Hamburg. Tim Hupe hat das CHH wachgeküsst. Er verrät, warum Hamburger mehr abreißen als andere und Schönheit und Ökologie zusammengehören.

Wie verwandelt man einen Unort in eine Sehenswürdigkeit? Wie schafft man etwas Neues, ohne das Alte zu übergehen? Kurzum – wie revitalisiert man das CCH? Fast jeder Hamburger kennt den Komplex am Dammtor aus dem Jahr 1973 – sei es von Abtanz- oder Abibällen, Betriebsversammlungen oder Weihnachtsfeiern, von Konzerten von Abba bis ZZ Top.

Im Con­gress Center Hamburg wurde zudem Geschichte geschrieben: Im Oktober 1990 begann hier der Aufstieg einer gewissen Angela Merkel beim CDU-Parteitag, 2007 nutzte die SPD das Haus für ihre Standortbestimmung mit Helmut Schmidt, Franz Müntefering, Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier.

Stadtentwicklung: Con­gress Center Hamburg war nie schön

Das Gebäude war vor allem nützlich, schön war es eigentlich nie. Das CCH ist ein Kind seiner Zeit, mit eigener Straße und viel Beton: Der Eingang in das dreieckige Foyer erinnerte früher mit seinen niedrigen Decken und den Rolltreppen an ein Kaufhaus, die Säle hatten etwas Museales. Heute ist alles anders: Dem Besucher öffnet sich eine lichte, großzügige Empfangshalle mit 30 Metern Höhe. Unter der Decke schlängelt sich die größte Pendelleuchte der Welt in den fast unendlichen Raum. Und die Säle atmen eine neue Ästhetik, ohne den alten Charme verloren zu haben.

Der Architekt Tim Hupe hat das hässliche Entlein in einen schönen Schwan verwandelt. Nach achtjähriger Bauzeit wurde das neue CCH im April offiziell wiedereröffnet. „Das CCH war Anfang der 70er-Jahre eine Sensation – damals hat sich Hamburg richtig was geleistet“, erzählt Hupe im Podcast „Was wird aus Hamburg?“. Das Gebäude war ein Erfolg und wuchs über die Jahre, zuletzt bekam es 2005 eine große Halle angebaut. „Das Haus hat sich in mehreren Phasen entwickelt – der Philosoph Martin Heidegger würde es eine ,Gewordenheit‘ nennen“, sagt der 59-Jährige. Aber es funktionierte nicht mehr richtig, es musste nicht nur saniert werden, es sollten neue Räume her, kleinere Einheiten, modernere Treffpunkte. Hupe drückt sich diplomatisch aus und will nicht den Stab über die Planer der Siebziger brechen: „Man hat sich damals die großen Säle gewünscht und war bei der Erschließung dieser Säle dann eher sparsam.“

„Es fehlte eine Eingangshalle"

Gemeinsam mit seinem Partner agn Leusmann gewann Hupes Büro den Architekturwettbewerb für die Revitalisierung. „Es fehlte eine Eingangshalle, ein öffentlicher Raum als Übergang zwischen dem Platz und den Sälen.“ Am Ende wurde das neue CCH zu einer besonderen Herausforderung und strapazierte die Geduld aller Beteiligten: Nach einem Asbest-Fund verzögerte sich die Fertigstellung um drei Jahre, zu den ursprünglich veranschlagten 194 Millionen Euro kamen weitere 100 Millionen Euro hinzu. „In dem Moment, wo man ein Gebäude aus dieser Zeit auseinandernimmt, müssen die Altlasten verschwinden und entsorgt werden“, erklärt Hupe.

Heute sind sämtliche Altlasten verschwunden – und noch mehr. Das neu gestaltete Foyer verzichtet auf alle Stützen – ein Statement von Hupe: „Für mich sind Stützen Monumente der verloren Schlacht gegen die Schwerkraft. Wir haben uns technologisch so weiterentwickelt, dass wir sie schlichtweg nicht mehr benötigen. In dieser großen Halle waren uns der freie Blick und die freie Bewegung wichtig.“ Für die neue Leichtigkeit sorgt ein modernes Tragwerk, in dem der Brandschutz, die Klimatisierung und Halterungen für schwere Objekte verschwanden. Für eine Messe könnten in Zukunft sogar Autos oder Segelboote von der Decke baumeln.

Leuchte hat eine Viertelmillion Euro gekostet

Im Alltag hängt dort eine besondere Leuchte, die rund eine Viertelmillion Euro gekostet hat: Sie wiegt sieben Tonnen, ist an 100 Seilen befestigt, 223 Meter lang und aufgrund ihrer Windungen doch filigran. Der schwäbische Hersteller hat es den größten „Kronleuchter der Welt“ genannt. Er illuminiert diese „Stadt in der Stadt“: Das CCH bietet 50 Säle und eine Kapazität von 12.000 Menschen, die sich zeitgleich zu drei Veranstaltungen treffen können, „Das ist eigentlich ein Kreuzfahrtschiff mit einer enormen logistischen Herausforderung“, sagt Hupe. „Es muss für alle Platz geben, Fluchtwege – und alle müssen versorgt werden.“

Und doch hält der Architekt das CCH nicht für das schwierigste Projekt seiner Karriere. Das seien die Fünf Höfe in München gewesen, ein Großprojekt in der Innenstadt mit 60 Geschäften, mit Cafés, Restaurants, Büros und Wohnungen. Fünf Jahre hat Hupe daran für das Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron, die Schöpfer der Elbphilharmonie, gearbeitet. „Ich freue mich noch heute über die Fünf Höfe, wenn ich nach München komme. Sie haben sich sehr gut in die Stadt integriert.“ Ursprünglich hatten Investoren dort einen Neubau geplant, waren aber am Widerstand der Münchner gescheitert. „Herzog & de Meuron kamen auf die Idee, außen alles stehen zu lassen und innen vieles neu zu gestalten. Das Ergebnis ist Schinken im Brotteig: eine unscheinbare Kruste, das Leckere steckt innendrin.“

„Vieles wird erhalten und kultiviert"

Die Münchner hätten eine intensive Beziehung zu ihrer baulichen Tradition: „Vieles wird erhalten und kultiviert, Neues nur sehr vorsichtig hinzugefügt.“ Die Hamburger könnten von den Bayern lernen. „Das hat etwas mit Nachhaltigkeit zu tun, aber auch mit Kultur und Geschichte. Der Hamburger reißt gern ab – das ist statistisch erwiesen.“

Als Sohn eines Wissenschaftlers hat Hupe versucht, diese Prägungen der Freien und Abrissstadt zu verstehen: „In Hamburg regieren der Hafen und sein Nützlichkeitsprinzip. Abzureißen und neu zu bauen war die Basis des Wohlstands dieser Stadt. Das ist Teil der Mentalität. Einem Hamburger fällt es leichter, sich von einem Gebäude zu verabschieden.“ Hinzu kommt der Wohlstand der Hansestadt: „Armut ist der beste Denkmalpfleger. Wo viel Geld da ist, wird schneller neu gebaut. Damit aber beraubt man sich der Geschichte.“

„Da war ein dickes Brett zu bohren"

Noch einen weltberühmten Bau entwarf und realisierte der gebürtige Karlsruher an der Isar: Er war als Projektleiter verantwortlich für die Allianz-Arena. „Ich habe wenig Ahnung vom Fußball, aber man muss die Soziologie des Fußballs verstehen, die Atmosphäre, die Nähe der Fans zu den Spielern.“ Die Arena bezeichnet er als „einschneidendes Projekt“: „Wir hatten den Wettbewerb gewonnen, die WM 2006 stand an, und das Stadion musste schnell gebaut werden. Ich habe nie wieder in einem Projekt eine solche Zusammenarbeit und einen solchen Zusammenhalt zwischen Bauherrn, Planern und Generalunternehmen wie damals in München erlebt.“ Mit vielen sei er bis heute befreundet.

Fast hätte Hupe den Sprung aus München nach Hamburg mit einer besonderen Aufgabe angetreten – als Projektleiter für die Elbphilharmonie. „Das ist ein fantastisches Haus und eine tolle Idee, den alten Speicher von Werner Kallmorgen zu bewahren und auf dem Sockel etwas radikal Neues zu schaffen.“ Doch es kam anders: Hupe entschied sich 2004 für die Gründung eines eigenen Büros, das heute rund 30 Mitarbeiter beschäftigt. „Ich kannte Hamburg aus meiner Zeit bei gmp von Gerkan, Marg und Partner gut.“ Es dauerte aber etwas, um sich in der Stadt zu etablieren. „Da war ein dickes Brett zu bohren. Viele Bauherren dachten damals, man könne sich einen Architekten, der von Herzog & de Meuron kommt, gar nicht leisten.“

Aktuelle Projekte immer die aufregendsten

Inzwischen ist das anders. Zuletzt hat sein Büropartner Sebastian Flatau das Ensemble „The New Institute“ von Erck Rickmers umgebaut – acht Stadtvillen aus dem 19. Jahrhundert an der Warburgstraße wurden in einen einzigartigen Raum des Denkens verwandelt. „Das ist ein großartiges Projekt, das denkmalgerecht die Häuser saniert und Wohnungen und öffentlichen Vortragsräume verbindet.“

Die aktuellsten Projekte seien immer die aufregendsten, sagt der 59-Jährige. „Die Babys, die noch nicht geschlüpft sind, machen am meisten Spaß und fordern uns emotional.“ Zugleich gibt es Niederlagen im Wettbewerb, die ihn bis heute schmerzen. „Wer einmal gewinnen will, so lautet eine Faustregel, muss bereit sein, siebenmal zu verlieren.“ Bis heute trauere er seinem Entwurf des Eckgebäudes im Burstah-Quartier nach, das an das Londoner Büro Caruso St John ging. Auch seinen Entwurf für das Hotel an der Budapester Straße/Simon-von-Utrecht-Straße hätte er gern verwirklicht. „Die Stadt wollte hier eine grüne Fassade. Wir haben ein grünes Gebäude entworfen und wurden Zweiter. Das wäre eine Sensation geworden, ein tropischer Felsen. Gewonnen hat der Vorschlag ohne eine einzige Pflanze an der Fassade.“

Stadtentwicklung: „Ökonomie und Ökologie gehören zusammen"

Wie hält es Hupe mit Nachhaltigkeit? „Das Thema treibt unsere Branche seit den alten Griechen um“, lautet seine Antwort. „Ökonomie und Ökologie gehören zusammen. Wer Ressourcen sparen will, muss langfristig denken.“ Daraus leitet Hupe die Formel ab: „Wir wollen nur noch Gebäude bauen, die es wert sind, in 50 Jahren unter Denkmalschutz gestellt zu werden. Sie sollen 50 oder 100 Jahre oder noch länger bestehen.“ Neben Standsicherheit (firmitas) sowie Tauglichkeit (utilitas) müsse die Schönheit (venustas) eine größere Rolle spielen. Zu oft werde an der Ästhetik, an der architektonischen Qualität gespart, die ein integraler Bestandteil jedes Entwurfes sein müssten.

„Einige Bauherrn versuchen, hier zu sparen, die klügeren wissen, dass sich mit guten Gebäuden mehr und länger Geld verdienen lässt.“ Deshalb hätten die besseren Bauten der Gründerzeit so lange überlebt. „Häuser, die alt werden, haben vieles richtig gemacht. Das bedeutet Nachhaltigkeit im Kern: Gebäude müssen geliebt werden.“

Fünf Fragen

Meine Lieblingsstadt … ist als Frage schwer zu beantworten. Aufgrund meiner Vita habe ich eine besondere Beziehung zu New York und London. Wenn es um schöne Städte geht, kommen mir auch Rio de Janeiro und Honolulu in den Sinn. Hamburg ist eine fantastische Stadt und gehört unter die Top 5– sonst würde ich hier auch nicht leben. Die Stadt hat mit der Durchmischung von Land und Wasser und dem Hafen einzigartige Vorzüge, die sie in eine Linie bringen mit Stockholm oder Sydney.

Mein Lieblingsstadtteil ist die Uhlenhorst. Wir fühlen uns da als Nicht-Hamburger und Hamburger sehr wohl. Die Menschen sind entspannt und begegnen sich gut.

Mein Lieblingsort ist der Burchardplatz, wenn dort donnerstags Markt ist. Dann steht man zwischen den roten Kontorhäusern – dem Sprinkenhof, dem Mohlenhof, dem Chilehaus – und erlebt auf dem Markt eine Leichtigkeit mit gutem Essen und schönen Dingen. In diesem Moment wirkt dieser beeindruckende Platz.

Mein Lieblingsgebäude ist die Patriotische Gesellschaft an der Trostbrücke. Sie steht inmitten eines Viertels, das durch den Krieg viele Umbrüche erlebt hat, wie ein Fels in der Brandung. Es hat sich zugleich aber selbst durch Umbauten weiterentwickelt, tolle Säle und einen beeindruckenden Keller. Ich bin wahnsinnig gern in dem Haus.

Einmal mit der Abrissbirne … wäre ich vorsichtig, weil man sich leicht zum Scharfrichter über mutmaßliche Bausünden der Vergangenheit erhebt. Als Architekt muss man den Blick auf den eigenen Tisch senken – was kann ich an dem Gebäude besser machen? Es gibt aber eines, das mich sehr nachdenklich stimmt und noch nicht einmal fertig ist: das Geomatikum an der Bundesstraße. Dieses „Haus der Erde“ hat sich immer weiter verzögert und verteuert. Ich habe nie verstanden, wie man an dieser Stelle einen solchen „Riesenklopper“ hinsetzen kann. Die Universität gehört zweifellos mitten in die Stadt, aber dieses Gebäude verschattet die Straße wie eine Wand und wirkt wie eine lange Sonnenfinsternis. Vielleicht wird es besser, wenn es belebt ist. Ich fürchte aber, dass Volumen und Größe überdimensioniert sind.