Hamburg. Im März nahm Redakteurin Insa Gall Ukrainerin Tanya mit ihren Kindern bei sich auf. Doch es stellen sich auch Hindernisse in den Weg.

Jetzt ist Geduld gefragt. Nachdem unsere ukrainische Gastfamilie in den vergangenen Wochen dabei war, sich in großen Schritten ein eigenes, neues Leben in Hamburg aufzubauen, stellen sich ihr nun unerwartete Hindernisse in den Weg. So schnell wie gedacht werden Tanya und ihre Kinder Rita (9) und Maksym (17) nun doch nicht selbstständig werden können – und das trotz der riesigen Hilfsbereitschaft so vieler Hamburgerinnen und Hamburger. Es geht derzeit immer zwei Schritte voran und einen Schritt zurück. Aber zumindest stimmt die Richtung.

Zuletzt schien das neue Leben der Familie, die aus der ukrainischen Stadt Winnyzja geflüchtet war, in Hamburg rasend schnell Gestalt anzunehmen. Schulplätze für Rita und Maksym waren gefunden. Petra, eine überaus freundliche Vermieterin, hatte den drei eine vergünstigte Wohnung in unserer Nachbarschaft auf der Uhlenhorst angeboten. Sie ist bereit, für ein Jahr den Satz zu akzeptieren, den das Sozialamt übernimmt – nämlich 780 Euro –, obwohl sie die Wohnung teurer vermieten könnte.

Geflüchtete in Hamburg: Hilfsbereitschaft weiterhin groß

Und nach dem letzten Abendblatt-Bericht meldeten sich Dutzende Leserinnen und Leser, die Sofas und Betten, Tische und Stühle, Küchengeräte, Teppiche und Gardinen zur Möblierung der neuen Wohnung anboten. Tanya war einfach überwältigt von der Hilfsbereitschaft. Da sie gut Englisch spricht und sich Mails in Deutsch blitzschnell per Übersetzungsprogramm ins Ukrainische oder Russische überträgt, nahm sie selbst Kontakt zu den allermeisten Spendern auf. Das Kontingent an Möbeln ist so groß, dass sie auch ihre Freunde in Hamburg damit versorgen will. „Es ist wirklich ein Fest der Freundlichkeit in Hamburg“, sagt Tanya.

Die neunjährige Rita hat einen Schulplatz in einer neu eingerichteten Vorbereitungsklasse an einer Grundschule in der Nähe bekommen. Es ist dieselbe, die auch unsere Töchter besucht haben; wir sind gerührt. Am Montag vor Ostern soll es losgehen. Rita und Tanya ziehen sich hübsch an, in der Aula der Schule gibt es eine kleine Einschulungsfeier. Die Schulleiterin hat sogar eine ukrainischsprachige Lehrerin für die Kinder gefunden.

Doch ausgerechnet am ersten Schultag ist sie erkrankt. Die Schulleiterin ist bemüht, sich bei den ukrainischen Kindern und ihren Eltern trotzdem so gut es geht verständlich zu machen, die Lehrerin ist per Video von zu Hause aus zugeschaltet.

Nach Schulstart fällt der Unterricht erst mal aus

Nach der kleinen Feier fällt der Unterricht allerdings erst einmal für den Rest der Woche aus – solange die Lehrerin krank ist. Tanya geht jetzt bis zum frühen Nachmittag zu ihrem Sprachkurs; ihre Tochter hat vormittags viel Langeweile. Doch das ist nicht der einzige Rückschlag.

Ein Leser-Paar hat Tanya zu Kaffee und Kuchen in den Norden Hamburgs eingeladen, nachdem es im Abendblatt von ihrem Schicksal gelesen hatte. Eine andere Familie meldet sich: Sie muss den Haushalt der verstorbenen Mutter auflösen. Tanya kann alles aus dem Haus haben, was sie benötigt. So viel Hilfsbereitschaft!

Ukrainische Familie will umziehen – doch dann kommt Hiobsbotschaft

Sie beginnt zu planen. Schon an diesem Freitag soll Tanya ihre neue, 64 Quadratmeter große Wohnung beziehen können. Wir überlegen, einen großen Transporter oder einen kleinen Lastwagen zu mieten, um all die Möbel bei den freundlichen Spendern einzusammeln, und in Tanyas Wohnung beziehungsweise die ihrer Freundin zu bringen.

Doch dann kommt die Hiobsbotschaft: Der Einzug muss verschoben werden. Die Wohnung hat einen Feuchtigkeitsschaden. Handwerker begutachten, was getan werden muss. Dann steht fest: Die Sanierung wird zwei bis drei Monate dauern. Wir überlegen: Vermutlich müssen wir einen Lagerraum anmieten, um die angebotenen Möbel in der Zwischenzeit unterzubringen. Schließlich dürften sich die Spender nicht monatelang gedulden wollen. Natürlich kann Tanya mit ihren Kindern weiterhin bei uns wohnen. Doch sie ist enttäuscht, und wir sind es auch.

Unsere Wohngemeinschaft hat sich seit dem 16. März gut eingespielt. Trotzdem wird es manchmal eng in der Küche, wo Tanya unermüdlich kocht. Vareniki und Pelmeni beispielsweise, unterschiedlich gefüllte ukrainische Teigtaschen, die äußerlich an Ravioli erinnern, aber ganz anders schmecken. Die bringt sie auch mit, als wir zu Ostern gemeinsam meine Eltern besuchen, uns im Garten sonnen und später die Vareniki zusammen als Vorspeise probieren. Rita könnte sie jeden Tag essen.

Schrødingers City Kids: Urlaub für Flüchtlinge

Die geflüchtete Familie fühlt sich in Hamburg immer mehr zu Hause. Sohn Maksym ist viel auf eigene Faust unterwegs, ihn sehen wir kaum. An einem Sonntag machen wir mit Tanya und Rita eine Tour mit dem Alsterdampfer und besuchen dann die Elbphilharmonie. ­Tanya ist beeindruckt und möchte gern ein Konzert in dem Haus besuchen. Mein Mann fährt mit ihnen zusammen zur Eröffnung des Schrødingers City Kids, des neuen Kulturzentrums für ukrainische Geflüchtete im Schanzenpark. Tanya nennt das, was dort geboten wird, „holiday for refugees“ – also Urlaub für Flüchtlinge.

Tanya hat bereits viele Bekannte in Hamburg – andere Mütter mit Kindern aus der Ukraine, die sie von zu Hause kennt oder hier in Hamburg kennengelernt hat, in Ritas Schule oder bei ihrem Deutschkurs. Sie alle mussten ihre Männer zu Hause zurückgelassen.

So auch Tanya. Regelmäßig telefoniert sie mit ihrem Mann Oleg, der in Winnyzja bleiben musste. Er erzählt ihr von den Gräueltaten von Butscha, dem Angriff auf flüchtende Familien am Bahnhof im Osten des Landes. Während russische Kräfte dort ihre Großoffensive starten, nimmt Tanyas Leben in Hamburg weiter Gestalt an – trotz aller Rückschläge.