Hamburg. Hinz & Kunzt-Chef Jörn Sturm zur Lage der Obdachlosen in Hamburg. Wo er Fortschritte sieht und was die Stadt konkret umsetzen sollte.

Wer durch die Hamburger Innenstadt geht, kann sie nicht mehr übersehen: Selten waren so viele Obdachlose in der City anzutreffen. Sie campieren in Haus - und Geschäftseingängen, sitzen an den Straßen und betteln, suchen Lebensmittel in Mülleimern oder schieben ihre Habseligkeiten in alten Einkaufswagen über Bürgersteige. Jörn Sturm aus der Geschäftsführung des Straßenmagazins „Hinz&Kunzt“ weiß von 3000 Menschen, die sich zuletzt für das Winternotprogramm hatten regis­trieren lassen. Ein Interview.

Hamburger Abendblatt: Seitens der Stadt heißt es weiterhin, dass derzeit ungefähr 2000 Menschen in Hamburg obdachlos seien. Können Sie die Zahl verifizieren oder haben Sie Indizien, dass mehr Menschen wohnungslos geworden sind?

Jörn Sturm: Es müssen weitaus mehr Menschen sein. 2018 wurde zwar eine Zählung durchgeführt, dennoch lässt sich davon ausgehen, dass über 3000 Menschen obdachlos sind. Jedes Jahr wenn die Stadt ihr Winternotprogramm auflegt, müssen sich die Menschen vorher registrieren. So lässt sich die Zahl erklären.

Sehen Sie Korrelationen zwischen einer steigenden Anzahl an wohnungslosen Menschen und dem Ukraine-Krieg?

Sturm: Der Ukraine-Krieg hat bisher nicht zu einer höheren Zahl an wohnungslosen Menschen geführt, jedoch sind die Auswirkungen stark spürbar. Es werden deutlich mehr Menschen auf finanzielle Hilfe angewiesen sein. Dabei kann es durchaus passieren, dass sich Menschen ihr Leben schlicht nicht mehr leisten können und dadurch auf der Straße landen.

Ist seitens der Stadt in letzter Zeit auf Sie zugegangen worden, um mit Ihnen neue, angepasste Lösungen zu erarbeiten?

Sturm: Wir sind im stetigen Kontakt mit der Stadt. Kleinere Fortschritte lassen sich verzeichnen, so ist das Winternotprogramm in den letzten Jahren verbessert worden, jedoch ist die Lage bei weitem nicht zufriedenstellend.

Immer wieder wird das in Finnland praktizierte „Housing First“-Modell ins Gespräch gebracht. Wäre dies Ihrer Ansicht nach einer der wichtigen Schritte um der Obdachlosigkeit den Kampf anzusagen?

Sturm: Ein ähnliches Modell würden wir uns auch in Deutschland wünschen. Die Regierung hat ja angekündigt, das man bis 2030 die Obdachlosigkeit bekämpfen möchte. Housing First Pilotprojekte gibt es in Hamburg bereits, allerdings sind 30 Schlafplätze selbstredend viel zu wenig.

Was wäre Ihrer Ansicht nach akut seitens der Stadt zu tun zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit?

Sturm: Im Prinzip ist es ein Housing First Konzept, was wir fordern. Wenn die Menschen ein Obdach haben, kann man alle weiteren Schritte ihres Alltags gehen. Aber es bringt nichts, wenn seitens der Regierung gesagt wird, wir bauen Wohnungen. Das bringt den Obdachlosen wenig, sie können nicht auf den Markt zugreifen. So gesehen regelt der Markt es eben nicht. Es braucht niedrigschwellige Hilfsangebote wie eben das Housing First Konzept.