Schenefeld. Forscher am European-XFEL-Campus können künftig über Nacht vor Ort bleiben. Weitere Bauten folgen in den kommenden Jahren.
Wer im neuen Gästehaus der Forschungseinrichtung European XFEL in Schenefeld nächtigt, weiß das Kernstück der Anlage, den gigantischen Röntgenlaser, in unmittelbarer Nähe. Weil er quasi direkt über dem Bett hängt, wenn auch künstlerisch verfremdet. Doch auch bis zum echten Gerät ist es nicht weit.
Gästehaus am European XFEL in Schenefeld ist fertig
Ein unschlagbarer Vorteil für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sagt Maria Naumova aus Russland, die sich probehalber auf eines der 58 Betten gesetzt hat, die auf 55 Zimmer verteilt sind.
Ein gutes Bett – für Forscher sei das unverzichtbar. „Wenn die Grundbedürfnisse gedeckt sind und man nach langen Experimenten nicht noch ewig mit der Bahn fahren muss, um nach Hause zu kommen, ist das in diesem Beruf schon eine extreme Erleichterung.“
Am Montag ist das Gästehaus, eine Art Hotel für die Wissenschaft, eingeweiht worden. Und Schenefeld wird damit nicht nur noch internationaler, die Stadt an sich dürfte auch davon profitieren, dass Menschen, die am Röntgenlaser experimentieren, nach ihrer Arbeit vor Ort bleiben.
Forschungseinrichtung als Standortvorteil für Schenefeld
Denn wer bleibt, geht vielleicht in einem Schenefelder Restaurant essen oder im Stadtzentrum einkaufen. „Schenefeld wird durch die vielen internationalen Gäste natürlich wichtiger auf der Weltkarte“, sagt European XFEL-Pressesprecher Bernd Ebeling. Sollten im Gästehaus einmal nicht genügend Betten frei sein, profitierten natürlich weiterhin örtliche Hotels.
Auf der anderen Seite ist angedacht, im Gästehaus auch Schülerinnen und Schüler aus dem Ausland einzuquartieren – natürlich nur in den Zeiten, in denen gerade nicht so viele Wissenschaftler vor Ort sind.
Friederike Kampschulte, Abteilungsleiterin für Wissenschaft im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Schleswig-Holstein, hob zur Eröffnung des Gästehauses noch einmal die Bedeutung der gesamten Forschungseinrichtung hervor: „Auch von European XFEL wurden relevante Untersuchungen für die Bekämpfung des Coronavirus getätigt, was zeigt, wie wichtig Wissenschaft für uns alle ist.“
Erkenntnisse auch für Impfstoffhersteller wichtig
Durch die Untersuchung von Proteinen können die Mitarbeiter von European XFEL etwa wichtige Erkenntnisse über Viren gewinnen, die beispielsweise für Impfstoffhersteller relevant sind. Mithilfe der 2017 in Betrieb genommenen Anlage entschlüsseln zum Beispiel internationale Forschergruppen atomare Details von Viren und Zellen oder filmen chemische Reaktionen. Der Röntgenlaser feuert 27.000 Blitze pro Sekunde ab und hat eine milliardenfach höhere Leuchtkraft als herkömmliche Geräte.
Die gemeinnützige Organisation arbeitet eng mit dem Forschungszentrum Desy im nahen Hamburg-Bahrenfeld und weiteren Institutionen zusammen. Derzeit sind bei European XFEL mehr als 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Zwölf Länder beteiligen sich an der Anlage.
Einer der „internationalsten“ Orte Norddeutschlands
„Das neue Gästehaus auf dem Campus in Schenefeld bietet European XFEL nun weitere Möglichkeiten, Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt zu uns in den Norden zu locken, und ermöglicht ihnen neue Forschungsaufenthalte direkt neben den Laboren“, sagte Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) zur Eröffnung.
„Das Gästehaus zeichnet European XFEL künftig noch stärker als Ort der Begegnungen aus, von dem die gesamte Metropolregion profitieren wird.“ Der Ort sei wahrscheinlich „einer der internationalsten“ Norddeutschlands, an dem deutlich werde, dass Wissenschaft Brücken bauen könne.
Gestaltung soll Wissenschaft und Kunst verbinden
Prof. Robert Feidenhans’l, Vorsitzender der Geschäftsführung von European XFEL, ging auch auf die Einrichtung des eigentlich schnörkellosen, ja fast minimalistisch wirkenden Neubaus ein: „Bei der Gestaltung des Hauses war es uns sehr wichtig, Wissenschaft und Kunst miteinander zu verbinden“, sagte er.
Er hoffe, dass der gesamte Campus durch das Gästehaus noch mehr belebt werde. „Es wäre toll, wenn wir spätestens Weihnachten sagen könnten, dass einmal alle Betten gleichzeitig belegt waren.“ Die Kunstwerke im Gebäude basieren auf echten Fotos, die von einem Künstler nachbearbeitet und verändert wurden.
Chemikerin Rosalind Franklin ziert die Fassade
Doch nicht nur die Innenräume sind künstlerisch dekoriert: An der weißen Fassade des Gebäudes ist das Gesicht der Chemikerin Rosalind Franklin (1920–1958) zu sehen. Es erinnert an ihren wichtigen Beitrag zur DNA-Forschung. Die Britin legte mithilfe der Röntgenkristallografie den Grundstein für die Entdeckung der DNA-Doppelhelixstruktur.
Geschäftsführerin Nicole Elleuche lobte die Gestaltung: „Für mich steht Wissenschaft auch für Kreativität.“ Umso mehr freue sie sich über die künstlerischen Aspekte und darüber, dass die Pandemie langsam etwas mehr in den Hintergrund rücke. Schließlich seien auch der Wissenschaft durch das digitale Format Grenzen gesetzt.
Öffentliches Besuchszentrum soll 2023 fertig werden
Bald beginnt in Schenefeld der Bau eines Besucherzentrums mit 350 Quadratmeter Ausstellungsfläche, das der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen soll. Insbesondere Schülerinnen und Schülern könne die Wissenschaft in dem geplanten Schülerlabor nähergebracht werden, sagt Sprecher Bernd Ebeling.
Nach Plan soll das Gebäude – es wird seinen Besuchern auch eine interaktive Ausstellung bieten – Ende 2023 fertig sein. Elf Millionen Euro Baukosten sind angesetzt, von denen die Gesellschafter des European XFEL den Großteil tragen werden.
Außerdem soll auf dem Forschungs-Campus bald eine sogenannte Undulatorhalle eröffnen, in der Licht erzeugende Strukturen vermessen werden.