Hamburg/Schenefeld. Zwei Jahre nach Start haben 1200 Forscher 60 Experimente durchgeführt. Die Nachfrage ist weitaus größer.

Zur Einweihung des riesigen Röntgenlasers European XFEL im September 2017 kamen etwa 800 Gäste, in den Festreden ging es um große Erwartungen. Wer wolle, dass „die Besten der Welt zusammenkommen“, müsse ein solches Projekt in Gang bringen, sagte etwa die damalige Bundesforschungsministerin Johanna Wanka (CDU). „Wir rechnen auf jeden Fall mit Nobelpreisen“, erklärte ein Physiker der Forschungseinrichtung gegenüber den „Tagesthemen“.

Nun, zwei Jahre später, hat die Stockholmer Akademie zwar noch keine Auszeichnung vergeben für Experimente mit dem 1,5 Milliarden Euro teuren Messinstrument. Allerdings wären naturwissenschaftliche Durchbrüche innerhalb so kurzer Zeit eine große Überraschung gewesen. Zuerst einmal musste sich der Betrieb einspielen in der 3,4 Kilometer langen Anlage, die unter der Erdoberfläche zwischen dem Forschungszentrum Desy in Bahrenfeld und einer unterirdischen Experimentierhalle in Schenefeld verläuft.

Hohe Nachfrage nach Experimenten

Doch allein die Aussicht, für Studien „herausragende Bedingungen“ vorzufinden, wie sie das Forschungszentrum bieten will, ist offenbar verlockend für viele Forscher. Die Nachfrage übersteigt die Kapazitäten für Experimente erheblich: Auf vier Aufrufe an Wissenschaftler aus aller Welt, sich zu bewerben, erhielt die für den Betrieb zuständige European XFEL GmbH in Schenefeld 363 Anträge – aber nur 98 Bewerbergruppen ergatterten „Strahlzeit“. Geschäftsführer Prof. Robert Feidenhans’l sagt, er erkundige sich fortwährend nach der Zufriedenheit der Nutzer. „Die meisten sind begeistert.“ Freude herrsche vor allem über die großen Datenmengen, die das Instrument innerhalb kurzer Zeit liefere.

Zum Start 2017 standen erst zwei Experimentierstationen zur Verfügung. Die Anlagen drei und vier laufen seit Ende 2018; seit Frühjahr 2019 sind alle sechs vorgesehenen Instrumente in Betrieb. Zwar funktionierten die Stationen gut, sagt Feidenhans’l. Allerdings sei die Handhabung der neuartigen, nie zuvor erprobten Geräte sehr kompliziert. „Wir müssen noch daran arbeiten, dass die Instrumente leichter zu bedienen sind.“

Star-Biophysiker forscht in Bahrenfeld

Bisher haben 60 Experimente stattgefunden, an denen mehr als 1200 Nutzer beteiligt waren, unter ihnen Forscher aus den USA, aus Großbritannien und Schweden. Zu den „Stars“ zählt der britische Biophysiker Henry Chapman, der den mit 2,5 Millionen Euro dotierten Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhielt und in Bahrenfeld arbeitet. Mit European XFEL kooperieren wird bald der österreichische Physiker Matthias Troyer von der ETH Zürich, der in diesem Jahr den Hamburger Preis für Theoretische Physik der Joachim Herz Stiftung bekam.

Der European XFEL ist Super­mikroskop und Hochleistungskamera in einem. Mithilfe der extrem hellen und kurzen Röntgenblitze der Maschine wollen Forscher so genau wie nie zuvor biologische Strukturen sichtbar machen, ultraschnelle chemische Prozesse filmen und physikalische Zusammenhänge beobachten: bis auf die Ebene von Atomen – Teilchen, die zehn Millionen Mal kleiner sind als ein Millimeter.

Es geht um Fragen wie: Lässt sich die Photosynthese der Pflanzen nachahmen, um umweltschonend Brennstoff zu gewinnen? Wie lassen sich kleinere Datenspeicher konstruieren? Welche Struktur haben bestimmte Biomoleküle, die eine Rolle bei Krankheiten spielen, an welcher Stelle könnten neue Therapien ansetzen?

Viele Publikationen erwartet

Seit 2017 haben externe Nutzer, also nicht am European XFEL beschäftigte Forscher, zwar erst fünf Studien veröffentlicht. Das kann man aber darauf zurückführen, dass von der Auswertung von Messdaten über die Begutachtung einer Studie durch andere Forscher (Peer-Review) bis zur Publikation viele Monate vergehen können. „Unsere leitenden Wissenschaftler, die die Experimentierstationen betreuen, rechnen aufgrund der bisher durchgeführten Experimente mit einer Vielzahl weiterer Publikationen“, sagt XFEL-Sprecher Bernd Ebeling. Hinzu kommen etwa 100 veröffentlichte Studien von European-XFEL-Autoren zu Themen, die direkt Entwicklungen am XFEL zuzuordnen sind.

US-Konkurrenz zeigt sich beeindruckt

Seit 2017 hat European XFEL neun Millionen Euro für 25 Projekte an Drittmitteln eingeworben. Davon entfällt eine Hälfte auf EU-Projekte, die andere auf Fördermittel aus Deutschland. Hier gibt es noch Luft nach oben für die Forschungseinrichtung. „Bisher lag der Fokus nicht auf der Einwerbung von Mitteln, sondern auf der Inbetriebnahme der Anlage“, sagt Ebeling.

Bis der European XFEL in Betrieb ging, galt der Röntgenlaser LCLS in Kalifornien als stärkste Maschine seiner Art. Die US-Amerikaner und ihre deutschen Kollegen kooperierten schon damals miteinander, heute pflegen beide Einrichtungen einen „freundschaftlichen Wettbewerb“, wie LCLS-Direktor Mike Dunne sagt, von dem man deshalb keine allzu kritischen Worte erwarten darf. Er müsste sich allerdings auch nicht überschwänglich äußern – tut es aber: Er sei „sehr beeindruckt von der Qualität und dem Tempo der Fortschritte“, schreibt Dunn auf Abendblatt-Anfrage. „Das Team am European XFEL ist wirklich Weltklasse, und ich gehe davon aus, dass sich jeder Experimentierbereich schnell zu einem Kraftpaket für wissenschaftliche Ergebnisse entwickeln wird.“

Wettbewerb wie Bockspringen

Der Wettbewerb funktioniere wie Bockspringen: „Die eine Institution schafft einen Durchbruch, dann macht die andere Institution den nächsten großen Schritt.“ Bisher gilt das vor allem für die Technik. Der LCLS lieferte 120 Röntgenblitze pro Sekunde – der European XFEL erzeugt aktuell 8000 Pulse und kann bis zu 27.00o schaffen. Damit sind die Norddeutschen die Nummer eins – aber nur so lange, bis der Umbau des LCLS abgeschlossen ist. Danach soll die Maschine in Kalifornien bis zu einer Million Pulse pro Sekunde liefern. Das soll für noch mehr Daten in noch kürzerer Zeit sorgen. Inwieweit ihre Forschung dem gesellschaftlichen Fortschritt dient, müssen beide Einrichtungen zeigen.

An dem Röntgenlaser European XFEL beteiligen sich derzeit zwölf Länder. Deutschland trägt 57 Prozent der Kosten, Russland 26 Prozent. Die anderen Partnerländer sind mit ein bis drei Prozent beteiligt. Für den Betrieb des Lasers ist die gemeinnützige European XFEL GmbH zuständig, die mehr als 350 Mitarbeiter beschäftigt. Den Betrieb des Teilchenbeschleunigers für den Röntgenlaser verantwortet das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY).