Hamburg . Jeder ist drei Meter hoch und 600 Kilo schwer – am Sonntag wurden die mächtigen Skulpturen in der City aufgebaut. Das steckt dahinter.
Wenn Kunst künftig immer mehr daran gemessen werden wird, dass sie möglichst spektakulär, überwältigend, erlebbar ist, dann hat Hamburg seit heute eine Attraktion mehr: Zwölf riesige Affenmenschen, aus Bronze gegossen, jeder mehr als drei Meter hoch, bevölkern einen Teil der Mönckebergstraße.
Sie alle blicken mit geöffneten Augen gen Himmel; ihre Haltung ist etwas gebückt, die Hände liegen auf den leicht gebeugten Knien. Fast wirken die Tiere trotz ihrer Masse schüchtern. Ein Tier schürzt die Lippen, eines streckt die Zunge heraus, ein anderes staunt mit geöffnetem Maul. Von „faszinierend“ bis „Steuergelderverschwendung“ reicht die Reaktionsbandbreite der Passanten. Wer allerdings stehen bleibt, die Affen aus der Nähe betrachtet oder durch die Gruppe hindurchläuft, wird Zeuge ihrer würdevollen Kraft.
Spektakuläre Kunst in Hamburg: Affen als Ursprung
Geschaffen hat sie der Chinese Liu Ruowang, Jahrgang 1977, vielen bekannt als Fokuskünstler der NordArt in Büdelsdorf, der größten Außenausstellung zeitgenössischer Kunst in Europa. Er wolle „eine Situation, eine Welt herstellen, die mit Affen beziehungsweise mit unserem Ursprung verbunden ist: die Natur, das Leben im Dschungel, das Ökosystem, auch die menschlichen Geschichten und die Entwicklung der Zivilisation.
Ich brauche eine Gruppe von Skulpturen und solche überdimensionalen Figuren, um das große Ganze darzustellen. Durch diese exorbitanten Affenmenschen mit ihren unterschiedlichen Gesichtsausdrücken wird auch das Signal stärker“, sagt der in Peking lebende Künstler, der sich in seinen Arbeiten fortwährend mit der Herkunft und dem Ursprung des Menschen sowie dem Sinn unseres Daseins auseinandersetzt. In seiner Heimat ist Liu ein Superstar, der drei Museen betreibt und seine Kunst klug zu vermarkten weiß.
Anlieferung der Affen legte Mönckebergstraße lahm
Schon von Weitem waren die blinkenden Schwerlasttransporte der Firma Henry Kruse auszumachen, die am Sonntag pünktlich um 8.45 Uhr ihre kostbare Fracht auf Höhe von Peek & Cloppenburg abluden. Liegend, mit breiten Gurten fixiert, waren die jeweils 100.000 Euro teuren Skulpturen über die A 7 von Rendsburg kommend, in die Hamburger Innenstadt gelangt. Freudigst erwartet von Brigitte Engler und Dietmar Hamm vom City Management Hamburg, die die Idee hatten, mit Kunst im öffentlichen Raum die Straße nach Corona-Lockdowns und fast zwei Jahren Baustelle neu zu beleben.
Engler hatte früh am Morgen extra noch schnell die Stadtreinigung durch die Einkaufsstraße fegen lassen – einige Abifeiern hatten ihre nächtlichen Spuren hinterlassen. Der Verkehr wird für die Ausstellungsdauer umgeleitet, das Straßenstück komplett abgeriegelt. „Diesen Augenblick zu erleben ist etwas ganz Besonderes“, sagte die City-Managerin mit viel Hoffnung in der Stimme.
Mönckebergstraße wird zur Kulturmeile
Schließlich sei die Mönckebergstraße „quasi während dieser ganzen Zeit geschlossen gewesen“, ergänzte Hamm, der ebenso wie Engler großer NordArt-Fan ist und Liu, wie er kurz genannt wird, auch schon in Peking getroffen hat. Dabei gehe es nicht nur darum, dass der Einzelhandel wieder auf die Beine komme; man wolle die „Mö“ auch als Kulturmeile etablieren, mit dem Weltkulturerbe Speicherstadt und den Galerien im Kontorhausviertel im Rücken, den Restaurants – und neuerdings auch der Banksy-Ausstellung im stillgelegten Galeria Kaufhof sowie der Kreativfläche im ehemaligen Karstadt Sport-Gebäude.
Ob all das reicht, um wieder mehr Menschen in die City zu locken? Fest steht, dass die Affen, ebenso wie die reproduzierten Werke des Street-Art-Künstlers, Aufmerksamkeit erzeugen – bemessen an der Instagram-Selfie-Dichte.
Künstler verhindert wegen Chinas Corona-Politik
Der Künstler selbst konnte wegen Chinas strenger Corona-Politik nicht vor Ort sein. Dass seine Werke, wie jetzt gerade sein monumentaler „Mr. Pinocchio“, als kulturelle Botschafter allein um die Welt touren, ist Liu gewohnt. So wurde die 36 Affen umfassende Serie „Erbsünde“ schon im dänischen Sønderborg gezeigt, schlichen 100 Wölfe aus Metall auf dem Rathausplatz von Florenz umher („Wölfe kommen“). Die Aktion in Hamburg ist eine Premiere für den Künstler wie für die Stadt, denn erstmalig stehen die Affen als Gruppe im freien Stadtraum.
Juan Zaft, in der Büdelsdorfer Carlshütte für Chinese Affairs zuständig, ließ Liu per Video-Chat am Geschehen teilhaben. So konnte er live mitverfolgen, wie seine jeweils 600 Kilogramm schweren Skulpturen mithilfe eines Krans, der an den Gurten befestigt wurde, vorsichtig angehoben, in die Senkrechte gebracht und dann, von vier Mitarbeitern begleitet über die Straße schwebend, auf einem Podest an ihre jeweilige Position gehievt wurden. Was zuvor schwer vorstellbar war, war innerhalb von gut zwei Stunden erledigt – inklusive Franzbrötchen-Pause.
- MARKK öffnet „Archiv der Erfahrungen“ – was dahinter steckt
- Legendäre Modefotos und die Neugier auf das Leben
- Straßenfotografie im Jenisch Haus: Die Stille in der Stadt
Bis zum 17. Juli sind die Skulpturen zu besichtigen. Das Schöne wahrzunehmen, hoffnungs- und sehnsuchtsvoll daran festzuhalten – dazu will der Künstler mit seinen Werken aufrufen. Dass seine Affen zur selben Zeit eine Kritik an der zerstörerischen Kraft der Zivilisation und der Bedrohung der Natur sind, wirkt im Kontext der Shopping-Meile umso stärker. Vorausgesetzt, man lässt sich darauf ein.