Was der 3,4 Kilometer lange Röntgenlaser zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein seit dem Start vor fünf Jahren geleistet hat.
Er ist Norddeutschlands teuerster Blitzer: der Röntgenlaser European XFEL. Rund 1,5 Milliarden Euro hat die 3,4 Kilometer lange Maschine gekostet, die unterirdisch zwischen dem Forschungszentrum Desy in Bahrenfeld und einer Experimentierhalle im schleswig-holsteinischen Schenefeld verläuft.
Sie erzeugt extrem helle und kurze Lichtpulse, die winzige Proben beleuchten – bis hin zu Atomen. Von dem Instrument, das Supermikroskop und Hochleistungskamera in einem ist, profitieren Wissenschaftler verschiedener Disziplinen: Sie nehmen etwa detaillierte Bilder von Eiweißmolekülen und Krankheitserregern auf und filmen chemische Reaktionen, die sich in Sekundenbruchteilen abspielen.
European XFEL: Einrichtung feiert fünfjähriges Bestehen
Heute freut sich die Belegschaft in Schenefeld um European XFEL-Chef Robert Feidenhans’l über das fünfjährige Bestehen der internationalen Großforschungseinrichtung. Hinter dem Team liegt eine herausfordernde, mühevolle Zeit. Nach der Inbetriebnahme am 1. September 2017 mit 800 Gästen verlief zwar der Ausbau von zwei auf sechs Experimentierstationen wie geplant. Doch dann kam Corona – und Regeln zum Infektionsschutz erschwerten Untersuchungen an den hochkomplexen Instrumenten erheblich, da die federführenden Forschenden aus aller Welt überwiegend nicht vor Ort dabei sein durften.
„Es waren zwei schwierige Jahre“, erzählt Robert Feidenhans’l. „Unsere Betreuer vor Ort haben die Experimente durchgeführt – die externen Nutzer waren per Telefon oder Video dabei.“ Das habe aber funktioniert. „Fast alles ist gelungen“, sagt der Physiker stolz. Seit Anfang 2022 läuft wieder ein normaler Forschungsbetrieb. Das im Juni 2021 eröffnete Gästehaus mit 55 Zimmern sei meistens voll und für den Herbst ausgebucht.
Bundesforschungsministerium spricht von einem „Erfolgsprojekt“
Von der XFEL-Eröffnung bis Juni dieses Jahres haben 4024 Wissenschaftler aus 31 Ländern die Experimentierstationen genutzt. Die bereitgestellte „Strahlzeit“ – so heißt der begrenzte Zugang, um den sich Forschende aus aller Welt bewerben müssen – stieg laut European XFEL seit 2017 auf etwa 4000 Stunden im Jahr 2021. Bis 2026 soll die Strahlzeit auf über 10.000 Stunden pro Jahr steigen. Von 2023 an soll eine siebte Experimentierstation bei wissenschaftlichen Studien helfen; 2026 soll eine achte Station in Betrieb gehen.
Deutschland hatte mit rund 760 Millionen Euro den Löwenanteil der Kosten für Bau und Inbetriebnahme der Großforschungsanlage übernommen. Heute trägt das Bundesforschungsministerium (BMBF) rund 57 Prozent der jährlichen Betriebskosten von 140 Millionen Euro, also 80 Millionen – Investitionen, die sich lohnten, heißt es aus Berlin. European XFEL sei ein „Erfolgsprojekt“, schreibt das Ministerium auf Abendblatt-Anfrage.
Angriffskrieg überschattet das „Erfolgsprojekt“
Die Experimentierzeit in der Anlage sei „von Spitzenforschern weltweit sehr stark nachgefragt und derzeit mehrfach überzeichnet“. Basierend auf Untersuchungen bei European XFEL seien Studien in renommierten Fachjournalen wie „Science“ und „Nature“ veröffentlicht worden. „Die Experimente reichen von medizinischen Fragestellungen wie Corona- und Antibiotika-Forschung über Energieforschung bis hin zur Entwicklung neuer Materialien und neuen Verfahren zur Datenspeicherung“, so das BMBF. „Hiervon versprechen wir uns wesentliche Impulse für Deutschland und Europa.“
Überschattet wird das „Erfolgsprojekt“ von den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Bis dahin sei die Zusammenarbeit mit russischen Forschenden, die als externe Nutzer nach Schenefeld kamen, „immer sehr gut“ gewesen, sagt XFEL-Chef Robert Feidenhans’l. „Aufgrund des Krieges in der Ukraine ist jedoch derzeit schwer vorstellbar, ob und wie wir hieran wieder anknüpfen können. Es wird ganz schwierig für Russland, bei uns teilzunehmen.“ Wegen der EU-Sanktionen können russische Wissenschaftler als externe Nutzer derzeit nicht in Schenefeld experimentieren – 201 hatten 30 externe Forschende aus Russland „Strahlzeit“ bekommen.
Russland muss 37 Millionen Euro der Betriebskosten tragen
Noch gehört Russland zum Kreis der zwölf internationalen Gesellschafter der European XFEL GmbH. Seinem Anteil von 26 Prozent entsprechend muss Russland rund 37 Millionen Euro der Betriebskosten übernehmen. Für 2022 habe das Land diesen Beitrag schon bezahlt, sagt Feidenhans’l. Aber wird es so weitergehen? Die Zahlungsverpflichtung ist an die Mitgliedschaft bei European XFEL gebunden; Russland könnte sie frühestens zum 31. Dezember 2026 kündigen, wobei die Kündigungsfrist drei Jahre beträgt.
Überlegungen, Russland zu einem Austritt zu bewegen, gibt es noch nicht. „Die Entscheidung darüber treffen die Mitglieder des European XFEL Council“, sagt Robert Feidenhans’l. „Bislang werden nur zeitlich begrenzte Maßnahmen diskutiert.“ Käme es zu einem Austritt oder Rauswurf Russlands, hätte European XFEL ab 2027 „ein größeres Problem“, sagt Feidenhans’l. „Dann müssten wir mit den anderen elf Gesellschaftern über Lösungen reden.“ Das sind Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen, Schweden, Schweiz, die Slowakei, Spanien und Ungarn.
Zahlungen für nächstes Jahr noch nicht sicher
Doch schon für das kommende Jahr lässt sich zumindest nicht zweifelsfrei sagen, ob alles gut gehen wird mit der Finanzierung. „Zahlungen von Russland, das ist wie mit Gaslieferungen aus Russland – man weiß nicht, was da kommt“, sagt Feidenhans’l. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges habe der russische Gesellschafter, das Kurtschatow-Institut in Moskau, keine Teilnehmer mehr zu den Sitzungen des European XFEL Council geschickt – weder in Person noch zu Videoübertragungen, sondern das Institut habe sich nur noch schriftlich mit dem Council abgestimmt, sagt XFEL-Sprecher Bernd Ebeling.
Die XFEL-Belegschaft, zu der 29 Menschen mit russischem Pass gehören, hatte in einer am 24. März veröffentlichten Erklärung ein sofortiges Ende der russischen Invasion in der Ukraine gefordert, unterstützt von den an European XFEL beteiligten Ländern (außer Russland). Zur Erinnerung: Vor fünf Jahren hatte Hamburgs damaliger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bei der Feier zur Inbetriebnahme gesagt, der European XFEL sende „Signale für Völkerverständigung und Frieden“. Das sei ein „ermutigendes Zeichen in einer angespannten Zeit“.
Röntgenlaser übertrifft LCLS in Kalifornien
Als der Röntgenlaser startete, war klar, dass er bald das bis dato stärkste Gerät dieser Art, den LCLS in Kalifornien, übertreffen würde. Der LCLS erzeugte 120 Lichtpulse pro Sekunde – dagegen schafft der XFEL nun 27.000 Laserlichtblitze pro Sekunde. Damit lassen sich bestimmte Messungen viel schneller durchführen.
Röntgenstrahlen helfen schon lange dabei, die Struktur von Materialien abzubilden und ihre Zusammensetzung zu analysieren – nicht nur beim Arzt und im Chemielabor, auch in der Forschung. Wer Winzlinge wie Atome sehen und ihre Anordnung erkennen will, braucht allerdings extrem energiereiches Licht. Je höher die Energie der Lichtteilchen (Photonen) ist, desto kürzer sind die Wellenlängen des Lichts. Ist die Wellenlänge so kurz wie der Abstand zwischen Atomen oder kürzer, lassen sich die Teilchen unterscheiden.
Elektronen fast auf Lichtgeschwindigkeit gebracht
Um etwa die Struktur von Biomolekülen zu entschlüsseln, spritzen Forscher Teilchen in einer Flüssigkeit in die Probenkammer. Jedes Mal, wenn ein Lichtblitz zum Beispiel einen Proteinkristall trifft, entsteht ein Streubild, das ein Detektor aufnimmt. Aus Millionen von Streubildern lässt sich ein dreidimensionales Abbild der Probe errechnen – im Idealfall bis zum einzelnen Atom.
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Mit Röntgengeräten im Büroformat ließe sich derart starkes Licht mit kurzen Wellenlängen nicht erzeugen. Dafür sind große Teilchenbeschleuniger nötig. Ein solcher, gesteuert vom Desy, gehört auch zur Anlage des European XFEL. In dem Beschleuniger werden Elektronen fast auf Lichtgeschwindigkeit und dann durch Magneten auf einen Slalomkurs gebracht, wodurch die Teilchen extrem helle und kurze Röntgenblitze mit laserartigen Eigenschaften aussenden.
European XFEL: Kalifornien arbeitet an Nachfolger
Bei der „Konkurrenz“ in Kalifornien arbeiten sie derzeit an einem Nachfolger: Der „LCLS-II“ soll bis zu eine Million Laserlichtblitze pro Sekunde erzeugen. Eine ähnliche Erweiterung könnte es auch bei European XFEL geben, heißt es aus Schenefeld, aber erst „in den 2030er-Jahren“.