Hamburg. Auch die EncroChat-Ermittlungen binden viel Personal. Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) will Verbrechen “effektiv bekämpfen“.

Zum zweiten Mal innerhalb von 15 Monaten wird die Hamburger Strafjustiz personell deutlich verstärkt. Mit insgesamt 31 neuen Stellen vor allem für Richter und Staatsanwälte soll die Bekämpfung von schwerem sexuellen Kindesmissbrauch sowie von Drogenhandel und Waffenschieberei im Zusammenhang mit den EncroChat-Verfahren verstärkt werden. Bereits im Juni 2021 hatten Gerichte und Staatsanwaltschaft 28 Stellen zusätzlich erhalten, um den deutlich ausgeweiteten Ermittlungen im EncroChat-Komplex besser begegnen zu können.

„Wir haben eine tatkräftige Justiz in Hamburg. Gleichzeitig müssen wir schnell und konsequent auf aktuelle Entwicklungen reagieren“, sagte Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) im Gespräch mit dem Abendblatt. Das sei bereits im vergangenen Jahr bei den aus EncroChat erwachsenen Verfahren der Fall gewesen.

Justiz in Hamburg: Zahl der Verfahren vervierfacht

„Jetzt legen wir hier noch einmal nach“, sagte die Justizsenatorin. Auch die Darstellungen von sexualisierter Gewalt an Kindern verbreite sich immer weiter, und häufig dokumentierten kinderpornografische Inhalte realen schweren sexuellen Kindesmissbrauch. „Diese Verbrechen wollen wir noch effektiver bekämpfen“, sagte Gallina.

Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs und Kinderpornografie haben sich in den vergangenen Jahren beinahe vervierfacht: Wurden 2017 noch 780 Fälle registriert, so stieg deren Zahl im vergangenen Jahr auf 2885. Die Anklagebehörde soll im Zuge der Personalaufstockung insgesamt neun zusätzliche Stellen erhalten: fünf Staatsanwälte sowie eine IT-Fachkraft für Künstliche Intelligenz und drei Servicekräfte in der Geschäftsstelle.

Gesetzesänderung trug zu der Fallsteigerung bei

Gallina wies darauf hin, dass auch eine Gesetzesänderung auf Bundesebene zu der enormen Fallsteigerung beigetragen habe. Gegen Ende der Großen Koalition hatte der Bundestag im Juli 2021 beschlossen, den sogenannten minderschweren Fall bei Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte abzuschaffen. Jetzt gilt bereits der Besitz einer einzigen kinderpornografischen Datei, etwa eines Bildes, als Verbrechen, für das eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorgesehen ist.

„Damit entfällt die Möglichkeit, ein Verfahren einzustellen, etwa wenn auf dem Schulhof ein Foto verbotenerweise geteilt wird“, sagte Gallina. Manchmal könne es aber sinnvoll sein, die Mutter eines minderjährigen Schülers wegen eines derartigen Deliktvorwurfs nicht mit einem Strafverfahren zu bedrohen. Andererseits seien Ermittlungen im Bereich Kinderpornografie für die Mitarbeiter von Polizei und Staatsanwaltschaft besonders belastend.

Internet spielt bei EncroChat-Verfahren große Rolle

Durch den Einsatz eines IT-Spezialisten im Bereich Künstliche Intelligenz solle das Internet nach gezielten Kategorisierungen vorab gefiltert werden, ehe Ermittlerinnen und Ermittler ihre Arbeit aufnehmen. „Wir haben durch die Personalaufstockung die Möglichkeit, das Dunkelfeld weiter aufzuhellen“, sagte die Senatorin. Auch bei den EncroChat-Verfahren spielt das Internet die entscheidende Rolle. EncroChat war ein Kommunikationsdienstleistungsanbieter, der Lösungen für Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen und Krypto-Handys anbot. Gegen den Anbieter, der stark von Mitgliedern der organisierten Kriminalität genutzt wurde, leitete Europol zwischen März und Juni 2020 ein Ermittlungsverfahren ein.

Französischen Ermittlungsbehörden gelang es, in das Netzwerk einzudringen. Nach der Entschlüsselung wurden umfangreiche Datensätze an die Hamburger Strafverfolgungsbehörden übermittelt – mittlerweile sind rund 400 Ermittlungsverfahren zumeist im Bereich Drogen- und Waffenhandel bei der Polizei eingeleitet, die von der Soko „HHammer“ durchgeführt werden.

Angeklagte meist in Untersuchungshaft

„Die gerichtlichen Verfahren sind in der Regel sehr komplex mit einer großen Zahl an Beweismitteln und richten sich zum Teil gegen mehrere Angeklagte. Die Hauptverhandlungen erstrecken sich oft über mehrere Monate“, sagte Justizsenatorin Gallina. In den meisten Fällen seien die Angeklagten in Untersuchungshaft, sodass hier das Beschleunigungsgebot für die Verfahren besonders greife.

Insgesamt sind beim Landgericht bislang 148 EncroChat-Verfahren abgeschlossen worden, von denen 137 zu einer Verurteilung führten. Derzeit laufen 46 weitere Verfahren in diesem Deliktfeld. Bislang wurden bereits 2,6 Millionen Euro an Vermögenswerten sichergestellt.

Justiz in Hamburg: 242 Richterstellen am Landgericht

Nach einer Aufstockung um zwei Strafkammern 2021 sollen am Landgericht jetzt vier neue Große Strafkammern für Verfahren im EncroChat-Komplex eingerichtet werden. Dafür werden vier Stellen für Vorsitzende Richter und acht Stellen für beisitzende Richter sowie eine IT-Stelle und insgesamt neun Stellen für Geschäftsstellen-Service und Protokollkräfte geschaffen. Insgesamt gibt es 242 Richterstellen am Landgericht. Aufgrund der hohen Belastung durch die EncroChat-Verfahren haben Richter im Bereich der Ziviljustiz des Landgerichts ihre Kollegen in der Strafjustiz zuletzt unterstützt.

Die Kosten für die Aufstockung der Strafjustiz um 31 Stellen belaufen sich auf 2,75 Millionen Euro jährlich und sind zunächst auf fünf Jahre angelegt. Voraussichtlich wird die Bürgerschaft im Dezember im Rahmen einer Ergänzungsdrucksache zum Haushaltsplanentwurf des Senats über das Stellen-Plus entscheiden.