Hamburg. Hamburg fordert eine Nachfolge – aber die Finanzierung ist unsicher. Wie ein Kompromiss aussehen könnte.
Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) schrieb, was Politiker gern sagen, wenn jemand anscheinend den Verstand verloren hat: Er sei „sehr irritiert“, so Dressel am Wochenende bei Twitter über die Entscheidung Berlins, das 9-Euro-Ticket im Alleingang länger anbieten zu wollen. Tatsächlich ist ein solcher Schritt in Hamburg undenkbar, heißt es. Auch hält sich der Senat in der Debatte um eine Nachfolge für das ermäßigte Ticket eher zurück – ist aber nach Abendblatt-Informationen in der Frage keinesfalls untätig.
9-Euro-Ticket: HVV kündigt neue Angebote an
In Koalitionskreisen heißt es, dass mehrere Varianten für ein neues ermäßigtes Ticket realistisch seien. Auf Bundesebene hat sich die SPD der Forderung der Grünen nach einem 49-Euro-Ticket für den Nah- und Regionalverkehr in ganz Deutschland angeschlossen. Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) hat den Bund aufgefordert, einen Vorschlag für eine Nachfolgeregelung zu präsentieren: „Das 9-Euro-Ticket hat gezeigt, dass die Menschen gerne Bus und Bahn fahren – und dass das auch nach der Pandemie gilt.“
Bis es ein Konzept gibt, soll die steigende Begeisterung für den ÖPNV mit neuen HVV-Angeboten so gut wie möglich aufrechterhalten werden. Neben dem „Flex-Abo“, mit dem Neukunden im September sogar kostenlos den ÖPNV in Hamburg nutzen können, werden nun 5er-Tageskarten mit einer Vergünstigung von rund einem Viertel des Einzelpreises angeboten. Eine folgende bundesweite Regelung wird im Senat klar bevorzugt. Sollte diese aber nicht zustande kommen, wäre eine norddeutsche Lösung vorstellbar. Diese hatte Niedersachsen bereits ins Spiel gebracht. Auch hier könnte ein Monatspreis von 49 Euro die Zielmarke sein.
9-Euro-Ticket: Finanzierung von Nachfolgeangebot unsicher
Der Knackpunkt ist aber in allen Fällen die Finanzierung. Hamburg ist nicht nur deshalb über den Berliner Alleingang verärgert, da die Hauptstadt beim Länderfinanzausgleich zu den Empfängerländern gehört – auch soll der Bund möglichst großzügig für einen günstigeren Tickettarif aufkommen. Strategisch sei ein Vorpreschen vor den entsprechenden Verhandlungen deshalb sehr unklug. In dem 49-Euro-Modell könnten sich Bund und Länder die Kosten teilen. Im Gegenzug drängen die Länder darauf, dass für den Ausbau der Infrastruktur hohe Summen aus dem Bundeshaushalt fließen.
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Zwar wird in der Verkehrsbehörde betont, dass der Bund zur Zahlung dieser sogenannten Regionalisierungsmittel verpflichtet sei. Was das in konkreten Summen und Projekten bedeutet, ist aber wiederum Verhandlungssache. Die SPD im Senat hält den Ausbau des Angebots für mindestens ebenso wichtig wie die Frage des Ticketpreises. Und auch für den grünen Verkehrssenator Tjarks hat das 9-Euro-Ticket bei allem Erfolg „auch gezeigt, dass die Verbesserung unseres Bus- und Bahnsystems dringend angesagt ist.“ Insbesondere das Schienensystem müsse „widerstandsfähiger und auf mehr Kapazität ausgelegt werden“. Und dafür benötige man die Regionalisierungsmittel.
Die Haltung des Senats dahinter: Sehr günstige ÖPNV-Tickets seien nur halb so erstrebenswert, wenn das System die steigende Zahl von Passagieren gar nicht verkraften könne. Auf Anfrage betont auch der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Ole Thorben Buschhüter, dass der ÖPNV nicht „verramscht“ werden dürfe. Die Balance zum Ausbau des Angebots müsse stimmen. „Mit dem Hamburg-Takt ist Hamburg bereits auf einem sehr guten Weg, der weiter forciert werden muss.“ Verkehrssenator Tjarks verweist auch auf die großen Projekte wie den Bau der U 5.
CDU und Linke einig bei günstigeren Ticketpreisen in Hamburg
Kritiker werfen dem Senat dagegen vor, weder bei den Ticketpreisen noch beim Ausbau konsequent zu sein. Seit Jahren setze sich seine Fraktion vergeblich für die Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets in Hamburg ein, so der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Richard Seelmaecker. „Die aktuellen Preise für ein gängiges Abo sind für viele Menschen zu hoch. Dadurch wird zu vielen potenziellen Kunden die Mitfahrt erschwert.“ Bei der Infrastruktur werde es auf der anderen Seite Zeit, „dass der rot-grüne Senat endlich handelt und Verantwortung übernimmt, anstatt den Hamburger Verkehr durch kleinteilige, ideologiegetriebene Umbauten weiter zu lähmen.“
Die aktuellen Projekte seien zwar begrüßenswert, aber kämen sehr spät. „Warum braucht der rot-grüne Senat nach eigener Aussage für diese Entwicklungen Jahre? Warum sorgt er nicht für Beschleunigung bei den Baustellen? Warum macht er seine Hausaufgaben nicht und sorgt endlich dafür, dass die notwendigen Bundesmittel für den Bau der U 5 abgerufen werden können?“, so der CDU-Politiker Seelmaecker weiter.
Die Fahrpreise müssen erheblich sinken
Die Linke in der Bürgerschaft spricht ebenso von Versäumnissen. Bis 2030 wolle Hamburg den Anteil der ÖPNV-Nutzerinnen und Nutzer im Vergleich zum Jahr 2017 verdoppeln und den Anteil der Autofahrenden deutlich reduzieren. „Dafür reichen die bisherigen Planungen jedoch bei Weitem nicht aus“, so die verkehrspolitische Sprecherin Heike Sudmann. Sie fordert vom Senat, unabhängig von einer Nachfolge des 9-Euro-Tickets zunächst Preiserhöhungen im HVV auszuschließen.
„Die Fahrpreise müssen erheblich sinken – aus umweltpolitischen, aber auch aus sozialpolitischen Gründen.“ Die nun vorgestellten Angebote des HVV bezeichnete Sudmann als „mau“. Kritik kam auch von der AfD: „Pendler mussten einen hohen Preis bezahlen: Dichtes Gedränge, heillos überfüllte und verspätete Bahnen waren der Regelfall“, sagte Fraktionschef Dirk Nockemann. Ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket lehne er ab.
69-Euro-Ticket als vernünftiger Kompromiss?
Der HVV erhielt nach eigenen Angaben vor Corona jährlich rund 455 Millionen Euro an Zuschüssen von Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen sowie den Umlandkreisen. Hamburg geht nach Abendblatt-Informationen von einem höheren zweistelligen Millionenbetrag an jährlichen Zusatzkosten allein für ein günstigeres Monatsticket aus.
Im Rathaus heißt es, abhängig von der Beteiligung des Bundes könnte ein 69-Euro-Ticket ein vernünftiger Kompromiss sein. Diese Variante hatte der Verband der Verkehrsunternehmen auf Bundesebene ins Spiel gebracht. Klar ist bereits: So günstig wie zuletzt wird es für Passagiere in Hamburg auf längere Zeit nicht wieder.