Hamburg. Mit dem neuen Etat 2023/24 wurde der Finanzsenator zum strengen Kassenwart und der Bürgermeister zum Optimisten. Die Hintergründe.
Ein 37 Milliarden Euro schweres Paket, gedruckt auf rund 6700 Seiten Papier – wenn nach den dreitägigen Haushaltsberatungen des Senats so ein neuer Zwei-Jahres-Etat für Hamburg beschlossen ist, geht traditionell ein Aufatmen durch Rathaus und Behörden.
Ganz abhaken kann man das Thema zwar noch nicht, denn schließlich handelt es sich bei dem Werk, das Bürgermeister Peter Tschentscher und Finanzsenator Andreas Dressel (beide SPD) am Donnerstag präsentiert haben, vorerst nur um den „Haushaltsplanentwurf“ des Senats, und der heißt nicht umsonst so. Erst wenn die Bürgerschaft das Werk beraten, gegebenenfalls verändert und dann schließlich verabschiedet hat, wird aus dem Entwurf ein offizieller Plan – und Stichtag für die „Geburt“ ist erst in sechs Monaten: am 15. Dezember.
Haushaltsplanung: Kaum Änderungen erwartet
Doch allzu viel, das lehrt die Erfahrung, wird sich da nicht mehr verschieben, deshalb lohnt schon jetzt ein Rückblick auf die vergangenen Tage und Monate.
Klassentreffen: Als am Dienstag um kurz nach 10 Uhr Haushaltsdirektor Arne Schneider und seine Mitarbeiter aus der Finanzbehörde als erste Teilnehmer der Beratungen im prächtigen Kaisersaal des Rathauses eintrafen, bevor ihnen Senatsmitglieder, Staatsräte, die Fraktionsspitzen und als Letzter um 10.29 Uhr der Bürgermeister folgten, war das für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein noch ungewohntes Gefühl.
Fast zwei Jahre lang hatte der Senat coronabedingt nur digital getagt, auch der Austausch innerhalb der Ämter und zwischen den Behörden fand fast ausschließlich über Videokonferenzen statt. Und jetzt eine Sitzung mit mehr als 30 Teilnehmern, und das ohne Masken, Plexiglaswände und Abstandsregeln – das hatten einige, die erst nach der Wahl 2020 ins Amt gekommen sind, so noch gar nicht erlebt, andere hatten sich ewig nicht gesehen. Ein Hauch von Klassentreffen wehte durchs Rathaus.
Dass die Rückkehr zur Normalität noch auf tönernen Füßen steht, musste ausgerechnet ein Hauptakteur leidvoll erfahren: Finanzsenator Dressel hatte sich kurz vor den Beratungen mit Corona infiziert und musste daheim in der Volksdorfer Quarantäne bleiben. Von dort sprach er über zwei große Flachbildschirme zu den Teilnehmern, verschnieft und unrasiert zwar, aber immerhin. Wer den Finanzsenator kennt, ahnt, wie sehr ihn das gewurmt hat, bei einem so wichtigen Termin nicht dabei sein zu können.
Kleiner Trost: Eine Corona-Infektion haben schon etliche Senatsmitglieder hinter sich. Zuletzt musste Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) ausgerechnet bei der Veröffentlichung der Wohnungsbauzahlen passen. Am Freitag meldete sich auch SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf erkrankt ab.
Haushaltsplanung: Aufstellung des Etats begann schon 2021
Der Sturm vor der Ruhe: Wer von Haushaltsberatungen des Senats hört, könnte vielleicht auf den Gedanken kommen, dass dort ein großer Batzen Geld in der Mitte liegt und sich alle darum balgen. Tatsächlich läuft es ganz anders.
Die Aufstellung des Etats 2023/24 hat bereits im Sommer 2021 begonnen. Bis Ende des Jahres wurden den Behörden die „Eckwerte“ mitgeteilt, also wie viel Geld sie ausgeben dürfen – oder besser: wie wenig. Denn im Herbst waren die finanziellen Aussichten so düster, dass der Finanzsenator auf eine strikte Begrenzung der Ausgaben drängte. „Brutal hart“ seien viele Gespräche gewesen, sagt ein Senatsmitglied. Viele Behördenchefs hätten ihre schönen Pläne platzen sehen.
Doch spätestens in den „Präsides-Gesprächen“ im Frühjahr, in denen Dressel direkt mit seinen Ressortkollegen über ihre Etats verhandelte, konnten nahezu alle Probleme wegmoderiert werden. Dabei half, dass sich die Lage zum Ende hin immer weiter aufhellte. Die Steuereinnahmen stiegen doch viel stärker als zunächst befürchtet, und die angekündigte 800-Millionen-Euro-Dividende der Reederei Hapag-Lloyd sowie die überraschend mit Gewinn verkauften alten Schiffskredite der früheren HSH Nordbank brachten plötzlich fast eine Milliarde neuen Spielraum.
Lediglich Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) ließ es sich nicht nehmen, kurz vor Schluss noch einmal öffentlichkeitswirksam ein paar Stellen mehr für Energielotsen zu fordern – die er auch bekam. Wirklich strittig sei das gar nicht gewesen, heißt es von SPD-Seite. Und so war vor Beginn der eigentlichen Beratungen im Prinzip alles geklärt. „Unstreitig“ seien alle Vorlagen gewesen, heißt es unisono aus Koalitionskreisen. „Wir tun ja in Wahrheit nur so, als wenn wir beraten“, feixte ein Teilnehmer. Entsprechend fix kam man durch: Schon am Mittwoch war der Haushaltsentwurf beschlossen, den dritten Tag benötigte man gar nicht mehr. Der Sturm hatte sich halt vor der Ruhe ausgetobt.
Finanzsenator Andreas Dressel sah sich als "Ermöglicher"
Rollenwechsel: Die beiden Hauptdarsteller könnten unterschiedlicher kaum sein. Peter Tschentscher hat sich in seinen sieben Jahren als Finanzsenator den Ruf eines strengen Kassenwarts erworben, der das Kunststück vollbrachte, ein Milliarden-Defizit innerhalb weniger Jahre in einen Milliarden-Überschuss zu verwandeln – ein kluges Konzept und das Glück, dass die Steuereinnahmen unaufhörlich sprudelten, machten es möglich. Dass er sich öffentlich auf sein Themengebiet beschränkte und eher sparsam kommunizierte, verstärkte diesen Eindruck noch – umso überraschter waren viele Beobachter, als Tschentscher im März 2018 Olaf Scholz als Bürgermeister nachfolgte.
Andreas Dressel hingegen, der als langjähriger SPD-Fraktionschef Favorit auf die Scholz-Nachfolge war, aber verzichtet hatte und lieber Finanzsenator geworden war, interpretierte sein neues Amt von vornherein völlig anders. Er sehe sich nicht nur als Kassenwart, sondern auch als „Ermöglicher“, ließ Dressel wissen. Wie er es als Fraktionschef gewohnt war, mischte er scheinbar nimmermüde weiterhin bei diversen Themen mit – eine gewisse Zuständigkeit ergibt sich ja immer schon aus der Rolle des Geldgebers.
Einige Regierungsmitglieder beobachten das etwas argwöhnisch, die meisten schätzen aber sein offenes Ohr für Probleme und seine lösungsorientierte Herangehensweise. Die ging sogar so weit, dass Dressel seine Senatskollegen zu Beginn der Pandemie geradezu aufforderte, ihre Etats nach Projekten zu durchforsten, die die Konjunktur ankurbeln könnten – die könne er aus Corona-Hilfsmitteln finanzieren. Beim Rechnungshof und der CDU stieß das auf massive Kritik.
Auch dem Bürgermeister schien die Umtriebigkeit seines „sehr ambitionierten Finanzsenators“ (Tschentscher über Dressel) mitunter etwas suspekt zu sein. Dabei stimmten die Ergebnisse: Bevor Corona zuschlug, hatte Dressel so viele Schulden getilgt wie kein Finanzsenator vor ihm. Und die bewilligten Notkredite in Milliardenhöhe nahm er selbst in der Krise kaum in Anspruch – das spart enorme Mengen an Zinsen und hat ebenfalls mitgeholfen, den neuen Haushalt einigermaßen geräuschfrei aufzustellen.
Dressel warnte vor schwieriger finanzieller Lage
Mit diesem Werk haben nun beide endgültig die klassische Rollenverteilung wahrgenommen: Es war der Finanzsenator, der schon seit vergangenem Herbst immer wieder davor warnte, wie schwierig die finanzielle Lage sei und dass es keine Spielräume für neue Projekte gebe. „Größte Haushaltsdisziplin“ sei nun erforderlich. Spätestens als im Februar auch noch der Krieg in der Ukraine hinzu kam, hatten das auch die letzten Senatskollegen eingesehen und waren bereit, Projekte zu strecken oder zu verschieben.
Diese Einsicht, gepaart mit der dann doch etwas freundlicheren Entwicklung, führte dazu, dass die Probleme allesamt vor den eigentlichen Haushaltsberatungen abgeräumt waren – sehr im Interesse des Bürgermeisters. Der vertritt die Haltung, dass Streit in großer Runde tunlichst durch gute Vorarbeit zu verhindern ist.
Haushaltsplanung: Tschentscher plötzlich der Optimist
Während Dressel noch bei der Vorstellung des neuen Haushalts am Donnerstag betonte, wie „schwierig, herausfordernd und risikoreich“ die Lage doch sei, war es nun Tschentscher, der eine andere Sichtweise einbrachte. Hamburg sei stark in die Krise gegangen und stark wieder herausgekommen. „Was auch noch kommt – Ukraine-Krise oder Zins- und Preissteigerungen – das alles werden wir gut bewältigen.“ Dieser Optimismus überraschte selbst in Regierungskreisen: Warum habe man eigentlich so hart verhandelt, wenn die Lage gar nicht so schlecht ist?, fragte sich ein Senatsmitglied. Dass der Bürgermeister gute Stimmung verbreitet, sei hingegen richtig.
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„Uns als Senat ist wichtig, dass wir uns nicht in eine Depression hineinreden“, erklärte Tschentscher auf Nachfrage, schob aber gleich nach, dass man auch künftig selbstverständlich auf jeden Cent achten werde. Aber die Rolle des strengen Kassenwarts hat nun ein anderer.