Hamburg. Die sündigste Meile auf St. Pauli feiert 100. Geburtstag. Was Frauen, die sonst keinen Zutritt haben, am Sonntag dort erwartet.
Sie ist die wohl sündigste Meile im sündigsten Viertel der Stadt: In der Herbertstraße, kaum mehr als 60 Meter lang, präsentieren die Prostituierten in rot ausgeleuchteten Schaufenstern lasziv ihre Reize und warten auf Freier. Ein Gang durch diese Straße gehört fast schon zum Pflichtprogramm eines Junggesellenabschieds auf St. Pauli.
Dennoch umweht die Herbertstraße seit jeher ein Hauch des Geheimnisvollen: Rote Tore an beiden Seiten versperren die Meile, und zwar nicht nur vor neugierigen Blicken. Hindurch darf nur, wer männlich und erwachsen ist. Frauen hingegen müssen draußen bleiben. „Zutritt für Jugendliche unter 18 und Frauen verboten“ verkünden Schilder an den Stahltoren auf Deutsch und Englisch. Das allein macht diese Straße schon ziemlich einzigartig.
Herbertstraße öffnet für alle: Was am Sonntag geplant ist
Doch am kommenden Sonntag – ausgerechnet! – ist alles anders. Die Herbertstraße wird 100 Jahre alt und feiert von 10 bis 18 Uhr den „Tag der offenen Tore“. In dieser Zeit darf jede und jeder hinein. Die IG St. Pauli und das BID Reeperbahn+ bieten nicht nur eine Ausstellung mit Informationen und historischen Einblicken „rund um die wohl berühmt-berüchtigteste Straße Hamburgs (wahrscheinlich sogar Deutschlands“, wie es heißt, sondern auch Führungen durch die Herbertstraße. Eva Decker und Thomas Volgmann erläutern dabei die Geschichte der Kopfsteinpflastergasse und „St. Liederlich“ insgesamt.
Kunstausstellung zu Domenica, Talk-Format zu „Herbertstraße“
Um 14.30 Uhr liest Manuela Freitag aus ihrem Buch „Herbertstraße“, dazu gibt es ein Talk-Format mit Daniel Schmidt vom Elbschlosskeller. Ab 16 Uhr spielt die Marchingband Billy Burrito. Zu sehen ist eine Kunstausstellung zu Domenica vom Erotic Art Museum, l´apotheque präsentiert historisches und außergewöhnliches Sexspielzeug – mehr St. Pauli geht wohl nicht.
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Warum die Herbertstraße heißt wie sie heißt
Seit Beginn der Bebauung im 19. Jahrhundert war die kleine Straße immer ein Ort für käufliche Liebe. Zunächst hieß sie Heinrich- oder Hinrichstraße, seit 1922 trägt sie ihren Namen Herbertstraße, was nun den Anlass für die Jubiläumsfeiern gibt. Wobei Herbert kein lasterhafter Seemann oder namensgebender Prominenter war. Vielmehr wurden alle Straßen im Viertel in alphabetischer Reihenfolge mit männlichen Vornamen versehen. Bei „H“ angekommen lag die Herbertstraße, zwischen der Gerhard- und der Davidstraße.
Prostitutionsverbot ließ sich auf St. Pauli nicht durchsetzen
Mit dem Aufkommen der Industrialisierung erlebte die Prostitution in Hamburg eine Art Blütezeit. Dazu trugen die zahlreichen Schiffe bei, die im Hamburger Hafen einliefen, und ihre Matrosen, die an Land Vergnügen suchten. Nach der Gründung des Deutschen Reiches war die Förderung der Prostitution eigentlich verboten, so dass Bordelle illegal wurden. Doch das Verbot ließ sich auf St. Pauli nie richtig durchsetzen.
Sichtblenden: Aus den Augen, aus dem Sinn
Der Hamburger Senat beschloss einen Kompromiss: In einer Stichstraße mit zwei beschaulichen Häuserzeilen wurden keine Zuhälter, sondern ausschließlich ältere Frauen als Wirtschafterinnen geduldet. In den Fenstern saßen die Dirnen wie Schaufensterpuppen und boten sich als lebende Ware an – die Herbertstraße kam zu Weltruhm. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, wurden vorn und hinten an der verruchten Gasse die Sichtblenden errichtet, damit das lasterhafte Treiben zumindest nicht mehr zu sehen war. Sie existieren bis heute. Lämpchen und Scheinwerfer tauchen die Häuser nachts in eine sanft bonbonfarbige Atmosphäre, die Dessous der Frauen werden von Schwarzlicht angestrahlt.
Tabuzone Herbertstraße: Wasserbomben auf Frauen
In den 1970er Jahren kamen die Hinweisschilder dazu, die die Straße zur Tabuzone für weibliche Besucher erklärten. Die einzigen Frauen, die hier erlaubt sind, sitzen in den rot erleuchteten Fenstern oder tanzen an der Stange. Juristisch gesehen ist und bleibt die Herbertstraße ein öffentlicher Weg.
Dennoch geht die Legende, dass Frauen, die sich nicht an das Betretungsverbot halten, schon mal mit Wasserbomben beworfen werden, verbunden mit wüsten Beschimpfungen. Am Sonntag nun haben sie die einmalige Gelegenheit, sich selbst ein Bild vom Treiben hinter den Toren zu machen.