Hamburg. 51 Prozent mehr Fälle in Hamburg als vor einem Jahr. Haltern drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Dramatischer Appell der Heimbetreiber.

Die Box stand beim Kriegerdenkmal in Rahlstedt. Ein Kasten, in dem vier Katzenwelpen steckten, hilflos, krank — und ihrem Schicksal überlassen. Die vier Tiere waren offensichtlich ausgesetzt worden. Sie waren gerade mal etwa acht Wochen alt und in ihrem Leben noch nie beim Tierarzt gewesen. Eine gute Seele nahm sich der kleinen Katzenwelpen an und brachte sie zum Tierheim Süderstraße, wo die Kleinen nun professionell gepflegt und versorgt werden. Es geht ihnen inzwischen recht gut.

Es gibt aber andere ausgesetzte Tiere, die trotz intensiver Bemühungen nicht mehr gerettet werden konnten. Denn dieser Vorfall mit den von ihren Besitzern offensichtlich vernachlässigten Katzenwelpen vom 22. Juli ist nur einer von vielen, die den Hamburger Tierschutzverein (HTV) jetzt Alarm schlagen lassen.

Tierheim Süderstraße zieht düstere Bilanz

Wenige Tage nach der Halbzeit der Sommer­ferien muss der HTV eine düstere Bilanz ziehen: Vom ersten Ferientag in Hamburg (7. Juli) bis zum 1. August wurden 133 Tiere mutmaßlich ausgesetzt – darunter acht Hunde, 38 Katzen, 21 Kaninchen und 17 exotische Vögel wie Wellensittiche oder Kanarienvögel. Auch Schildkröten, ein Gecko und eine Kettennatter sind dabei.

Heiko wurde Ende Juli im Naturschutzgebiet Wittmoor ausgesetzt.
Heiko wurde Ende Juli im Naturschutzgebiet Wittmoor ausgesetzt. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Unter diesen Aussetzungen befinden sich Tiere, die nach Überzeugung des HTV „ganz offensichtlich einem ungewissen, lebensbedrohlichen Schicksal überlassen oder gar zum Sterben ausgesetzt wurden“, heißt es jetzt beim Tierschutzverein. Diese Fälle will der HTV strafrechtlich verfolgen lassen. „Wir wissen gar nicht mehr, wo wir anfangen sollen“, so Tierschutzberaterin Gina Lularevic über die Anzahl der sich häufenden Tierrechtsverletzungen. Zum Vergleich: Vor einem Jahr waren es lediglich 88 Tiere. Die Zahl der Fälle nahm also um 51 Prozent zu.

Polizei verständigt Hamburger Tierschutzverein

Die besonders schwerwiegenden Tierrechtsverletzungen und Aussetzungen sollen verfolgt und zur Anzeige gebracht werden, nicht nur um die Täterinnen und Täter zur Rechenschaft zu ziehen, betont Lularevic. Es gehe ebenso darum zu verhindern, dass weiteren Tieren vergleichbares Leid angetan werde. Ein weiteres Ziel sei es, ein Zeichen zu setzen, dass Aussetzungen kein Bagatelldelikt sind – insbesondere dann nicht, wenn die Tiere in akuter Lebensgefahr ausgesetzt werden, sagt die Tierschützerin.

Dass Tieraussetzungen kein Bagatell­delikte sind, bestätigen auch Polizei und Staatsanwaltschaft. Meldet ein Bürger der Polizei ein ausgesetztes Tier, also beispielsweise Katzen im Karton oder einen angebundenen Hund, erscheint die Schutzpolizei vor Ort. Die Polizei nimmt das Tier mit zur Wache und verständigt den HTV, der das Tier von der Polizeiwache abholt.

Zwergkaninchen in einem Karton ausgesetzt

Die Polizei meldet den Tierfund dem Veterinäramt, das entweder ein Ordnungswidrigkeitsverfahren oder eine Strafanzeige wegen Verstoßes gegen Paragraf 17 des Tierschutzgesetzes erstattet. „In klaren Fällen leitet die Polizei von sich aus ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz ein“, erklärte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Bei einer Ordnungswidrigkeit droht dem Halter ein Bußgeld von bis zu 25.000 Euro. Wird eine Straftat festgestellt, kann diese mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden.

Beispiele, wie Menschen ihre Tiere durch Aussetzung in Lebensgefahr bringen, gibt es laut HTV leider mehrere. So wurden drei weiße Zwergkaninchen am 24. Juli vor dem Nebeneingang des HTV in einem Karton ausgesetzt und von einem Mitarbeiter entdeckt. Die drei waren erst rund drei Wochen alt. Trotz intensiver Versuche der Tierpfleger, die Jungtiere aufzupäppeln, verschlechterte sich ihr Zustand rapide. Alle drei starben.

Drei Katzen mussten eingeschläfert werden

Außerdem wurde eine Langhaar-Mischlings-Katze am 15. Juli in Hausbruch in einem Karton im Park gemeinsam mit ihren zwei Welpen gefunden. Bei tierärztlichen Untersuchungen stellte sich heraus, dass sich die Katzen bereits vor der Aufnahme im HTV mit einer unheilbaren Krankheit, dem sogenannten FIV (auch Katzen-Aids genannt), angesteckt hatten. Allen drei Katzen ging es so schlecht, dass sie nur noch erlöst werden konnten.

Aussetzungen betreffen laut HTV nicht nur kranke oder alte Tiere: „Es ist leider wirklich alles dabei, was man irgendwie käuflich erwerben und als Haustier halten kann – das fängt beim Hamster an und endet beim Modehund“, erklärt Tierschützerin Lularevic. Beispielsweise wurde ein junger Spitz, der an ein Fahrrad gebunden war, in Barmbek entdeckt.

Zahl in diesem Sommer enorm gestiegen

Aber auch Kleintiere blieben von derartigen „Entsorgungen“ nicht verschont: Zwei Wellensittiche wurden zusammen mit ihrem Futter in einer Box vor einem Wohnhaus auf St. Pauli sich selbst überlassen, vier Ziertauben in einem Karton vor einem Horner Discounter abgestellt. Auch eine Schildkröte wurde gemeinsam mit einem Aquarium voller Fische in einem Innenhof in Stellingen ihrem Schicksal überlassen.

Dass die Anzahl der ausgesetzten Tiere in diesem Sommer im Vergleich zum vergangenen Jahr enorm gestiegen ist, hängt laut HTV-Sprecherin Cathleen Stegmann vor allem mit der – nach den zwei Jahren mit Corona-Restriktionen – höheren Reisefreiheit und der schlechteren wirtschaftlichen Situation vieler Menschen zusammen. In diesem Jahr seien deutlich mehr Urlaubsreisen möglich, und es werde weniger im Homeoffice gearbeitet, so Stegmann.

HTV sucht Zeugen

Die Zeit, die die Pflege eines Haustieres in Anspruch nimmt, könnten oder wollten viele Menschen nicht mehr aufbringen. Darüber hinaus seien Besuche beim Tierarzt teuer, jedoch unerlässlich. Dennoch kämen viele Haustierbesitzer dem nicht nach und setzten ihr Tier wegen der hohen Kosten aus. So wurde am 30. Januar in Langenhorn eine Mischlings-hündin angeleint in dem Kleingarten-Verein an der Moorreye gefunden. Das Halsband der Hündin war mit Medikamenten und einer Anleitung zu deren Einnahme bestückt, so die HTV-Sprecherin Cathleen Stegmann. Mittlerweile wurde die sieben Jahre alte Hündin vermittelt.

Der HTV bittet nun dringend um Hinweise, um eine vielversprechende Anzeige erstatten zu können: Wer hat zum jeweiligen Tatzeitpunkt der drei oben genannten Fälle auffällige Personen oder Handlungen beobachtet? Wer kennt die Tiere – oder wer weiß, dass die entsprechenden Tiere nicht mehr in ihrem Zuhause sind? Die HTV-Tierschutzberatung ist montags und mittwochs von 10 bis 14 Uhr telefonisch unter (040) 21 11 06 25 zu erreichen — oder per E-Mail an tierschutzberatung @hamburger-tierschutzverein.de.

Tierheim Süderstraße: Dringender Appell des HTV

Der HTV appelliert zudem an alle Tierhalterinnen und -halter: „Übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Tier bis zum Ende!“ Wer in eine Notsituation kommt, solle den Mut aufbringen, um Hilfe bitten und den HTV verständigen. „Man darf nicht vergessen“, sagt Tierschützern Lularevic: „Viele ausgesetzte Tiere werden niemals gefunden und versterben – oder sie werden in einem so schlechten Zustand gerettet, dass sie nur noch von ihren Leiden erlöst werden können.“