Hamburg. Kritiker erstellen Untersuchung zur CO2-Bilanz und kündigen Klagen an. Verkehrssenator: Zur U5 gibt es keine Alternative.
Der Bau der neuen Hamburger U-Bahnlinie U5 hat am Wochenende mit den ersten Baumfällungen und Vorbereitungen begonnen – uns es kündigen sich die ersten Klagen von Anwohnern an. Sie wehren sich gegen den Lärm der Baustellen, die für die geplanten Haltestellen eingerichtet werden, und gegen Berechnungen zum Klimaschutz. Die U5, sagen die Kritiker, komme viel zu spät und setze beim Bau so viel CO2 frei, dass Hamburgs Klimaziele gefährdet seien.
Drei aus dem Kreis der Anwohner haben eine private Studie zur Schadstoffbilanz der U5 erstellt. Günter Betz (Ingenieur für Verfahrenstechnik), Thomas Philipp (Volkswirt) und Stefan Knittel (Ingenieur für Maschinenbau) haben über Jahrzehnte Erfahrung in Großprojekten und Umweltverträglichkeitsprüfungen. Sie haben auf Basis der öffentlich zugänglichen Planungsunterlagen und mithilfe einer Plattform aus dem Bundesbauministerium errechnet, dass die CO2-Emissionen während der Bauphase mehr als zehn Millionen Tonnen betragen. Das pulverisiere Hamburgs Klimaziele, die eine Einsparung von sieben Millionen Tonnen CO2 bis 2030 vorsähen.
Hamburger U-Bahn: Klagen gegen Bau der U5 erwartet
Die angekündigten Klagen gegen die U5 richten sich zunächst gegen den Abschnitt Ost zwischen Bramfeld und City Nord. Über den Bau des Milliarden-Projektes entzweien sich die Kritiker auf der einen und die Verkehrspolitiker um den Mobilitätswendesenator Anjes Tjarks (Grüne) auf der anderen Seite. Die U5 von Bramfeld über Winterhude, die Innenstadt, Hoheluft, das UKE und Lokstedt nach Stellingen soll nach den Worten von Hochbahnchef Henrik Falk die „nachhaltigste U-Bahn“ werden, die es jemals gab.
Weil es eine Öko-Bilanz über Nutzen und Schaden der U5 nicht gibt, hat das Kritiker-Trio eine aufwendige Studie erstellt. Sie rechnet mit den in der Wirtschaft üblichen Methoden die CO2-Zahlen hoch. Ingenieur Betz und Co. sind alles andere als Verhinderer oder verträumte Stadtbahn-Enthusiasten. Sie stellen sich in Anbetracht der Erderwärmung einfache Fragen: Wie können wir den Anstieg der schädlichen Emissionen begrenzen? Wo können wir CO2 einsparen? Und gibt es Alternativen zu den U5-Plänen?
U5: Studie zum Download
Hier finden Sie die private Studie zur Klima-Bilanz der U5
Senator Tjarks sagt: nein. Die Verkehrsbehörde erklärte auf eine Abendblatt-Nachfrage, kein anderes Verkehrsmittel als U- oder S-Bahn sei in der Lage, die benötigte Anzahl von Fahrgästen „emissionsarm und klimaneutral zu transportieren“. Das Projekt U5 solle „möglichst klimafreundlich“ umgesetzt werden. „Alle möglichen Alternativen dazu wurden im Vorfeld geprüft.“
Verkehrsbehörde: Alle Alternativen zur U5 wurden geprüft
Das glauben die Studienautoren nicht. Ihre Ergebnisse zeigen: Die U5 führe im Bau zu CO2 -Emissionen in Höhe von 10,2 Millionen Tonnen. Gleichzeitig wolle Hamburg aber bis zum Jahr 2030 sieben Millionen Tonnen einsparen. So könne das nicht gelingen. In detaillierten Berechnungen, die nachprüfbar auf der vom Bundesbauministerium entwickelten Plattform www.oekobaudat.de fußen, werden unter anderem Emissionen beim Graben des Schildvortriebsbohrers, beim offenen Bau der neuen Haltestellen und beim Abtransport von Aushub aufaddiert. Dazu kämen umweltschädliche Belastungen durch die Herstellung des Baumaterials.
Das Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung, so die Autoren, verlange einen „Mit-ohne-Vergleich“, also eine Bilanz, wie viele Schadstoffe durch ein Projekt ausgestoßen werden und wie viele vermieden werden können, wenn man darauf verzichtet. Um diese Gesamtmenge auszugleichen, brauche es 185 Jahre („Amortisationszeiten“) allein für die in Hamburg direkt anfallenden CO2-Emissionen.
U5 in Hamburg: Das ist die Strecke
Die Verkehrsbehörde sieht das anders. Im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung würden zwar Angaben über die Emissionen in der Bauphase verlangt. Die habe man auch eingereicht. Jedoch: „CO2-Emissionen, die im Rahmen der Produktherstellung entstehen, sind nicht Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die CO2-Emissionen aus industrieller Produktion werden sinnvollerweise beim Produzenten bewertet.“ Das hieße, dass man diesen Schadstoffausstoß nicht einrechne.
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Hochbahn: U5 vermeidet Millionen Pkw-Fahrten
Die Hochbahn verweist darauf, dass die U5 im Betrieb täglich von mehr als 270.000 Fahrgästen genutzt werde. „Damit vermeiden wir Millionen Pkw-Fahrten – mit entsprechenden Effekten auf CO2-Minderung, andere Schadstoffemissionen, Lärmvermeidung, Staukosten, Unfallkosten.“ Die U5-Bauer wollen die „grauen CO2-Emissionen“ reduzieren, also die Umweltbelastungen, die bei der Herstellung von Baumaterial entstehen. „Dabei leistet die Hochbahn Pionierarbeit, denn die Reduzierung von CO2-Lasten in Infrastrukturprojekten dieser Größenordnung spielte bisher eine untergeordnete und wenig beachtete Rolle.“
Sind Annahmen und Schlussfolgerungen der Studie also übertrieben? Zwei Beispiele: Die Autoren schreiben von 600.000 Lkw-Fahrten (inklusive Leerfahrten) und entsprechend hohen Emissionen für den Abtransport von Erdaushub und anderen Wegen allein für die U5-Ost. Die Hochbahn bestätigt die Zahl.
Die Kritiker verweisen auf die Großbaustellen für Haltestellen und Notausstiege. Allein bei der U5-Ost ergebe das eine Gesamtlänge der Baustellen von 2,25 Kilometern, also 38 Prozent der Gesamtstreckenlänge (5,8 Kilometer) dieses U5-Abschnitts. Die Hochbahn bestätigt die offene Bauweise, nennt aber nur 1,8 Kilometer als Gesamtlänge. Der Tunnelbohrer arbeitet unterirdisch, die Haltestellen mit den 125 Meter langen Bahnsteigen müssen jedoch klassisch gegraben werden.
Lärmgutachten: Es wird lauter als erlaubt
Das wird über Jahre extrem laut. Die U5-Kritiker verweisen auf ein Gutachten der Essener Firma I.B.U. für den U-Bahn-Planer ZPP Ingenieure AG. In dieser „Schwingungs- und schalltechnischen Untersuchung“ steht, dass der Bohrer sieben Tage die Woche im Dauerbetrieb laufe und die Separieranlage „sehr laut“ sei, auch wenn man sie zu „kapseln“ versuche. Diese Maschine trennt zum Beispiel Geröll, Sand und Felsbrocken.
Die Hochbahn hält dem entgegen, dass die Separierungsanlage sich nicht im bewohnten Bereich befinde. Die Planer räumen allerdings ein, dass „es nicht zu jeder Zeit und zu jedem Zeitpunkt“ möglich sei, die Vorgaben der „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen den Baulärm“ (AVV) einzuhalten. „Der Nutzen des fertiggestellten Vorhabens für das öffentliche Wohl rechtfertigt es, hier einen von der AVV Baulärm abweichenden Maßstab für die Zumutbarkeit des Baulärms anzusetzen.“ Im Schallgutachten steht: Für manche Baustellen sei die „Anordnung von temporären Schallschutzwänden wegen der beengten Platzverhältnisse nicht möglich“.
Auch im Planfeststellungsbeschluss heißt es deutlich: „In allen Bereichen mit offener Bauweise sind zum Teil erhebliche Überschreitungen der Immissionsrichtwerte gemäß AVV Baulärm zu erwarten.“ Von „Erschütterungen“ an Wohnhäusern ist die Rede.
Entschädigungen: Müssen Baustellen-Anwohner umgesiedelt werden?
Das Lärmgutachten spricht bereits von finanziellen Entschädigungen und davon, dass Baustellen-Nachbarn möglicherweise zeitweise umgesiedelt werden müssen. Die Hochbahn bestätigt das. Es gehe um „Ansprüche auf Finanzierung baulicher Schallschutzmaßnahmen am Gebäude oder Ansprüche auf Geldentschädigungen nach Maßgabe der Mietminderungsregelungen“. Außerdem könnten Betroffene bei „besonderen Geräuschbelastungen einen Anspruch auf Finanzierung von Ersatzraum haben“.
Die Studien-Autoren fordern deshalb mehr Offenheit von der Hamburger Politik. Ein „Wummern wie in der Diskothek“ könne nicht zum täglichen Begleiter für Tausende Hamburger werden, sagt Ingenieur Betz.
Die neue U5 soll sich auf insgesamt 25 Kilometern durch Hamburg schlängeln. Wie lange der Bau dauert? Ungewiss. Was er kostet? Mehrere Milliarden, von denen der Bund möglichst viele schultern soll.
Aus der Verkehrs- und Mobilitätswendebehörde von Senator Tjarks heißt es: „Es ist die Aufgabe der BVM und der Hochbahn als Vorhabensträgerin, die zukünftige Mobilität der Hamburgerinnen und Hamburger zu gewährleisten und vor dem Hintergrund der wachsenden Stadt und den zunehmenden Personenkilometern die erforderlichen Mobilitätsangebote zu schaffen.“