Hamburg. Brigitte Engler wünscht sich mehr Polizei in der Innenstadt. Der Umbau des Boulevards werde weitere Probleme bringen.
Die Innenstadt hat schon bessere Zeiten erlebt: 2020 kam die Pandemie und ließ viele Geschäfte, Restaurants und Kultureinrichtungen trockenfallen, nun beschert der Krieg eine Konsumflaute. Am Eingang der Mönckebergstraße haben gleich zwei Kaufhäuser die Segel gestrichen: Im Herbst 2020 verschwand Karstadt Sport, fast zeitgleich schloss der Kaufhof nach 53 Jahren. Brigitte Engler ist als Geschäftsführerin des City Managements Hamburg das Gesicht der Innenstadt – und nicht nur demonstrativ optimistisch, sondern wirklich gut gelaunt.
„Das waren zwei extrem schwierige Jahre“, sagt die Diplom-Betriebswirtin im Podcast „Was wird aus Hamburg?“. „Und das gilt für die Innenstadt besonders, weil hier kaum jemand wohnt, weil kein Mitarbeiter in den Büros arbeitete und kein Tourist kam. Ich bin damals durch menschenleere Straßen gelaufen. Das hat mich tief getroffen.“ Seit Mai verbessere sich die Lage kontinuierlich, sagt sie. „Das Leben kehrt zurück.“
Hamburger Innenstadt: Umsätze fast wie vor Corona
Besucherfrequenz und Umsätze näherten sich der Vor-Corona-Zeit. „Wir liegen bei 80 bis 90 Prozent, haben einzelne Spitzentage, an denen die Frequenz höher liegt als vor drei Jahren und die Umsätze auf dem gleichen Niveau.“ Traditionell ein Viertel der Umsätze stammt in Hamburg von Touristen. Auch die kehren zurück; das Statistikamt zählte im April sogar mehr Übernachtungen als 2019, seitdem hält sich der Trend. Derzeit schauen viele Urlauber von Nord- und Ostsee für einen Tag in die Innenstadt vorbei. „Das Neun-Euro-Ticket nützt der Stadt – wir sehen viel junges Publikum und viele Familien.“
Die schlechte Stimmung der Konsumenten scheint zwischen Alster und Elbe noch nicht angekommen. Der GfK-Konsumklimaindex hatte zuletzt den schlechtesten Wert seit Beginn der Erhebungen 1991 ausgewiesen. „Davon spüren wir akut noch nichts, aber im Herbst könnte es durchschlagen“, fürchtet Engler. „Die hohen Energiepreise wird der Handel zu spüren bekommen.“ Völlig unklar sei, wie sich die Corona-Lage entwickele. Derzeit spürten viele Händler das Virus nur, weil viele Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen.
Noch viel Leerstand in Hamburger Innenstadt
Und doch hat die Pandemie Spuren im Stadtbild hinterlassen: Der Leerstand in der City ist nicht allgegenwärtig, aber doch unübersehbar. Engler setzt darauf, dass dieser in den kommenden Wochen abnimmt. „Für viele Flächen laufen Verhandlungen, und in drei, vier Monaten stehen mehrere Eröffnungen und Revitalisierungen an. Hilfreich ist auch das Engagement der Kreativgesellschaft“, lobt die gebürtige Münsteranerin. So bespielen derzeit Start-up-Händler, Künstler oder Institutionen das ehemalige Karstadt-Sport-Haus; die Kreativgesellschaft übernimmt alle Nebenkosten, die Mieter zahlen lediglich 1,50 Euro pro Quadratmeter.
„Viele der leer stehenden Flächen werden zwischengenutzt. So zeigt die Innenstadt ein kreatives Bild.“ Eine besondere Ausstellung hat bis Anfang Oktober eine Heimat im ehemaligen Kaufhof gefunden – dort sind 150 Werke des berühmten Street-Art-Künstlers Banksy zu sehen. Und nicht jeder Leerstand sei ein Zeichen der Krise, betont Engler. So werde das Hanseviertel derzeit komplett neu entwickelt. „Zum Jahreswechsel wird dort neue Gastronomie einziehen und das Quartier beleben.“
Tschentscher stellt Innenstadtkoordinatorin ein
Engler, die seit 16 Jahren Geschäftsführerin des City Managements ist, spürt ein Umdenken der Vermieter. „Die meisten Grundeigentümer wissen, dass Qualität des Angebots den Maximalmieten vorzuziehen ist. Es gibt nun deutlich mehr Zugeständnisse, weil die Innenstadtentwicklung auf der Seite der Mieter ist.“
Ausdrücklich begrüßt die frühere P&C-Managerin die neue Innenstadtkoordinatorin. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte im Juni die neue Stelle geschaffen und mit der Stadtplanerin Elke Pahl-Weber hochkarätig besetzt. „Wir hatten ein sehr gutes Gespräch mit ihr und sind uns einig, dass die City fußgängerfreundlicher werden, aber für Autofahrer erreichbar bleiben muss. Die Baustellen sollten besser koordiniert werden.“
City-Managerin für mehr Polizeipräsens
Die Verkehrsberuhigung auf dem Jungfernstieg sieht Engler mit gemischten Gefühlen: „Wir müssen Sorge dafür tragen, dass ortsunkundige Autofahrer problemlos ein Parkhaus erreichen. Der Umbau des Jungfernstiegs wird noch weitere Verkehrsprobleme bringen.“ Zugleich lobt sie, dass die Aufenthaltsqualität an der Binnenalster zugenommen hat. „Die Stadt hat gewonnen.“
Ein wichtiges Thema bleibe Sicherheit und Sauberkeit. „Der Bezirk berechnet die Ausgaben nach Quadratmetern – der Betrag müsste aber in der City höher sein, weil hier viele Menschen zusammenkommen.“ Zudem wünscht sich Engler mehr Polizei vor Ort: Mit Sorge sieht die City-Managerin, dass der Jungfernstieg im Sommer ein Treffpunkt für junge Menschen ist, an dem es leider zu Konfrontationen kommt: „Die Lage ist brisant. Wir benötigen viel Fingerspitzengefühl, um die jungen Menschen zu integrieren und einzubeziehen.“
Weihnachtsmarkt in Hamburger Innenstadt unsicher
Eine Möglichkeit sei, mit Kulturveranstaltungen wie dem Binnenalster-Filmfest oder Musikabenden wieder mehr Hamburger zu motivieren, in die Innenstadt zu kommen. Das Alstervergnügen hingegen vermisst sie nicht. „Ich wünsche mir kleinere vielseitige Feste. Auch das Stuttgarter Weindorf hat mir immer gut gefallen.“
Allerdings gibt es ein Problem: „Ich höre von Veranstaltern, wie unfassbar schwierig es geworden ist, ausreichend Betreiber zu finden.“ Auch der Weihnachtsmarkt sei nicht gesichert. „Uns gehen die Betreiber für die Buden aus“, sagt Engler. „Viele Betreiber haben in der Pandemie festgestellt, dass es attraktive Alternativen gibt, bei denen man nicht abends das Altfett entsorgen muss, ungeregelte Arbeitszeiten hat und unsichere Einnahmen.“ Ein großes Problem seien die hohen Sondergebühren der Stadt für die Veranstalter, ein anderes, dass viele Organisatoren für Events aufgegeben hätten.
Neue Einkaufsmeile von der Alster bis zur Elbe
Dabei machen Feste eine Stadt lebendig – sie verändern das Bild und ziehen Menschen von auswärts an. „Auch Kultur ist ein großer Gewinn und wichtiger Verstärker“, sagt Engler und lobt die zwölf Affen-Skulpturen des chinesischen Künstlers Liu Ruowang, die die Mönckebergstraße in eine Freiluft-Kunstmeile verwandelten. „Sie haben viele Menschen neu in die City gelockt. Davon wünsche ich mir mehr.“ Zahlen belegen den Erfolg der Ausstellung der 3,5 Meter hohen Kulturprimaten: So stieg die Frequenz Anfang Juli auf Höhe des Levantehauses um 62 Prozent über den Durchschnitt der vergangenen zwölf Monate, die anderen Einkaufsstraßen verzeichneten am selben Sonnabend nur ein Plus zwischen drei und 38 Prozent.
Für die Zukunft der Innenstadt ist eine bessere Vernetzung mit der HafenCity von entscheidender Bedeutung. Es gilt, Brücken zu schlagen: Vom Rathaus ist es genauso weit zum Hauptbahnhof wie zum Überseequartier, doch während die eine Strecke kurzweilig ist, schreckt die andere mit ihren Verkehrsschneisen ab. Engler erwartet, dass Hamburg von der Ausweitung der Einzelhandelsflächen im Überseequartier um knapp 30 Prozent profitiert. „Dadurch verändert sich die Wahrnehmung. Wir bekommen eine Einkaufsmeile von der Alster bis zur Elbe und werden im internationalen Vergleich als Shopping-Destination nach oben springen. Dann kann sich Hamburg mit Mailand messen.
Wie attraktiv ist die Innenstadt in Zukunft?
Kritische Stimmen gebe es zwar noch in der City, sie seien aber seltener geworden. „Es wird eine Umverteilung von Umsätzen geben, zugleich werden wegen der gestiegenen Attraktivität deutlich mehr Besucher in Hamburg einkaufen.“
Die unbeantwortete Frage lautet, wie groß dieser Staubsauger-Effekt ausfällt. Die HafenCity verfügt mit dem Miniatur Wunderland, der Elbphilharmonie, dem Überseequartier (ab 2023) und dem Digital Art Museum (ab 2024) über zahlreiche Magneten, die City hingegen hat keine zusätzlichen Attraktionen gewonnen. Lange Zeit meinten Stadtentwickler, dass die Innenstadt von selbst läuft und keine besonderen Investitionen nötig sind. Damit ist es seit dem Siegeszug des Internethandels und durch die Pandemie vorbei.
- Nächster Elbtower-Mieter steht fest – er kommt aus Berlin
- Warum Händler die Kunden jetzt mit extremen Rabatten locken
- Branche ringt um Personal: Was jetzt auf die Gäste zukommt
„In der Vergangenheit war allein der Handel der Frequenzbringer – das wird in Zukunft so nicht mehr funktionieren. Die Innenstadt muss etwas bieten, was es online nicht gibt.“ Hamburg profitiere davon, dass die Grundeigentümer viel investiert hätten und die City so schön ist. „Aber darauf dürfen wir uns nicht ausruhen.“ Engler freut sich auf neue Attraktionen – die Kunsthalle etwa wird im Dezember 2023 eine Caspar-David-Friedrich-Ausstellung eröffnet. „Auch das Naturkundemuseum am Eingang der Mö würde uns natürlich sehr helfen.“ Nur müssen da die Immobilieneigner mitspielen.
Und was muss sich noch in Hamburgs guter Stube ändern? Engler hadert als Interessensvertreterin der Innenstadt und der HafenCity mit der Gestaltung der Plätze. „Der Gerhart-Hauptmann-Platz ist für viel Geld revitalisiert worden, aber man erkennt es kaum. Da hätten wir uns einen anderen Aufschlag gewünscht.“ Am Gertrudenkirchhof hingegen sei es gelungen, eine grüne Oase zu schaffen. „Wir brauchen dringend einen attraktiven Spielplatz – dafür fahren junge Familie oft einige Kilometer“, sagt Engler. Auch die Alster sei noch nicht ausreichend in die Stadt einbezogen. „Was spricht gegen einen Rave an der Alster? Was dagegen, das Binnenalster Filmfest zu verlängern? Dort sitzt man auf den Stufen des Jungfernstiegs wie in einem Amphitheater. Daraus können wir viel mehr machen.“
Ideenreiche Hamburger Innenstadt
Trotzdem ist ihr um die Zukunft nicht bange: „Große Städte werden weiterhin gut funktionieren – anders als Klein- und Mittelstädte.“ Menschen strebten dorthin, wo das Angebot groß ist. „Die Hamburger Innenstadt und die HafenCity werden bis 2030 über eine attraktive Verbindungsachse zusammengewachsen sein“, prognostiziert sie. Auch die Mobilität will Engler neu denken: „Wir sollen eine Ringlinie schaffen, die den inneren Wallring mit kleineren Fahrzeugen bedient und mit der HafenCity verbindet. Am besten mit einem kosten- und barrierefreien Angebot mit flexiblen Möglichkeiten zum Ein- und Aussteigen.“ Sie könnte sich auf dieser Strecke den Einsatz von Moia vorstellen.
So viel scheint klar: Der Innenstadt gehen die Ideen nicht aus. Und so könnten manche Abgesänge zu früh angestimmt worden sein.