Hamburg. Viele Hamburger Familien mit pflegebedürftigen Kindern stehen nun vor einem großen Problem. Doch sie haben einen rechtlichen Anspruch.

Ben Martins ist 15 Jahre alt und geht auf die Schule Nymphenweg in Harburg, eine Bildungseinrichtung mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Er ist pflegebedürftig, könne sich zum Beispiel nicht alleine umziehen, berichtet sein Vater Stefan. Für ihn und seine Ex-Frau Wibke ist die 2015 eingeführte Anschluss- und Ferienbetreuung an speziellen Hamburger Sonderschulen daher eine große Hilfe. Der dortige Personalmangel hat nun aber zur Folge, dass viele Angebote kurzfristig reduziert oder sogar gestrichen wurden. Viele Hamburger Familien mit pflegebedürftigen Kindern stehen jetzt vor einem großen Problem.

„Eigentlich lief die Betreuung in den vergangenen Jahren immer gut. Seit Corona gibt es aber kaum mehr Personal. Oftmals haben es Studenten oder junge Menschen gemacht, die ein freiwilliges soziales Jahr absolviert haben“, sagt Martins, der auch Vorsitzender des Elternrats an der Schule Nymphenweg ist.

Hamburger Förderschulen kürzen Ferienangebot

Um die Betreuung in Anspruch nehmen zu können, mussten sich Familien sechs Monate im Voraus anmelden. Viele hätten allerdings erst vor wenigen Wochen von den Einschränkungen erfahren. Für Unverständnis habe außerdem gesorgt, dass die betroffenen Eltern keine Möglichkeit gehabt hätten, auf die Änderungen einzugehen.

„Die Auswirkungen des Personalmangels spüren wir schon seit Längerem. In den Herbstferien des letzten Jahres wurden wir gefragt, ob es möglich wäre, unser Kind von der Ferienbetreuung zurückzuziehen“, erzählt Martins. „In diesem Jahr gab es von unserem Träger ,Leben mit Behinderung‘ zwei Wellen an Mitteilungen. Einmal am 16. Juni und einmal am Dienstag und Mittwoch in dieser Woche. In diesem Fall wurde nichts besprochen, wir sind einfach vor vollendete Tatsachen gestellt worden.“

Offener Brief an Schulsenator

Der Unmut über die kurzfristigen Absagen veranlasste den Kreiselternrat der Hamburger Sonderschulen (KER SO) und der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZen) gestern dazu, einen offenen Brief an Schulsenator Ties Rabe (SPD) zu richten. Darin heißt es zwar einleitend, dass die nach Rechtsanspruch umgesetzte Einführung der Anschluss- und Ferienbetreuung für Familien mit behinderten Kindern eine notwendige und lang erwartete Entlastung sei.

Dann folgt aber: „Um so dramatischer ist es, dass nicht wenigen Eltern von den Trägern der Anschluss- und Ferienbetreuung nun kurz vor den Sommerferien mitgeteilt wird, dass die Betreuung nur eingeschränkt oder gar nicht durchgeführt werden kann.“ Und weiter: „Sie können sich vorstellen, dass so kurzfristig eine eigene Betreuung unserer Kinder nicht zu organisieren ist, insbesondere wenn Eltern und vor allem auch alleinerziehende Elternteile berufstätig sind.“ Das Schreiben endet mit der Forderung, eine verlässliche Betreuung umgehend sicherzustellen, möglicherweise auch durch Einzelfalllösungen wie Betreuung an anderen Schulen oder Absprachen mit anderen Familien.

Dass es eine große Herausforderung ist, Personal zu finden, räumt auch Tobias Joneit, der den Brief zusammen mit den weiteren KER-SO-Vorstandsmitgliedern Monika Wolter, Claudia Hillebrand geschrieben hat, ein: „Es ist vor allem schwierig, Leute zu finden, wenn die Lage der Schule unattraktiv ist. Bildungseinrichtungen in Harburg, aber auch der Bekkamp in Jenfeld sind hiervon besonders betroffen.“

Viele Familien, die eine Betreuung beantragten, haben laut Joneit die gesamten sechs Wochen gebucht. Der Aufenthalt sei für einen Großteil anschließend auf drei Wochen gekürzt worden.

90 Euro für eine Woche Ferienbetreuung

Familie Martins hatte lediglich anderthalb Wochen Betreuung beantragt. Ihr Sohn wird in den Sommerferien nun für drei Tage betreut werden. „Wir haben das Glück, dass seine Mutter in diesem Zeitraum frei hat und sich um ihn kümmern kann. Familien, denen das nicht möglich ist, stehen aber vor einem großen Pro­blem“, so Martins.

Für eine Woche Ferienbetreuung zahlen die Eltern 90 Euro, für einen Tag 18 Euro. Die Betreuung biete nicht nur zeitliche Erleichterungen, sondern auch einen echten Mehrwert für seinen Sohn, sagt Martins. „Die Kinder kommen im normalen Leben kaum zu sozialen Kontakten. In der Betreuung spielen sie zusammen und lernen, miteinander umzugehen.“ Der Rechtsanspruch gilt offiziell nur für Kinder bis 14 Jahren. Da ihr Sohn aber nicht alleine sein kann, hätten Stefan und Wibke Martins eine einvernehmliche Lösung erwirkt. „Die Behörde ist uns diesem Fall entgegengekommen.“

Rechtlicher Anspruch auf Betreuung

Allerdings wüssten viele Familien nicht, dass es einen rechtlichen Anspruch auf die Betreuung gibt, fügt Stefan Martins an: „Besonders in Harburg herrscht ein hoher Migrationshintergrund. Viele Familien können sich aufgrund von Sprachbarrieren nicht dazu informieren.“