Hamburg. Die Lage ist angespannt, die Kapazitäten nahezu erschöpft. Die Stadt sucht händeringend nach Unterkünften für ukrainische Geflüchtete.

Die Sozialbehörde spricht offen von einer sehr angespannten Lage: Da noch immer zahlreiche Geflüchtete aus der Ukraine täglich die Hansestadt erreichen, sind alle Kapazitäten in Erstaufnahmen, provisorischen Unterkünften und Folgeeinrichtungen nahezu erschöpft. „Die Situation ist schwierig“, sagte Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde, dem Abendblatt am Dienstagnachmittag auf Anfrage. Kommen wie in der jüngsten Zeit weiterhin etwa 60 Schutzsuchende pro Tag in Hamburg an, gibt es nur noch einige Tage bis wenige Wochen lang genügend Plätze.

Der Senat hat deshalb den Angaben zufolge bereits mehrere Gegenmaßnahmen ergriffen. „Es wird so knapp, dass wir uns ganz akut Gedanken machen müssen, wie noch zusätzliche Kapazitäten zu schaffen sind“, sagte Helfrich. Alle Reserveunterkünfte seien bereits aktiviert worden und nahezu voll belegt.

Krieg in der Ukraine: Hamburg sucht nach Notquartieren

An der Schnackenburgallee im Westen nahe der A7 leben etwa 1000 Menschen in der neuen, dort geschaffenen Unterkunft. In Niendorf wurde die Unterkunft an der Schmiedekoppel mit 1300 Bewohnern voll belegt. In Harburg übernachten etwa 600 Geflüchtete in der Halle des ehemaligen Fegro-Großmarktes. Das alles reiche aber nicht mehr lange aus. Insgesamt halten sich bereits 25.000 Schutzsuchende aus der Ukraine in Hamburg auf – 15.000 davon sind auf eine städtische Unterbringung angewiesen.

Deshalb hat die Stadt einerseits alle Bezirke gebeten, so schnell wie möglich Flächen für weitere Unterkünfte zu benennen. „Wir reden bei der Einrichtung aber nicht über einige Tage, sondern meist mehrere Monate“, so Helfrich. Als Akuthilfe kommt diese Lösung folglich kaum infrage. Die Sozialbehörde sucht deshalb auch nach Immobilien von Gewerbetreibenden, die sehr kurzfristig genutzt werden können. Neben Brandschutz- und Hygieneauflagen müssen aber auch andere räumliche Anforderungen, etwa ausreichend Wasseranschlüsse, erfüllt sein. Wie es in Senatskreisen heißt, ist die Stadt auch weiterhin gewillt, Gebäude zu hohen Kosten anzumieten, um den Zustrom noch bewältigen zu können.

Hamburg bittet Bund um Hilfe

Gleichzeitig hat die Stadt dem Bund signalisiert, dass die Kapazität nahezu erschöpft sei – und bittet darum, dass eintreffende Geflüchtete zunächst auf andere Bundesländer verteilt werden. „Wir hoffen, dass dem entsprochen wird“, sagte der Behördensprecher Helfrich.

Prekär macht die Lage zusätzlich, dass nicht nur in der Erstaufnahme, sondern auch den Folgeunterkünften keine Kapazitäten frei sein, um Neuankömmlinge zunächst dort unterzubringen. Die Zahl der Bewohner in den Folgeunterkünften lag lange Zeit bei etwa 30.000 Menschen und ist nach Kriegsbeginn nun auf 43.000 Menschen gestiegen. Dort sind neben Ukrainerinnen und Ukrainern viele Tausende Schutzsuchende aus anderen Ländern untergebracht.

Geflüchtete auch aus Afghanistan oder Syrien

Auch aus Afghanistan oder Syrien erreichen seit Jahren durchgängig weitere Geflüchtete die Hansestadt. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt macht es gleichzeitig für die Betroffenen schwer, eine eigene Bleibe zu finden – und sorgt dafür, dass viele Plätze in den städtischen Unterkünften teilweise jahrelang belegt bleiben.

Innensenator Andy Grote (SPD), der für die Erstaufnahme zuständig ist, hatte bereits im Frühjahr von einer „kritischen Situation“ und dem größten Zustrom von Asylbewerbern seit mehreren Jahrzehnten gesprochen. In der Folge bewältigte die Stadt die Aufgabe aber ohne vergleichbare Situationen wie in der Flüchtlingskrise 2015/2016, als Schutzsuchende auch in nicht vorher gereinigten Baumarkthallen oder sogar unter freiem Himmel übernachten mussten.

Alle Standorte müssen genutzt werden

Gefragt nach der Nutzung von großen Hallen wie nun wieder in Harburg, sagte Helfrich: „Das ist nicht der Standard der Unterbringung, den wir uns selbst wünschen würden.“ Die Lage mache es aber erforderlich, alle annehmbaren Standorte möglicherweise nicht nur für wenige Tage, sondern Wochen oder Monate zu belegen. Als Lehre aus der damaligen Flüchtlingskrise waren Reserveunterkünfte eingerichtet worden, um bei einem schnellen Anstieg der Zugangszahlen gewappnet zu sein. Außerdem wurde in den vergangenen Monaten unter anderem das ehema­lige Sofitel-Hotel am Alten Wall zu einer Notunterkunft für 800 Geflüchtete umgebaut. „Alle Joker sind jetzt aber gezogen“, heißt es aus dem Senatsumfeld.

Als Metropole zieht Hamburg besonders viele Schutzsuchende an. Nach Angaben der Sozialbehörde hat die Stadt bislang aber etwa auch nur so viele Geflüchtete dauerhaft aufgenommen, wie es nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel vorgesehen ist. Besonders ist nach Ansicht der Politik vor allem die enorme Geschwindigkeit, mit der sich der Zustrom der Geflüchteten aus der Ukraine entwickelt und nun nicht abebbt, da die Kämpfe in dem Land andauern.

Krieg gegen die Ukraine: Aus 2015/2016 wurde gelernt

Ebenfalls als Lehre aus den Jahren 2015/2016 sollen zu große Unterkünfte möglichst vermieden werden. Die entsprechenden sogenannten Bürgerverträge wurden mit einer Zusatzvereinbarung zwischen Senat und den „Initiativen für erfolgreiche Integration“ aber bereits Ende März teilweise ausgesetzt. Der geplante sukzessive Abbau von Unterbringungsplätzen ist damit vorerst kein Thema mehr.