Hamburg. Partei wählt neues Führungsduo. Mann erklärt sich zur Frau und tritt auf Frauenplatz an. Redner gewaltsam von der Bühne entfernt.
Bei einem zeitweise sehr aufgeregten und beinahe aus dem Ruder gelaufenen Landesparteitag hat die Partei „Die Linke“ am Sonnabend ein neues Führungsduo bestimmt. Nach hitziger Debatte und einigen sehr aufgeladenen Momenten wählten die fast 130 Delegierten des Landesparteitages am Sonnabend im Bürgerhaus Wilhelmsburg die 54-jährige Soziologin Sabine Ritter und den 36-jährigen Bauingenieur Thomas Iwan zu den beiden neuen Hamburger Parteisprechern.
Ritter erhielt mit zwei Gegenkandidatinnen 90 der 127 abgegebenen Stimmen bei zwei Enthaltungen. Iwan wurde bei einem Gegenkandidaten mit 92 von 127 abgegebenen Stimmen gewählt – ebenfalls bei zwei Enthaltungen. Ritter und Iwan gehören zum pragmatischen Teil der Partei und lösen die zuletzt umstrittenen Sprecher Zaklin Nastic und Keyvan Taheri ab.
Landesparteitag der Linken: Redner gewaltsam vom Pult entfernt
Kurz vor der Wahl der beiden neuen Sprecher hatte es einen Eklat gegeben. Das bereits lange für umstrittene Aktionen bekannte Parteimitglied Bijan Tavassoli ließ auf dem Parteitag mitteilen, dass es das Geschlecht gewechselt habe, jetzt eine Frau sei und folglich auf dem Frauenplatz als Landessprecherin kandidiere. Da er bzw. sie an „Corona und wahrscheinlich an Affenpocken erkrankt“ sei, könne er bzw. sie aber nicht selber beim Parteitag anwesend sein. Stattdessen ließ Tavassoli einen mit Coronamaske und Kapuze weitgehend vermummten Menschen ein ebenso wirres wie aggressives Statement verlesen, in dem Teile der Partei beleidigt, zugleich aber die Schönheit aller Frauen gepriesen wurde.
Als der Redner auf Ermahnungen nicht reagierte, wurde er gewaltsam vom Rednerpult entfernt. Das Präsidium hatte zuvor dafür plädiert, die Kandidatur des bzw. der abwesenden Tavassoli zuzulassen. Später ließ Tavassoli mitteilen, die vorgetragene Rede sei nicht von ihm bzw. ihr gewesen. Bei der Wahl bekam er bzw. sie eine Stimme. Kurz zuvor hatte es bereits eine kurze Unterbrechung gegeben, als ein früheres, mittlerweile ausgeschlossenes Parteimitglied mit seinem Rollstuhl in den Tagungssaal gefahren war und wild schreiend Delegierte beschimpft und bedroht hatte.
Kaum ein gutes Haar an der bisherigen Parteiführung gelassen
Bereits die erste Ansage zur Begrüßung der Delegierten zum achten Parteitag der Hamburger Linken hatte am Freitag deutlich gemacht, wie angespannt die Stimmung in der Partei derzeit ist. Man möge doch bitte allseits auf Beschimpfungen, Beleidigungen, Schreien und Sexismus verzichten, hatte der scheidende Landesgeschäftsführer Martin Wittmaack schon zum Auftakt des Treffens am Freitagnachmittag in Wilhelmsburg gemahnt. Auch verbale oder körperliche Gewalt hätten keinen Platz bei einer solchen Veranstaltung.
Das hörte sich fast so an, als drohten am Ende sogar Prügeleien beim Treffen der in einer tiefen Krise steckenden Linken inmitten einer in einer tiefen Krise steckenden Welt. Ganz so schlimm kam es dann doch nicht. Aber hart zur Sache ging es gleichwohl bei diesem Parteitag – auch abseits der Eklats. In der Debatte um den Rechenschaftsbericht der scheidenden Parteisprecher Zaklin Nastic und Keyvan Taheri warfen viele Rednerinnen und Redner dem bisherigen Führungsduo vor, die Partei nicht geeint und nach vorne gebracht zu haben, sondern für ein kaum erträgliches Klima im Landesvorstand und „Gekeife“ bei dessen Treffen verantwortlich gewesen zu sein.
In der Summe wurde kaum ein gutes Haar an der bisherigen Parteiführung gelassen – auch wenn einige wenige Gegenredner die Arbeit von Taheri und Nastic verteidigten und auch andere in der Verantwortung für bisherige Probleme sahen. Zuletzt hatte Parteisprecher Taheri seinen Parteifreunden im Sommer Rassismus vorgeworfen und damit empörte Reaktionen ausgelöst. Irritationen gab es auch darüber, dass zum Bericht des Schatzmeisters der Revisionsbericht der Prüfkommission fehlte.
Linker Flügel spricht von "Wirtschaftskrieg" gegen Russland
Heftig debattiert wurde auch über die Deutung des Ukrainekrieges. Vertreter des linken Flügels werteten diesen immer wieder auch als Stellvertreterkrieg in der Folge einer aggressiven Politik der USA und geißelten die Sanktionen des Westens gegen Russland als „Wirtschaftskrieg“. Dagegen gab es deutliche Gegenreden von Seiten der Moderaten und Pragmatiker. Der Bürgerschaftsabgeordnete Norbert Hackbusch etwa betonte wütend, die Gleichsetzung eines Angriffskrieges mit Sanktionen sei völlig inakzeptabel.
Bei all dem waren die Kräfteverhältnisse auf diesem Parteitag bereits im Vorwege geklärt – und zwar zugunsten der moderaten und pragmatischen Teile der Partei. In den vergangenen Monaten hatte sich innerhalb der Hamburger Linkspartei ein starkes Bündnis aus den großen Strömungen der Bewegungslinken und der Reformer unter dem Namen „Konkret LinX“ zusammengefunden.
Zitate toter Dichter vor jedem verquasten Statement der Dauerstudenten
Dieses Bündnis hatte sich bei den Wahlen der Delegierten in den Bezirken klar durchgesetzt, so dass der eher pragmatisch orientierte Teil der Partei auch den aktuellen Parteitag dominierte – und die Vertreter der konkurrierenden Sahra-Wagenknecht-nahen Gruppe „Quo Vadis“ und der langzeitstudentisch geprägten „Liste Links“ diesmal in der Minderheit waren. Da halfen auch all die alten Zitate toter Dichter nicht, die die Liste-Links-Vertreter vor jedem ihrer verquasten Beiträge zu rezitieren pflegen.
Auch den Befürwortern eines realpolitisch orientierten Kurses geht es zwar langfristig um die „Überwindung des Kapitalismus“, wie sie betonen. Ein Kernanliegen ist ihnen aber nach eigenem Bekunden (mehr als unendliche ideologische Debatten) eine konkrete Politik, die die Situation der Schwächeren in der Gesellschaft auch kurzfristig verbessert.
Ritter plädiert für Gaspreisdeckel und Fortsetzung des 9-Euro-Tickets
„Wir wollen die Linke wieder sichtbar machen. Unser neues Team steht für eine linke, emanzipative, antifaschistische Politik", sagte Ritter. Die Linke solle zu einer „offenen Mitmachpartei“ werden und sie lade alle Hamburgerinnen und Hamburger ein, „mit uns für eine gerechte Gesellschaft zu kämpfen". Es gebe derzeit eine „gesellschaftliche Mehrfachkrise, wie sie von den nach 1945 Geborenen niemand kennt“, betonte Ritter. „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten.“
In der aktuellen Krise plädierte sie für einen „Gaspreisdeckel und günstige Energiekontingente“ und die Fortsetzung des 9-Euro-Tickets. Außerdem brauche Hamburg „endlich die Straßenbahn“. Thomas Iwan sagte, die Linke müsse „jetzt in die Hufe kommen und den Protest gegen die sozialen Verwerfungen auf die Straße bringen". Die Linke stehe an der Seite von Gewerkschaften, Klimabewegung und der von Armut Betroffenen, so der neue Parteisprecher.
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Landesparteitag fordert Entlastungsmaßnahmen gegen Folgen der Inflation
Diese Stoßrichtung spiegelt auch der am Sonnabend mit großer Mehrheit beschlossene Leitantrag unter dem Titel „Die Linke Hamburg im Aufbruch für eine solidarische Zukunft“ wider. Darin fordert die Partei wirksame Entlastungsmaßnahmen gegen die Folgen der Inflation, einen Mindestlohn von 15,50 Euro, die Fortführung des 9-Euro-Tickets, die Enteignung von Wohnungskonzernen, die Rekommunalisierung der Krankenhäuser, eine inklusive Schule und eine klare Absage an jedwede Form von Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen.
Zu diesem Punkt verabschiedete der Parteitag auch den Antrag „Antikapitalismus gegen Querfrontpolitik! Internationale Solidarität statt Nationalismus!“ Hintergrund sind die Diskussionen darüber, ob und wie stark sich die Linke bei möglichen Protestaktionen und Demonstrationen im Herbst von rechten Protestierenden distanziert und absetzt. Am Sonntag wird der Parteitag mit weiteren Wahlen und Anträgen fortgesetzt.