkel ab Januar mit dem Proben pausieren. Das tue ihm weh: „Viele Mitglieder sind gerade zu dieser Zeit dankbar, mal rauszukommen und ihrem Hobby nachzugehen. Singen ist mental sehr wichtig.“ Sollte die Situation es ermöglichen, möchte er in kleinen Gruppen weiterproben.

„Zermürbend“ ist die Pandemie für Petra Pröpper, Vorsitzende der Stormarn Singers in Großhansdorf. Doch obwohl sie die vergangenen zwei Jahre als anstrengend empfunden hat, sich ständig durch neue Verordnungen kämpfen muss und ihr Unterstützung von der Politik und dem Sängerbund Schleswig-Holstein fehlt, hält sie an ihrem Chor und an den Proben fest.

Viele Mitglieder sind ausgetreten

„Für viele Mitglieder ist es gerade jetzt so wichtig, Gemeinschaft zu erleben“, weiß Pröpper. „Wir müssen aber auch viel anbieten, damit uns die Leute nicht abspringen.“ Dafür organisiert sie digitale Umtrünke, packt Päckchen zu Weihnachten, denkt sich immer neue Aktionen aus. Denn ansonsten macht sie sich Sorgen, dass dem Verein die Sängerinnen und Sänger davonlaufen und sie durch fehlende Beiträge Finanzierungsprobleme bekommt.

Im Moment greift der Verein auf Rücklagen zurück, um den Chorleiter zu bezahlen. „Zwölf Mitglieder sind in den vergangenen zwei Jahren ausgetreten“, berichtet die Vorsitzende. Im Moment hat der Chor noch 34 aktive Mitglieder, ungefähr die Hälfte kommt zu den Proben. Auch die Stormarn Singers haben freiwillig das 2Gplus-Modell für ihre Proben eingeführt. „Einfach, um noch mehr Sicherheit zu haben“, so Pröpper.

Drei Ungeimpfte seien von den Proben ausgeschlossen. „Das ist uns nicht leichtgefallen. Wir haben lange überlegt, ob wir Alternativen finden, aber das hätte bedeutet, wie zu Zeiten des Lockdowns auf Online-Proben auszuweichen“, erklärt Pröpper. Das Ergebnis sei nur Katzenmusik.

Vorstand hat viel zusätzliche Arbeit

„Wir haben in Gärten und auf Schulhöfen geprobt und in der Holzbauhalle vom Verwandten eines Sängers geprobt. Als es dort kalt wurde, hat uns die Kirchengemeinde Lütjensee aufgenommen. Derzeit dürfen wir in der Kirche proben.“ Der Chor hat viel Unterstützung erfahren, wofür Pröpper dankbar ist. Dennoch: „Wir mussten schon viel fragen, betteln, in die Wege leiten. Das ist Arbeit, die man als ehrenamtlicher Vorstand noch so nebenbei macht.“

Im Hinblick auf die Zukunft sagt Pröpper: „Ich versuche meinen Optimismus zu erhalten, aber es ist schon schwierig.“ Gerade auch, was das Akquirieren neuer Mitglieder angeht: „Vor Corona haben wir offenes Singen oder Workshops angeboten. Das geht im Moment nicht.“ Normalerweise gibt der Verein zehn bis zwölf Konzerte im Jahr, seit Corona ein Open-Air-Konzert und ein Weihnachtskonzert. Alles andere musste ausfallen. Für das kommende Jahr sind noch keine Konzerte geplant, nur eine Chorfreizeit, die schon zweimal verschoben werden musste. Ob sie jetzt stattfinden kann, ist noch unklar. In einer Sache sind sich deshalb alle einig: „Wir können nur hoffen, dass die Lage sich bessert.“