Hamburg. Die Senatorin treibt mit der Science City den Umbau zur Stadt des Wissens voran und freut sich über eine unterirdische Elbphilharmonie.

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Im Bahrenfelder Sand ist Großes geplant – hier will sich die Stadt mit einem neuen Viertel auf die Weltkarte des Wissens zaubern. Dort entsteht rund um die Luruper Chaussee und auf der Trabrennbahn in den kommenden Jahrzehnten die Science City. Auf insgesamt 125 Hektar, einer Fläche, etwas kleiner als die HafenCity, soll ein Ort wachsen, der zugleich exzellente Forschungsbedingungen und attraktive Wohnlagen bietet. Nach den Ideen der Planer werden in rund 20 Jahren 3000 Wohnungen entstehen, aber auch 6500 Arbeitsplätze in Forschungseinrichtungen, Start-ups und Technologiezentren. Die Science City wird ein Motor für die Stadtentwicklung von morgen.

Eine der Verantwortlichen für das Gelingen des neuen Prestigeobjekts ist die grüne Senatorin Katharina Fegebank. „Die Idee eines Stadtteils, in dem die Wissenschaft die Stadtentwicklung treibt, ist in Europa einmalig“, sagt die Politikerin im Podcast „Was wird aus Hamburg?“ „Wir fangen nicht auf dem Reißbrett an, sondern nutzen eine großartige Forschungslandschaft, die sich dort in den vergangenen Jahrzehnten mit dem Desy, der Universität Hamburg und vielen weiteren Instituten, wie beispielsweise Max Planck, entwickelt hat.“

Stadtentwicklung: Desy wurde zum Leuchtturm von Hamburg

Das Forschungszentrum Desy für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung wurde 1959 gegründet und hat sich inzwischen zu einem Leuchtturm der Stadt herausgeputzt. „Ich bin geradezu euphorisch, wenn ich sehe, welche Sprünge die Wissenschaft in den vergangenen Jahren in Hamburg gemacht hat“, sagt die 45-Jährige mit tatsächlicher Euphorie: „In der Science City werden wir europaweit Standards setzen.“Das klang einmal ganz anders: Lange Zeit führte die Wissenschaft in Hamburg eher ein Nischendasein, bis 2014 eine Debatte die Lethargie löste.

Damals hatten der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) und die beiden ehemaligen Senatoren Wolfgang Peiner (CDU) und Willfried Maier (Grüne) mit ihrem Appell „In Sorge um Hamburg“ Aufsehen erregt. Sie konstatierten der Stadt schonungslos einen Bedeutungsverlust. Angesichts der Globalisierung sei es riskant, allein auf die bisherigen Stärken Hafen, maritime Cluster, Logistik, Finanzdienstleistungen, Luftfahrt und Medien zu setzen. Stattdessen müsse Hamburg massiv in Wissenschaft, Universitäten und Forschungseinrichtungen investieren – sie seien der Motor für die künftige Entwicklung.

"Wir müssen auch ins Risiko gehen"

Der Ökonom Henning Vöpel brachte es kürzlich auf den Punkt: „Will Hamburg ein Welthafen mit Regionaluniversität sein – oder das Boston von Europa mit einem Regionalhafen?“ Fegebank ist diese Gegenüberstellung zu einfach: „Wir sollten das eine wollen, ohne das andere zu lassen.“ Der Wohlstand, die Internationalität und das Selbstverständnis der Stadt rühre von der Stärke des Hafens und des Handels her, sagt die Grüne. „Es geht nicht darum, Hafen gegen Wissenschaft auszuspielen. Aber unsere Zukunft sind Forschung, Wissenschaft und Technologietransfer. Die Zukunft der Stadt wird davon abhängen, wie wir hier investieren. Dafür müssen wir auch ins Risiko gehen.“

Hamburg sei möglicherweise eine spätberufene Stadt des Wissens, sagt die Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung. „Heute aber ist Hamburg auf der Überholspur unterwegs, erst kürzlich ist die Universität Hamburg Exzellenz-Uni geworden.“ Kritische Bewertungen wie etwa schwache Platzierungen in Universitätsrankings oder geringe Forschungsausgaben hält sie für nicht angemessen: „Wir sind in manchen Disziplinen wie der Physik mit der Universität Hamburg und dem Desy schon jetzt Weltklasse. Und wir haben ein exzellentes Netzwerk von Forschungseinrichtungen. Die Präsidenten der Helmholtz- und Leibniz- Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft loben die spektakuläre Entwicklung.“

Infocenter für die Science City hat eröffnet

Tatsächlich war Hamburg das letzte Bundesland, das eine Fraunhofer-Gesellschaft bekommen hat. Das war 2014 – inzwischen sind es sechs Einrichtungen von 3-D-Druck über Nanotechnologie bis zu maritimen Technologien. „Da entsteht, vielleicht etwas unter dem Radar der Öffentlichkeit, ein einzigartiges Ökosystem der Wissenschaft und Innovation.“ Das mäßige Zeugnis der OECD sieht die Zweite Bürgermeisterin als Ansporn. „Wir müssen uns besser in der Region und mit der Wirtschaft vernetzen.“

Noch ist davon nicht überall etwas zu spüren. Zwar hat gerade ein Infocenter für die Science City am Albert-Einstein-Ring 8–10 eröffnet, aber noch ist von den großen Plänen wenig zu sehen. Das Desy liegt hinter einem Wall und hohen Zäunen, vieles existiert bislang nur auf dem Reißbrett. Fegebank verweist lieber auf das, was fertig ist: „Das Gelände verändert sich rasant. Neue Forschungseinrichtungen sind dort entstanden, noch im laufenden Jahr kommt die Eröffnung eines weiteren Gebäudes der Max-Planck-Gesellschaft hinzu.“

„Die Science City wird niemals fertig sein"

Schon jetzt arbeiten und forschen auf dem Campus 3000 Wissenschaftler aus aller Welt. Zudem sollen die Universitäts­fakultäten Physik, Chemie und Teile der Biologie mit mehreren 1000 Studenten auf den dortigen Wissenschaftscampus ziehen. „Die Science City ist eine Vision, die in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren Gestalt annehmen wird. Aber sie wird niemals fertig sein – denn Wissenschaft ist ein sehr dynamisches Feld.“

Konzipiert wird die Science City als Stadt der kurzen Wege. „Innerhalb von 15 Minuten soll man alles erreichen, was man benötigt: Ärzte, Einzelhandel, Schulen, Sportstätten“, beschreibt die Grüne den stadtentwicklungspolitischen Ansatz. Der öffentliche Nahverkehr soll die anderen Forschungseinrichtungen wie das UKE oder die Universität in Eimsbüttel direkt anbinden.

Desyum soll zum Wahrzeichen werden

Aber benötigt ein neuer Stadtteil nicht auch ein Wahrzeichen, das die Menschen von außerhalb anlockt? In der HafenCity sind es mit der Elbphilharmonie, dem Überseezentrum von 2023 an und dem Digital Art Museum von 2024 an derer drei. „Dafür gibt es in Bahrenfeld das Desyum, das von 2023 an zentraler Anlaufpunkt für Besucher werden soll“, sagt Fegebank. Es bedürfe nicht immer eines spektakulären Gebäudes oder einer extravaganten architektonischen Idee. Ihr geht es um Inhalte. „Der Ort selbst wird Strahlkraft entwickeln, ein Ort, an dem die Ideen von morgen entstehen, ein Hotspot der Innovation. Diese Verbindung aus Leben und Forschen und Wissenschaft als Treiber der Entwicklung sucht man anderswo vergeblich – das ist viel mehr als München-Garching oder Berlin-Adlershof bieten.“

Auf verschiedenen Delegationsreisen in die USA, nach Cambridge oder nach Israel habe sie erlebt, wie Wissenschaft Stadtentwicklung befruchten könne. „Hamburg 2040 soll selbstbewusster sein und seine Stärken kennen. Wir haben mit dem European XFEL beispielsweise eine Elbphilharmonie unter der Erde. Vielleicht gibt es bald Starschnitte von unseren Wissenschaftlern und nicht nur von Rockstars oder Sportlern.“

„Wir müssen mutiger sein"

Aber ist Hamburg als Stadt attraktiv genug, um die klügsten Köpfe der Welt an die Elbe zu locken? Fegebank glaubt daran: „In der Fachwelt wird Hamburg inzwischen viel stärker wahrgenommen. Die Science City Hamburg Bahrenfeld ist dabei, international ein Begriff zu werden“, sagt die Zweite Bürgermeisterin. „Da gibt es wenige Alternativen in Europa.“ Zugleich wünscht sie sich, dass Hamburg international noch attraktiver wird. „Wir müssen mutiger sein, auch bei der Finanzierung neuer Ideen mit Wagniskapital“, sagt die langjährige Parteivorsitzende. Israel und die USA seien ein Vorbild. „Wir dürfen nicht länger Angst vor dem Scheitern haben.“

Fegebank selbst hat nach dem Abitur in London als Assistant Teacher gearbeitet und später im UN-Sekretariat Department for Economic and Social Affairs in New York. Als sie 2004 nach Hamburg kam, begann sie sich bei den Grünen zu engagieren – und legte eine rasante Karriere hin: 2008, vier Jahre nach ihrem Beitritt, wurde sie mit 31 jüngste Parteichefin in der Geschichte des Landesverbandes und entschied sich gegen eine Jobperspektive beim Welternährungsprogramm in Rom. 2020 holte sie als grüne Bürgermeisterkandidatin 24,3 Prozent.

Die Wissenschaft macht Hamburg weltweit bekannt

Und sieht weiteren Veränderungsbedarf in ihrer Wahlheimat: „Wir könnten noch schneller sein. Bekannter als früher sind wir schon, auch dank der Elbphilharmonie.“ Noch zu Zeiten der gescheiterten Olympia-Bewerbung, für die Fegebank engagiert focht, musste bei Präsentationen ein hinzugefügtes „Germany“ Hamburg verorten. „Inzwischen kennt man Hamburg. Die exzellente Forschung hilft auch, die Stadt bekannter zu machen.“ Wer kommt, der bleibt gern: „Hamburg ist eine coole Hansestadt – sie ist auf der einen Seite locker und gelassen, hat aber auf der anderen Seite etwas Verbindliches. Seit einigen Jahren sind wir Heimat für gute Ideen und am Puls der Zeit von Forschung und Entwicklung. Das macht die Stadt internationaler und attraktiver.“

Fegebank verweist auf die Theorie des Stadtforschers Richard Florida, der die 3 T (Technologie, Talente und Toleranz) als Kernbegriffe für erfolgreiche Städte definierte. Demnach entscheide diese kreative Klasse und ihre Innovationen über den Wohlstand der Städte. „Hamburg hat das Zeug, sich dahin zu entwickeln“, sagt die Mutter von zwei kleinen Mädchen. „Wir können stolz darauf sein, was wir hier entwickelt haben. Die besten Leute kommen nach Hamburg, sie schätzen die Freiheit von Forschung und Lehre, aber auch die Freiheit in der Stadt. Das alles ist im internationalen Vergleich von unschätzbarem Wert.“