Hamburg. Normalerweise haben Frauen keinen Zutritt zur Herbertstraße. Zum Jubiläum machte die sündigste aller Meilen eine Ausnahme.
Die Prostituierten hätten sich über diesen Andrang gefreut. Doch die Damen waren am Sonntag in der Herbertstraße ausgeflogen. Die Fenster, in denen sie sonst ihre Dienste anbieten, standen leer. Es war Tag der offenen Tore auf der sündigen Meile. Die Herbertstraße auf St. Pauli wurde 100 Jahre alt.
Von 10 Uhr an standen die Türen offen, und viele Menschen flanierten durch die rund 60 Meter lange Gasse. Es war eine Premiere: Denn an diesem Tag war die Herbertstraße auch für Frauen, die dort nicht arbeiten, geöffnet. Seit den 1970er-Jahren sind die Straßen ansonsten tabu für weibliche Besucher. „Zutritt für Jugendliche unter 18 Jahren und Frauen verboten“ steht auf Schildern an den roten Stahltoren, die die Straße von beiden Seiten versperren. Doch diese Regelung war am Sonntag bis 18 Uhr aufgehoben. Die Aktion organisiert hatten die IG St. Pauli und das BID Reeperbahn+.
St. Pauli: Herbertstraße öffnete Tore auch für Frauen
Eine lange Schlange bildete sich vor Hausnummer 25. Denn dort konnten die Besucher einen Blick in ein Bordell werfen. In der ersten Etage befinden sich die Zimmer. Alles ist in Rot gehalten. Von der Bettwäsche über die Gardinen bis hin zu den beiden kleinen Tischlampen. Auch allerlei Foltergeräte stehen dort herum. Es soll ja Menschen geben, die darauf stehen und dafür bezahlen.
Das Gebäude wird zurzeit umgebaut. Im Erdgeschoss wird es weiter das Fenster mit den roten Hochstühlen geben, und in der ersten Etage werden die Professionellen ihrem Job nachgehen. Aber darüber baut Betreiber Jens, der die Immobilie vor Kurzem angemietet hat, Ferienwohnungen. Das ist kein Scherz. „Das ist doch eine ideale Lage, wenn eine Männergruppe einen Kiezausflug plant. Natürlich können wir die Appartements nicht an Frauen vermieten“, sagt Jens, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte.
Vier Ferienwohnungen für jeweils acht Personen plant der Unternehmer. Die haben ein separates Treppenhaus. „Und natürlich sind der Bordellbetrieb und die Appartements strikt voneinander getrennt. Es ist nicht erlaubt, sich Prostituierte in die Ferienwohnungen zu bestellen.“
"Ich hätte mir ein Bordell etwas luxuriöser vorgestellt"
Aus dem Haus mit Nummer 25 kommt gerade Linda Bußmann heraus. Die junge Hamburgerin findet es „spannend, dass wir Frauen heute mal hinter die Kulissen schauen dürfen. Ich hätte mir ein Bordell etwas luxuriöser vorgestellt, so wie man das aus Filmen kennt. Auf jeden Fall hat es etwas Verruchtes.“ Lächelnd steht ihr Mann Thilo neben ihr. War er schon mal ohne seine Gattin in der Herbertstraße? „Ja, aber ich bin hier nur mal durchgelaufen.“
Das Schaufenster von Haus 7 A ist der Arbeitsplatz von Manuela Freitag. Heute steht die Domina vor dem Fenster mit ihrem Buch „Herbertstraße“ in der Hand. Das Werk, in dem Freitag über ihr Leben im Milieu berichtet, hat sie im vergangenen Jahr veröffentlicht. Es scheint sich gut zu verkaufen, hat es auf die „Spiegel“-Bestsellerliste geschafft. Ines aus Frankenthal hat es gelesen und extra mitgebracht, um es von der Autorin signieren zu lassen und dann auch noch ein Foto mit ihr zu machen.
Herbertstraße: Eine halbe Stunde ab 100 Euro
Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die heute 58-Jährige auf dem Kiez. Drei bis vier Tage die Woche und immer von Mitternacht bis sieben Uhr morgens. Sie habe viele Stammkunden, die kämen aus dem In- und Ausland, berichtet die Hamburgerin. Eine halbe Stunde ist ab 100 Euro bei ihr zu bekommen.
Ihr Studio mit dem „entsprechenden Equipment“ hat Manuela Freitag in der ersten Etage. Das Geschäft sei schwieriger geworden. Überhaupt sei die Zahl der Damen, die in der Herbertstraße ihre Dienste anbieten, deutlich gesunken. Direkt nebenan ist das Haus mit der Nummer 7. Hier, im linken Schaufenster, hat einst Domenica Niehoff ihren Platz gehabt.
Die 2009 verstorbene Prostituierte hatte Kultstatus, trat in vielen Talkshows auf, um für die Legalisierung ihres Berufsstandes einzutreten. Seit dem 1. Januar 2002 gibt es übrigens ein Prostitutionsgesetz. Am Sonntag kehrte Domenica für den Tag der offenen Tore zurück. Nicht leibhaftig, sondern in Form eines Gemäldes.
Domenica-Gemälde soll mindestens 20.000 Euro bringen
Das hängt normalerweise im Erotic Art Museum an der Bernhard-Nocht-Straße. Museumsdirektor Ekkehart Opitz möchte das Bild verkaufen. Das Kunstwerk, geschaffen von Donna Sanisue, hat seinen Preis. Das Mindestgebot liege bei 20.000 Euro, sagt Opitz. Ein Teil des Erlöses soll dem Verein ragazza zugutekommen, der sich um „der Sexarbeit nachgehende Frauen“ kümmert.
Das Haus mit der Nummer 7 wird von Philipp Karl Hetz betrieben. Der 34-Jährige berichtet von den Folgen der Pandemie für die Geschäfte. „Die Zahl der Prostituierten, die in den Bordellen der Herbertstraße arbeiten, ist schätzungsweise um etwa 50 Prozent zurückgegangen. Die Geschäfte laufen schlechter, weil weniger Touristen und Partyvolk hier sind als in der Zeit vor Corona. Vor allem die Engländer, die zum Feiern herkamen, fehlen.“
Einige Prostituierte verdienen ihr Geld heute per Webcam
Während der Pandemie mussten die Bordelle lange Zeit schließen. Es ist zu hören, dass sich dann einige Frauen mit ihren Stammfreiern privat getroffen haben und auch nicht wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt sind. Andere verdienen ihr Geld inzwischen im Internet mit erotischen Auftritten vor der Webcam. 13 Zimmer gibt es in dem Haus, „aber wir haben aktuell nur sieben Mieterinnen“, sagt Betreiber Hetz. Es gebe Tage, da seien in den gesamten Schotten in der Herbertstraße nur 15 Frauen zu sehen, die ihre Dienste anböten.
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Ein positives Fazit zog Lars Schütze, der Quartiersmanager vom BID Reeperbahn+ ist. „Das war ein großer Erfolg. Die Besucher waren begeistert und haben sich auch mit der Geschichte der Herbertstraße beschäftigt, die wir auf Plakaten präsentiert hatten.“ Aber zumindest in absehbarer Zeit müssen die Frauen wieder draußen bleiben: „Die Öffnung der Tore für Damen war eine einmalige Aktion“, sagt Schütze.