Hamburg. Tief in der Hamburger Unterwelt verbergen sich stillgelegte U-Bahnhöfe – versteckt, vergessen und wie aus einer anderen Welt.
Das gelbe Plakat ist an den Seiten etwas ausgerissen: Seit 47 Jahren schon kündigt es den Circus Krone an. Vom 19. September bis 8. Oktober 1968 gab es täglich zwei Vorstellungen auf dem Heiligengeistfeld. Das Plakat hängt nicht etwa in einem Museum – sondern seit Jahrzehnten in einer gesperrten U-Bahn-Röhre am Hauptbahnhof.
Zwei U-Bahn-Röhren mit Bahnsteig, an dem noch nie ein Zug abgefahren ist, liegen seit 47 Jahren 19 Meter tief unter der Erde am Hauptbahnhof Nord – verlassen, vergessen. Damals hatte die Hamburger Hochbahn große Pläne für eine neue U-Bahn-Linie. Doch aus finanziellen Gründen wurden sie nie verwirklicht. Seitdem liegen zwei der vier Gleise an der U-Bahn-Station Hauptbahnhof Nord verlassen brach, abgesperrt im Dunkeln. Auf den beiden mittleren Schienen fahren heute die Linien U 2 und U 4 ab.
Hinter den Absperrgittern sind interessante Details zu entdecken. In der südlichen Röhre reist man ins Jahr 1968 – das Jahr der Eröffnung der U-Bahnstation. Auch wenn nie ein Zug am Gleis hielt: Die Werbung war schon angebracht. Noch heute preisen die Plakate das NDR-Symphonieorchester unter der Leitung von Hans Schmidt-Isserstedt oder werben für das längst geschlossene Kaufhaus Horten.
Hinter Gittern verbirgt sich sogar ein Kunstwerk, unbeleuchtet und vergessen
Die Gewerbeförderungsanstalt der Handwerkskammer bietet ein Seminar „lerne für morgen“ an. Die Hinweisschilder auf dem Bahnsteig weisen den Weg noch zur Haltestelle der Straßenbahn, ein Verkehrsmittel, das in Hamburg längst abgeschafft wurde. Es ist eine versunkene Welt, die sich hier tief unter dem Hauptbahnhof verbirgt. Der Besuch wird zu einer Zeitreise. Nur eines fehlt zu einem vollständigen Bahnhof: Es sind keinerlei Gleise verlegt.
Gestört wird die 60er-Jahre-Kulisse auch von einem modernen, knallgrünen Zelt, das in der Mitte des Bahnsteigs in einer Nische aufgebaut ist. Es wurde vor einiger Zeit von der Hochbahn im öffentlichen Teil der Haltestelle gefunden. Der Besitzer hat sich bis heute nicht gemeldet.
Auf der anderen Seite, in der nördlichen Röhre, liegt seit 1994 das Kunstwerk „Firmament“ von Stephan Huber und Raimund Kummer versteckt. In der Röhre verteilen sich auf dem Gitterboden mehr als hundert sternförmige Betonsteine. Sogenannte Himmelsstücke sollen im Ostteil der Röhre aus allen Wolken stürzen.
Der Betrachter soll die Kunst interpretieren – es gibt nur ein Problem: Seit einigen Jahren ist das Licht in dem Tunnel ausgefallen. Die zuständige Kulturbehörde kann noch nicht sagen, wann das Licht wieder brennt. Das Kunstwerk solle aber aufgebaut bleiben, solange es die Hamburger Hochbahn weiter genehmige.
Der Türöffner zum Hauptbahnhof
Knapp 600 Meter weiter östlich liegt unter der Kurt-Schumacher-Allee ein weiterer unbenutzter U-Bahn-Tunnel ohne Gleise. Von 1915 an fuhr hier ein Zug, der die Innenstadt mit Rothenburgsort verband – als Erweiterung ersten U-Bahn-Linie, die vor rund 100 Jahren in Hamburg in Betrieb genommen wurde: die heutige U 3-Ringlinie. Die Strecke nach Rothenburgsort wurde auf Höhe der Norderstraße auf einem Viadukt weitergeführt, das 1943 bei den Bombenangriffen der Alliierten die Strecke fast komplett in Schutt und Asche gelegt wurde.
Nach dem Krieg lohnte sich ein Wiederaufbau nicht, sodass die Gleise zurückgebaut wurden. Nachdem der Tunnel als Luftschutzkeller ausgedient hatte, lagerte die Versicherung „Volksfürsorge“ dort ihre Akten. Dabei bewiesen die Mitarbeiter durchaus Humor. Ein alter, hölzerner und runder Höhenanstiegsanzeiger wurde kurzerhand mit Zahlen beschriftet und als Dartscheibe verwendet.
Als 1961 die U 1 gebaut wurde und der Tunnelbereich in Richtung Hauptbahnhof Süd zugemauert werden musste, verewigte sich ein Bauarbeiter: In einen Klumpen Mörtel an der betonierten Trennwand zur U 1 hinterließ er seinen Handabdruck und schrieb in blauer Schrift daneben: Türöffner zum Hauptbahnhof. Im letzten Jahrzehnt zog die Versicherung ihre Akten aus dem Teilabschnitt des Tunnels ab. Es gab nach neuen Vorschriften zu wenige Fluchtwege. Beim Bau 1915 waren sie in den Planungen nicht vorgesehen.
Gleise, auf denen noch nie ein Zug verkehrte
Eine Geisterstrecke gibt es auch in der HafenCity. Zwar gibt es in den Tunneln der U-4-Erweiterungsbaustelle hinter der Haltestelle HafenCity Universität Gleise, aber auch hier fuhr bis heute noch kein Zug. Bis 2018 soll die Strecke von der jetzigen Endhaltestelle HafenCity Universität bis zum neuen Haltepunkt Elbbrücken fertiggestellt werden. Im Moment ist jedoch erst die Kehr- und Abstellanlage gebaut. Hier sollen nach Betriebsschluss abgestellt werden oder bei besonderen Veranstaltungen Verstärkerzüge bereitstehen. Zwei Gleise in Richtung Elbbrücken liegen bereits auf einer Länge von etwa 230 Metern, doch die Strecke endet danach an einer Zwischenwand abrupt.
Das liegt daran, dass der Ausbau in verschiedene Abschnitte aufgeteilt ist und jeder Bereich von einer Betonwand abgetrennt wurde, damit das Wasser der nahen Elbe aus dem Untergrund abgepumpt werden konnte. Regenwasser steht dafür nach einem kräftigen Gewitter im zukünftigen Notausstieg. Von oben scheint dafür die Sonne durch zwei Lücken in den 20 Meter tiefen Tunnel hinein. Dort wurden die Materialien zum Ausbau in die Tiefe gebracht. Ein paar wichtige Details fehlen noch zur Inbetriebnahme der Abstellanlage. So gibt es zum Beispiel noch keine Stromschienen oder Lichtanlagen. Bisher ist der Bereich auch nur durch eine schwere Stahltür für Bauarbeiter zu erreichen – gesichert durch eine kleines Vorhängeschloss.