Hamburg. Ziel von 10.000 Einheiten wurde verfehlt. Behörde spricht von „guten Nachrichten“ – das irritiert auch die SPD. Die Woche im Rathaus.
Vorneweg mal eine Frage: Waren Sie heute morgen beim Bäcker? Falls Sie spät dran waren und daher nur noch drei Brötchen für die vierköpfige Familien bekommen haben, kamen Sie sicher freudestrahlend nach Hause und riefen: „Gute Nachrichten! Drei Stück habe ich immerhin ergattert!“ Oder?
Falls Sie sich nun fragen: Was erzählt der denn da? So erging es den Hamburger Medien am Montag auch. Da hatte die Stadtentwicklungsbehörde zu einer Pressekonferenz zum Thema Wohnungsbauzahlen eingeladen. Bekanntlich will der rot-grüne Senat mindestens 10.000 neue Wohnungen pro Jahr schaffen – ein Ziel, das er 2016 offiziell ausgegeben und von 2018 bis 2020 im „Bündnis für das Wohnen“ mit der Wohnungswirtschaft und den Bezirken auch erreicht hatte, so wie in den Vorjahren die Zielzahl 6000 Wohnungen.
Wohnen in Hamburg: Senat verfehlt Wohnungsbau-Ziele
Und dann das. Für 2021 veröffentlichte das Statistikamt Nord am Montagmorgen einen überraschend niedrigen Wert: Nur noch 7461 Wohnungen wurden im vergangenen Jahr fertiggestellt – 3808 oder 33,8 Prozent weniger als im Vorjahr. Und: Gut 2500 weniger, als sich der Senat selbst vorgenommen hat.
Ein ernüchternder Befund, der nach Erklärungen verlangte. Doch zur allgemeinen Überraschung begrüßte Staatsrätin Monika Thomas, die die erkrankte Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) vertrat, die Anwesenden im Foyer der Behörde mit den Worten, dass sie im Namen ihrer Chefin „gute Nachrichten“ überbringe: Es seien wieder „sehr viele“ Wohnungen fertig geworden. Ganz viele Hamburger hätte ein neues Zuhause gefunden.
Wohnung Hamburg: Staatsrätin verweist auf Baugenehmigungen
Auch auf Nachfrage, was denn an einem Rückgang um fast 4000 Wohnungen und einem Verfehlen der eigenen Zielzahl um ein Viertel eine gute Nachricht sei, blieb die Staatsrätin stoisch. Man habe doch fast 10.000 Baugenehmigungen erteilt, erklärte Thomas, und sehe jetzt nur eine „leichte, sich abzeichnende Delle in der Realisierung“.
Dazu muss man festhalten: Der Verweis auf die Baugenehmigungen war ebenso korrekt wie spitzfindig. Denn tatsächlich nimmt sich der Senat nur vor, pro Jahr für 10.000 Wohnungen die Genehmigungen auszustellen – bauen sollen dann, abgesehen von der städtischen Saga, private Unternehmen und Genossenschaften. Dieses Ziel wurde 2021 mit 9852 Baugenehmigungen (minus 2,8 Prozent zum Vorjahr) auch fast erfüllt. Doch selbstverständlich sind die Genehmigungen kein Selbstzweck: Am Ende soll aus jedem Bescheid natürlich eine Wohnung werden, daher hatte der Senat die Fertigstellungszahlen der vergangenen drei Jahre (10.674 – 9805 – 11.269) stets entsprechend bejubelt. In ihrem Koalitionsvertrag aus 2020 schwingen SPD und Grüne gar selbst die Maurerkelle, dort heißt es: „Wir entwickeln neue lebendige Stadtteile und bauen auch weiterhin 10.000 Wohnungen pro Jahr.“
Wohnung Hamburg: Stapelfeldt spricht von "schönem Erfolg"
Und dieses Ziel wurde 2021 nun mal deutlich verfehlt, amtlich festgestellt. Dass die zuständige Staatsrätin dennoch nur von einer „leichten Delle“ sprach, die sich „abzeichne“, war daher eine bemerkenswerte Einschätzung. Die aber offensichtlich mit der Senatorin abgestimmt war. „7500 neue, bezugsfertige Wohnungen sind ein stattliches Ergebnis und ein schöner Erfolg“, befand Stapelfeldt, als sie sich später per Pressemitteilung aus dem Homeoffice meldete.
Sowohl im Wohnungsbündnis als auch in der Politik war jedoch niemandem zum Anstoßen zumute. „Die Zahlen sind dramatisch“, sagte Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Der Mieterverein beklagte einen „Einbruch bei Wohnungsbauzahlen“, die Linkspartei sprach von einem „Desaster“, und die CDU kritisierte: „Rot-Grün verfehlt Wohnungsbauziele 2021 krachend.“
Wohnungsbau: Selbst die SPD war irritiert
Besonders ungewöhnlich: Sogar in der SPD-Fraktion war man irritiert und machte den Dissens zur Senatorin per Pressemitteilung deutlich: Die Wohnungsbauzahlen, hieß es dort, könnten „nicht zufriedenstellen“. Beim Grünen-Koalitionspartner sah man das ähnlich – und schwieg lieber höflich. So entstand letztlich der Eindruck einer Behörde, die der Realität nicht ins Auge schauen will.
Was überraschte, denn tatsächlich läuten im Bündnis für das Wohnen schon lange die Alarmglocken, weil vor allem der Bau bezahlbarer Wohnungen immer schwieriger wird. Stapelfeldt hatte daher erst vor wenigen Wochen zu einem „Wohngipfel“ eingeladen, um mit den Bündnispartnern zu beraten, was man noch tun kann. Die Lage am Bau sei „besorgniserregend“, stellte die Senatorin damals fest.
Bündnispartner warnten vor unrealistischem Ziel
Grundsätzlich unterscheiden die Experten dabei zwei Stränge: Da sind zum einen die äußeren Faktoren wie die Corona-Pandemie, gestörte Lieferketten, explodierende Baukosten und steigende Zinsen, auf die die Stadt kaum einen Einfluss hat – und die wohl vor allem viele kleinere Unternehmen davon abgehalten haben, ihre geplanten Bauvorhaben durchzuziehen. Denn die großen Akteure wie die Saga, die im VNW vertretenen Genossenschaften und die Mitglieder im Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen haben ihr Soll 2021 alle mehr oder weniger erfüllt. Noch. Denn auch bei ihnen dürfte die Unsicherheit im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine mit all seinen Folgen wie weiteren Preissteigerungen und Lieferengpässen steigen.
Mehrere Bündnispartner haben daher bereits gewarnt, dass die Zielzahl von 10.000 Wohneinheiten pro Jahr kaum zu halten sein wird. Am grundsätzlichen Ziel soll aber nicht gerüttelt werden – da sind sich vom Bürgermeister über die Senatorin bis zum Bündnis für das Wohnen alle einig. Vor allem für die SPD, die 2011 unter Olaf Scholz mit dem Versprechen, den darbenden Wohnungsbau wieder anzukurbeln, an die Macht kam, ist das Thema von überragender Bedeutung.
Mieten steigen in Hamburg immer weiter
Zum einen, weil das Bündnis für das Wohnen als vielleicht größter Erfolg der elfjährigen Regierungszeit gilt, den man gern noch etwas auskosten möchte. Zum anderen aber, weil man trotz erster Anzeichen für ein Ende des Bevölkerungswachstums weiter den Bedarf für neue Wohnungen sieht – die Mieten steigen schließlich immer weiter.
Stapelfeldt hatte daher schon beim Wohngipfel deutlich gemacht, dass man den zweiten Strang umso stärker in den Blick nehmen muss – die Bereiche, die die Hamburger Politik beeinflussen kann. Dass da noch Potenzial schlummert, zeigte sich am Freitag. Da stellte der Senat eine neue Förderung für Sozialwohnungen mit hohen Energiesparstandards als Ersatz für den Förderstopp des Bundes vor.
Rathauswoche: Sozialwohnungen bei Grundsteuer entlastet
Beschlossen ist bereits, dass Sozialwohnungen bei der Grundsteuer entlastet werden (ab 2025) und dass die Grunderwerbsteuer für junge Familien, Erbbaurecht-Grundstücke und Sozialwohnungen 2023 von 4,5 auf 3,5 Prozent gesenkt wird – während sie für alle anderen auf 5,5 Prozent steigen wird. Wenn es schon schwieriger werde, die Zielzahl 10.000 zu erreichen, dann müsse man wenigstens alles dafür tun, dass zumindest die günstigen Wohnungen gebaut werden, so ein Regierungsmitglied. Geprüft werden soll auch, ob und wo man höher bauen und stärker verdichten kann. Von seiner Reise nach Wien habe der Bürgermeister dazu einige Anregungen mitgebracht, heißt es im Rathaus.
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Dass man mit diesen Maßnahmen schon bald wieder auf 10.000 fertige Wohnungen im Jahr kommt, gilt zwar als unwahrscheinlich. Doch angesichts der Rahmenbedingungen könne man doch gut erklären, warum zum Beispiel 7500 neue Wohnungen auch mal eine gute Nachricht sein können, meint ein Regierungs-Insider, der die Kommunikation der Stadtentwicklungsbehörde „unglücklich“ fand. Wenn man ein Ziel nicht erreiche, müsse man das klar ansprechen und nicht drum herum schwurbeln: „Einräumen, abräumen, erklären.“