Hamburg. Bohrung in Hamburg-Wilhelmsburg bringt verblüffende Erkenntnisse über Warmwasserversorgung. Wie Geothermie Putin ein Schnäppchen schlägt.
Hier war früher der Nordseestrand – vor 45 Millionen Jahren: Ein gigantisch tiefes Loch in Wilhelmsburg könnte zum Schlüssel einer Wärmeversorgung für Tausende Hamburger Haushalte werden. Das Geothermieprojekt der Hamburger Energiewerke und von Hamburg Wasser hat nach einer aufwendigen Probebohrung in mehr als 3000 Meter Tiefe mehr als 100 Grad heißes Thermalwasser gefunden, von dem man nicht sicher ist, ob es für eine breiter angelegte Nutzung taugt. Allerdings wurde quasi auf dem Weg dorthin in nur 1300 Meter Tiefe unerwartet eine Gesteinsschicht entdeckt, die verheißungsvolle erste Ergebnisse zeigt.
3000-Meter-Loch – Thermalwasser im Hamburger Untergrund
Die Geschäftsführerin der Energiewerke, Kirsten Fust, sagte an der Bohrstelle nahe dem Dockville-Gelände, jetzt sei die zweite Bohrung sogar günstiger, weil man nicht mehr so tief hinuntermüsse.
„Wir konnten mit unserer Erkundungsbohrung erfolgreich nachweisen, dass im Hamburger Untergrund Thermalwässer fließen, die ein Potenzial für die geothermische Wärmegewinnung aufweisen. Damit sind wir unserem Ziel einen großen Schritt nähergekommen, grundlastfähige und lokale Ökowärme für Hamburger Haushalte zu gewinnen.“ Dieses Wasser hat etwa eine Temperatur von 50 Grad Celsius.
Geothermie: So funktioniert das Prinzip
Tiefenbohrung in Hamburg einzigartig in Norddeutschland
Geothermie nutzt die immer vorhandene Erdwärme, um Häuser und möglicherweise ganze Siedlungen mit Wärme für Heizungen und warmem Wasser generell zu versorgen. Die „explorative“, also erforschende, in Norddeutschland bislang einzigartige Tiefenbohrung in Wilhelmsburg kann dabei dieselbe Technik nutzen, mit der schon heute Häuser und ganze Wohnblocks nach einem ökologischen KfW-Standard mit Wärme versorgt werden.
Vereinfacht gesagt, wird das heiße Wasser aus der Tiefe zum Verbraucher befördert. Das auf „halbem Weg“ gefundene Wasser in Wilhelmsburg stammt aus einem „geothermischen Reservoir“ einer 130 Meter mächtigen Sandsteinschicht. Mittels Wärmetauscher und Wärmepumpe gelangt es in die Haushalte. Von dort fließt das erkaltete Wasser durch eine Parallelbohrung („Injektionsbohrung“) zurück in die Erde. Der Thermalkreislauf ist geschlossen. Und: Anders als im Kohlebergbau etwa entstehen keine Hohlräume, die zu einem Absacken oder Rutschen von Erdschichten führen könnten.
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Die bisherigen Daten, die man aus Bohrungen hatte, stammen aus Erdölerkundungen der 50er-Jahre. Die neuen Ergebnisse können auch dazu beitragen, in Hamburg weitere Flächen zu finden, auf denen man „vor Ort“ Energie erzeugen kann, um ganze Quartiere mit Wärme zu versorgen. Das betonte auch Umwelt-Staatsrat Michael Pollmann (Grüne). Er sagte, vor dem Hintergrund der Energiekrise sei das positiv für ganz Norddeutschland. „Geothermie benötig wenig Platz.“
Tatsächlich findet selbst die 3000-Meter-Bohrung auf einem Feld statt, das nicht größer ist als zwei Fußballplätze. Denkt man an Großquartiere, wie sie auch in Wilhelmsburg entwickelt werden oder im neuen Stadtteil Oberbillwerder, eröffnet das Perspektiven. Was Staatsrat Pollmann nicht sagte: Je weniger Gas oder Öl für private Haushalte aufgewendet werden muss, desto mehr ist in Krisenzeiten davon für die Industrie da. Die „konkurriert“ um die Reserven mit den Privathaushalten.
Wissenschaftler eher zurückhaltend
In der – möglichst schnellen – Versorgung mit alternativen Energien stecken viel Hoffnung und Optimismus. Die in Wilhelmsburg beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen sich noch zurückhaltend. Kernfragen trauen sie sich anhand der neuen Daten offensichtlich noch nicht zu beantworten: Wie tief muss man bohren, um ausreichend „Temperatur“ im Wasser für eine möglichst große Zahl an Haushalten zu haben? Wie viel Strom benötigen die zusätzlichen Wärmepumpen? Kann der „nebenan“ durch Fotovoltaik erzeugt werden? Überwiegt der Nutzen der Tiefenbohrung die Risiken? Was sind die Kosten? Wie sieht am Ende die Klimabilanz dieser neuen Ausbaustufe der Geothermie aus?
Ingo Hannemann, Geschäftsführer von Hamburg Wasser, sprach von „wichtigen Erkenntnissen“ der projektbegleitenden Forschung über die „energetischen Potenziale“ Hamburgs. 22,5 Millionen Euro steckt das Bundeswirtschaftsministerium in das Projekt IW3 (Intergierte Wärmewende Wilhelmsburg).
Im charmant umgebauten Energiebunker auf der Elbinsel lässt sich die Idee für ein integriert nachhaltig beheiztes Hamburg schon bewundern. Das Dach ziert eine riesige Solarthermieanlage, an der Außenwand hängt die Fotovoltaik für den benötigten Strom. Im Innern thront ein Wärmespeicher. Eine „Insel-Lösung“ als Blaupause.