Hamburg. Schweigepakt und belastende Mails gelöscht? Der Senat hält dagegen. Nun soll Einsicht in komplette Chatverläufe beantragt werden.
In die Cum-Ex-Affäre kommt neue Bewegung: Nicht nur könnte ein WhatsApp-Chat mit Kommentaren zu einem „teuflischen Plan“ tatsächlich auf geheime Absprachen zu dem Erlass von 47 Millionen Euro Steuerschulden gegenüber der Warburg-Bank hindeuten – Ermittler in Nordrhein-Westfalen haben auch mehrere Indizien gesammelt, dass belastende Mails gelöscht worden sein könnten und schriftliche Kommunikation verhindert werden sollte. Für Obleute im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss könnte das Munition bei anstehenden und zentralen Befragungen sein. Der Senat betont jedoch, die neuen Ungereimtheiten erklären zu können.
Auf die Frage, ob der heutige Bürgermeister und frühere Finanzsenator jemals Kenntnis von Absprachen zur Löschung von Mails oder Vermeidung von Schriftverkehr in dem Zusammenhang hatte, antwortete Senatssprecher Marcel Schweitzer knapp: „Nein“. Die Finanzbehörde erklärt die aus Sicht der Ermittler auffällig wenigen Mails zu Cum-Ex mit der Geschäftsordnung, in denen auch die Aktenführung geregelt sei. Den Vorgaben entsprechend seien bestimmte Mails und auch Mailkonten nicht mehr abrufbar. Hinweise auf gezielte Löschung und Vertuschung gebe es aber nicht.
Cum-Ex-Skandal: Nur wenig Schriftverkehr
Die Staatsanwaltschaft Köln sieht es nach Abendblatt-Recherchen unter anderem als verdächtig an, dass es in den fraglichen Jahren zwar viele Kalendereinträge zum Thema Cum-Ex, aber nur sehr wenig Schriftverkehr gab. Hierzu teilt die Finanzbehörde auf Anfrage mit, es sei „der Hinweis erlaubt, dass Outlook-Termineinträge nicht zwingend mit einem E-Mail-Verkehr verbunden sein müssen“.
Zu den Erkenntnissen der Ermittler gehört auch ein Austausch zwischen Dressel und Tschentscher im Jahr 2019 zur Cum-Ex-Steuerschuld der Warburg-Bank, als Letzterer bereits zum Finanzsenator aufgestiegen war. Dieser war auch bereits im PUA thematisiert worden. Erst jetzt wird aber klar, dass es intern Beschwerden darüber gab, dass hier eine schriftliche Spur hinterlassen worden sei. Dressel dürfe mit Tschentscher doch gar nicht über das Thema sprechen, schrieb Tschentschers persönlicher Referent in einer Mail, die den Ermittlern vorliegt. Die genauen Hintergründe sind aber noch nicht klar.
„Es ging nicht um den Inhalt des Steuerfalls"
Zumindest nach Darstellung des Senats soll aber auch dieses Detail einen falschen Eindruck erzeugen. Es habe keinen Schweigepakt gegeben, auch sei das Steuergeheimnis bei dem Austausch nicht verletzt worden. „Es ging nicht um den Inhalt des Steuerfalls und die Entscheidungsfindung der Steuerverwaltung, sondern einzig um deren mögliche Folgen für Hamburg“. Diese habe er Tschentscher zur Kenntnis gebracht. Das sei politisch geboten gewesen, da Hamburg zu diesem Zeitpunkt eine erhebliche Steuerschuld der Warburg-Bank zurückforderte und dies wirtschaftliche Folgen für den Standort insgesamt hätte haben können. Auch sei der Vorgang damals bereits „medienöffentlich“ gewesen.
Auf die Frage, warum der persönliche Referent von Tschentscher sich dennoch beschwerte, sagte Dressel: „Es ist in der Tat wichtig, dass die Bearbeitung und Entscheidung der Steuerfälle einzig in der Finanzverwaltung liegt und diese Fragestellungen nicht außerhalb erörtert werden. Auf diese grundsätzliche Trennung wurde hier hingewiesen.“ Senatssprecher Schweitzer stellt den Vorfall genauso dar.
Cum-Ex-Skandal: Löschen der E-Mails war strafbar
Der renommierte Rechtsanwalt Gerhard Strate, der sich zuletzt auch mit mehreren Strafanzeigen in die Affäre einschaltete, pflichtet den SPD-Spitzenpolitikern zumindest in einem Punkt bei: Es sei „Unsinn“, dass Dressel das Steuergeheimnis verletzt haben könnte. Zu den möglicherweise verschwundenen Mails weist Strate aber auf den Grundsatz der Vollständigkeit der Aktenführung hin. „Das Bundesverfassungsgericht verlangt für Akten der Behörden das Prinzip der Aktenvollständigkeit. Weder Aktenbestandteile noch E-Mails dürfen gelöscht werden. Wer sich daran nicht hält, begeht eine strafbare Urkundenunterdrückung“, so Strate.
Die Obleute im PUA bemühen sich auch im Lichte der neuen Erkenntnisse, ein vollständiges Bild der Geschehnisse in der Finanzverwaltung zu erhalten. Das betrifft auch den WhatsApp-Chat der Finanzbeamtin Daniela P. mit einer Kollegin, in dem von dem „teuflischen Plan“ die Rede war, der mit dem damaligen Erlass der 47 Millionen Euro Steuerschuld aufgegangen sein soll.
Zwei Aktenordner bei PUA eingegangen
In den zwei Aktenordnern, die nun beim Hamburger PUA eingegangen seien, fänden sich lediglich von der Staatsanwaltschaft abgeschriebene Teile des WhatsApp-Chats, hieß es aus dem Ausschuss. Nun werde man Einsicht in die kompletten Chatverläufe beantragen, also in das Originalmaterial, das die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt habe.
Aus den bereits vorgelegten Unterlagen gehe hervor, dass es insbesondere um das entscheidende Treffen im November 2016 zwischen Finanzamt für Großunternehmen und Finanzbehörde, bei dem der Verzicht auf die Rückforderung beschlossen wurde, so gut wie keinen Schriftverkehr mehr vorliege. Was die Umsetzung des „teuflischen Plans“ angeht, so könnte diese laut Beobachtern darin bestanden haben, dass die Finanzbeamtin P. zwar einen Vermerk fertigte, in den dem die Rückforderung als notwendig dargestellt wurde, in der Folge aber immer wieder Argumente für einen Verzicht auf diese Forderung in die Debatte eingebracht hatte.
"Tschentscher klar in politischer Verantwortung"
Unklar ist allerdings auch Insidern, was P. getrieben haben könnte. Die Opposition geht davon aus, dass die Regierungsfraktionen P. individuelle oder egoistische Motive unterstellen könnten – um mögliche Verantwortliche in höherer Position herauszuhalten. „Bisher haben Olaf Scholz und Peter Tschentscher stets behauptet, die Verwaltung habe einwandfrei gearbeitet. Das ist nun klar widerlegt“, sagte Linken-PUA-Mitglied David Stoop dem Abendblatt.
„Wer teuflische Pläne schmiedet, arbeitet nicht rechtlich einwandfrei. Der damalige Finanzsenator Tschentscher ist klar in der politischen Verantwortung. Wenn er in die teuflischen Pläne seiner Untergebenen nicht eingreift, ist das ein Handeln durch Unterlassen.“
Cum-Ex-Skandal: War Nachricht ironisch?
Für den SPD-Abgeordneten Milan Pein ist dagegen klar, dass es sich bei dem Verhalten von Daniela P. nach allen Erkenntnissen vor allem um einen „einsamen Plan“ gehandelt habe. Auch die Staatsanwaltschaft habe bislang keine Hinweise auf eine mögliche politische Einflussnahme gefunden. Unter denjenigen, die nicht an ein Komplott glauben, gibt es auch noch eine andere Interpretation des Chats von Daniela P.: Sie habe unter enormen Druck gestanden, sich Vorwürfe dafür anhören müssen, auch Argumente für einen Erlass vorzubringen.
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Der „teuflische Plan“ könnte folglich ein ironischer Kommentar darauf gewesen sein, dass diese Kritiker sich nun im Recht sähen. Die Chatpartnerin der Frau könnte die Frage möglicherweise beantworten. Sie soll nach Wunsch von SPD und Grünen ebenfalls im PUA aussagen. Für den 19. August ist eine weitere Befragung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Ausschuss angesetzt.