Hamburg. Beim Prozessauftakt dauerte allein die Anklageverlesung zwei Stunden. Doch der Fall ist wohl nur die Spitze eines Eisbergs.

Die Corona-Soforthilfen des Bundes halfen Unternehmen, während der pandemischen Krise finanziell über die Runden zu kommen. Aber sie waren auch das: ein Topf voll Gold, eine Art staatliches All-you-can-eat-Büfett für Kriminelle, die sich gierig auf die von bürokratischen Fallstricken weitgehend befreite Leistung stürzten – und in vielen Fällen machten sie fette Beute.

In Hamburg schlug nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft vor allem eine Bande im großen Stil Kapital aus der Krise. Deren Mitglieder – vier Männer, eine Frau – stehen seit Dienstag wegen Subventionsbetrugs in 80 Fällen vor Gericht: Sie sollen mit zu Unrecht erlangten Corona-Hilfen drei Millionen Euro eingeheimst haben.

Betrug mit Corona-Hilfen: Anklageverlesung dauert zwei Stunden

Zwei der Angeklagten sind verheiratet. Vertreten werden die fünf durch mehr als doppelt so viele Rechtsanwälte, darunter namhafte Hamburger Strafverteidiger. Der Hauptangeklagte und mutmaßliche Kopf der Bande, Masood A. (34), hat gleich drei Anwälte beauftragt. Dass es hier um ein Strafverfahren mit einiger Komplexität geht, zeigt auch der enorme Umfang der Anklageschrift.

Sie zu verlesen, dauert rund zwei Stunden, zwischendurch wechseln sich die zwei Staatsanwälte ab. Zwar variiert die Höhe der Subventionen, die die Angeklagten zu Unrecht in Anspruch genommen haben sollen – von meist 50.000 Euro bis hin zu 379.000 Euro in einem Fall. Aber deutlich wird auch: Es reichte ein ziemlich simpel gestrickter Plan aus, um die Behörden auszutricksen. Zumindest anfänglich.

Bande setzte Strohmänner als Geschäftsführer ein

So lief der Nepp nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft: Die Angeklagten kauften zunächst schlecht gehende Vorrats- oder Servicegesellschaften auf, meist kurz bevor sie die Anträge stellten. Und setzten dann, um ihre eigenen Identitäten zu verschleiern, überwiegend „sehr junge Männer mit Migrationshintergrund“ als Strohgeschäftsführer ein, maßgeblich betreut von Jasar A. (24) und Nawid A. (22).

Diese Marionetten-Chefs stellten dann für ihre vorgeblich durch die Corona-Krise massiv geschädigten Betriebe – häufig Firmen aus der Sicherheitsbranche – Anträge auf Soforthilfe. Hohen Umsätzen aus den Monaten November und Dezember 2019 standen da jeweils deutlich niedrigere Einkünfte in den gleichen Monaten des ersten Corona-Jahres 2020 gegenüber.

Buchhalter und Geldwäscherin sollen Betrüger unterstützt haben

In Dutzenden Fällen soll zudem ein selbstständiger Buchhalter aus Berlin, der Angeklagte Michael P. (47), Anträge online über den Zugang eines unwissenden Rechtsanwalts im Rang eines sogenannten „prüfenden Dritten“ gestellt haben. Insgesamt soll die Bande 12,5 Millionen Euro zu Unrecht beantragt haben – tatsächlich abgefischt habe sie rund drei Millionen Euro.

Über das Banden-Netzwerk seien die ausgezahlten Gelder meist in bar abgehoben worden. Sally A. (31) soll das Geld gewaschen und von der Beute mehrere Immobilien erworben haben, darunter eine in Dubai für 570.000 Euro. Dazu habe sie Bargeldtransporte in die Vereinigten Arabischen Emirate organisiert.

Betrug mit Corona-Hilfen: Staatsanwaltschaft Hamburg hat 277 Verfahren eingeleitet

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass Masood A. das Firmengeflecht gesteuert hat – ohne auch nur einmal persönlich mit den Schein-Chefs in Kontakt gekommen zu sein. Von der Behörde eingeleitete Verfahren gegen die „kleinen Fische“ habe die Behörde vom Hauptkomplex abgekoppelt. Einige seien eingestellt worden, sagt Liddy Oechtering, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, auf Abendblatt-Anfrage. Die Beschuldigten hätten teils gar nicht gewusst, dass „ihre Einsetzung der Begehung von Straftaten diente“, so Oechtering. „Teilweise handelte es sich bei den Daten der Geschäftsführer auch um nicht existente Personen oder um die unberechtigte Verwendung der Personalien tatsächlich existierender Personen“.

Bisher habe die Behörde 277 Verfahren im Zusammenhang mit Corona-Hilfen geführt, die sich gegen 641 Beschuldigte richten. In 86 Verfahren sei Anklage erhoben, 138 seien eingestellt worden. Zudem seien 28 Strafbefehle beantragt worden.

Für die fünf Angeklagten endete der mutmaßliche Missbrauch der Corona-Hilfen am 10. November 2021 – da wurden sie verhaftet und mehrere Razzien veranlasst. Die Behörden taxierten die Schadenssumme damals auf mindestens 1,5 Millionen Euro und sprachen vom bisher größten Fall von Corona-Subventionsbetrug in Hamburg. Sie pfändeten unter anderem einen Mercedes GLE 350 Coupé, ein Motorrad, Rolex-Uhren, Schmuck, Luxushandtaschen. Um die staatlichen Forderungen zu sichern, wurde überdies eine Arresthypothek auf ein Grundstück und fünf Eigentumswohnungen erwirkt.

Weiterer Streit mit der Verteidigung ist programmiert

Am Dienstag äußert sich keiner der Angeklagten zu den Vorwürfen. Wohin die Reise gehen könnte, lassen indes die Anträge von Verteidiger Alexander Kienzle erahnen. Er vertritt Masood A. Die Staatsanwaltschaft habe keine tragfähigen Beweise gegen seinen Mandanten, sondern nur „ungesicherte Indizien“. Masood A. werde sich inhaltlich zu den Vorwürfen äußern, sofern die Verteidigung vollständige Akteneinsicht erhalte. Mehrere wichtige Dokumente fehlten noch. Bis alles da sei, müsse die Hauptverhandlung unterbrochen werden.

So sei insbesondere das Auslesen einer 18 Terabyte großen Festplatte der Ermittlungsbehörden nicht möglich, weil eine mehr als 1000 Euro teure Softwarelizenz dafür erforderlich sei. Das Gericht müsse entweder diese Lizenz oder der Verteidigung eine mit kostenloser Software auslesbare Kopie des Datensatzes beschaffen. Im Falle der Lizenz hatte sich das Gericht bereits für nicht zuständig erklärt – weiterer Streit mit der Verteidigung dürfte da nicht lange auf sich warten lassen. Der Prozess geht weiter.