Hamburg . Sechseinhalb Jahre nach der Inbetriebnahme war das Kohlekraftwerk 2021 stillgelegt worden. Wieso es nicht wieder angefahren werden kann.

Das Kohlekraftwerk Moorburg am Donnerstagmorgen. Man muss einmal um das Kesselhaus herum und um das Turbinengebäude gehen, rechts unter Rohrleitungen und Strommasten hindurch, dann trifft man auf den Zankapfel. Genauer gesagt, man trifft auf nichts. Denn dort, wo bis vor einigen Wochen noch ein Transformator stand, ist Leere.

Kaum ein Thema hat die energiepolitische Diskussion in Hamburg in den vergangenen Wochen derart bestimmt, wie die Frage, ob man angesichts der Energieknappheit das Kohlekraftwerk Moorburg reaktivieren soll. Zwei Rohrleitungsstümpfe an die nichts mehr angeschlossen ist, machen die Sache kompliziert. Darunter wuchert nun das Unkraut durch den Betonboden.

Kraftwerk Moorburg: Transformator ist verkauft

Der Transformator ist verkauft und abtransportiert, er steht nun irgendwo im Ruhrgebiet. „So einen Transformator kann man nicht mal eben ersetzen. Wir rechnen mit einer Beschaffungszeit von drei bis fünf Jahren“, sagt Marco Schulze, der hinzugetreten ist. Schulze ist der Prokurist des von Vattenfall betriebenen Kraftwerks in Demontage, und hat reichlich zu tun. Die Stilllegung eines Kraftwerks kostet schließlich auch Geld.

Seit dem 18. Dezember 2020 ist Moorburg abgeschaltet, nach gerade einmal fünf Jahren am Netz. Es war das modernste und technisch sauberste Kraftwerk Europas und darauf ausgelegt, Hamburg bis mindestens 2038 mit Energie zu versorgen. Zwei Kraftwerksblöcke sorgten für eine Gesamtleistung von 1600 Megawatt. Doch politisch hatte sich der Wind gedreht und der rot-grüne Senat beschloss das Aus. Kohle war aus klimapolitischen Gründen nicht mehr opportun. Bis erneuerbare Energien in ausreichender Menge vorhanden waren, sollte Strom aus Gaskraft die Lücke ersetzen. Und genau darin liegt nun das Problem.

Industrie fordert Reaktivierung von Moorburg

Als Reaktionen auf die infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine verhängten Sanktionen, hat Russland seine Gaslieferung nach Deutschland stark reduziert. Die verfügbaren Gasreserven werden Experten zufolge kaum ausreichen, um das Land über den Winter zu bringen. Vor allem die Industrie, die im Falle einer Rationierung der Gasversorgung als Erstes betroffen wäre, macht sich deshalb große Sorgen und fordert, dass Moorburg reaktiviert wird.

Gleiches haben Wohnungswirtschaft und der Hafen in einem offenen Brief an den Senat gefordert. Politischen Druck erhält die Debatte, weil sich der Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Thering, der Forderung anschließt. Sogar Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) denkt öffentlich über die Wiederinbetriebnahme des Kraftwerks nach.

Aussagen der Verantwortlichen eindeutig

Doch der Energiekonzern Vattenfall und Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) sind dagegen. Vattenfall behauptet sogar, dass ein Wiederanfahren der Anlage in Moorburg sowohl technisch als auch wirtschaftlich wie rechtlich ausgeschlossen sei. „Wenn eine solche Anlage mehr als ein Jahr still steht, dann ist es nicht mit einer einfachen Wartung getan. Die technischen Komponenten müssten völlig neu aufgesetzt werden, das ist wie ein Neubau“, sagt Robert Wacker, Geschäftsführer des Kohlekraftwerks in Auflösung.

"Wenn es politisch gewollt wäre und der rechtliche Rahmen geschaffen würde, könnte das Kraftwerk allenfalls mittelfristig in ein paar Jahren wieder ans Netz gehen, aber nicht in dem Zeitrahmen, von dem derzeit die Rede ist.“ In diesem Punkt sind die Aussagen der Verantwortlichen eindeutig.

Kohlelager restlos leergekratzt

An diesem Donnerstagmorgen will Vattenfall den Beweis dafür antreten. Die Leiterin des Informationszentrums, Gudrun Bode, führt eine Gruppe von Journalisten als Erstes in eines der beiden runden Kohlelager mit 110 Meter Durchmesser: Diese sind restlos leergekratzt. Kohle könnte man rasch wieder beschaffen. Doch auch die Förderbänder sind schon abgebaut. Weiter geht der Rundgang.

Die Anlage ist beinahe menschenleer, weil zwei Drittel der einst hier beschäftigten 200 Kraftwerksmitarbeiter inzwischen woanders arbeiten. Die Anekdote am Rande: Einige von ihnen arbeiten wieder im alten Kohlekraftwerk Wedel. Sie waren einst mit dem deutlichen Hinweis, Moorburg sei die Zukunft, an die Süderelbe gelockt worden. Jetzt gilt Wedel als Rettungsanker, weil Moorburg abgeschaltet ist.

„Der eigentliche Rückbau ist das noch nicht“

Dann geht der Rundgang weiter: Neben der Lücke des fehlenden Transformators steht der Ersatztransformator. Ebenfalls verkauft. Das Stück ist quasi nagelneu. Man hatte das elektrische Bauelement mit einem Gewicht von 500 Tonnen eigentlich für das Kernkraftwerk Krümmel nach dem Brand angeschafft. Dann ging Krümmel aber nicht wieder ans Netz und der Transformator kam ungenutzt nach Moorburg. Jetzt wartet er demontiert auf seinen Abtransport. Anfang September kommt das Schiff. Großes Aufräumen in der Turbinenhalle.

Auch hier sind wesentliche Komponenten bereits ausgebaut und für den Transport verpackt. An den Rändern stehen Kisten mit Schrauben und Muttern groß wie Fäuste. Bevor die Turbinengehäuse abgebaut werden, wurden die Ventile entfernt, nun geht es an die Ausschlachtung. Allerdings räumt auch Wacker ein: „Der eigentliche Rückbau ist das noch nicht.“ Der würde erst im Sommer des kommenden Jahres starten.

Moorburg wird zum Ersatzteillager

Moorburg wird zum Ersatzteillager für viele andere Kraftwerke in Deutschland, die allesamt klimatechnisch ineffizienter und älter sind. Sie haben aber alle eines gemeinsam: Im Gegensatz zu dieser Anlage sind sie noch am Netz und werden in der Gaskrise nun länger genutzt.

Wie viel Geld den Steuerzahler die Abschaltung Moorburgs gekostet hat, möchte Prokurist Schulze nicht sagen. Inoffiziellen Berechnungen zufolge liegt die Entschädigung Vattenfalls für die Abschaltung in dreistelliger Millionenhöhe – bei Baukosten von mehreren Milliarden Euro. Inzwischen dürften die Einnahmen durch den Komponentenverkauf die Entschädigungssumme übersteigen.

Kraftwerk Moorburg: Wiederinbetriebnahme ausgeschlossen

Am größten sei das Problem mit den Kesseln. Die stehen seit eineinhalb Jahren still, das Wasser ist aus den Rohren gepumpt. „Und ist so ein Rohr leer, dauert es nicht lange bis es korrodiert“, sagt Gudrun Bode. Man müsste sie vor einem Wiederanfahren auseinanderbauen und jedes Teil einzeln anschauen. Deshalb sei eine Wiederinbetriebnahme ausgeschlossen.

Schmerzhaft sei der Prozess schon, sagt Prokurist Schulze. „Es fällt einem nicht leicht, das eigene Kraftwerk zu demontieren – vor allem wenn es noch so neu ist.“ Tröstlich sei allerdings, dass genau hier etwas Neues entstehen werde. Der Hamburger Senat will auf dem stillgelegten Gelände einen großen Elektrolyseur zur Herstellung von Wasserstoff bauen.

Auf den Dächern der Kohlelager glitzern Fotovoltaikanlagen im Sonnenlicht zum Abschied. Diese liefern immerhin 700 Megawattstunden Strom. So ganz ist Moorburg also noch nicht vom Netz.