Hamburg. Früher Arsen, heute GHB – die Toxikologen der Rechtsmedizin fahnden nach winzigsten Mengen im Haar und im Blut.

Wie schlafend lag das Mädchen da. Die Augen geschlossen, der Körper äußerlich unversehrt. Wieso also war das Kind gestorben – in einem Alter, in dem ihm eigentlich die ganze Welt offen stehen sollte? Es ist ein Fall, der schließlich in der Toxikologie des Rechtsmedizinischen Instituts am UKE geklärt wurde – einer, der besonders betroffen macht. „Wir fanden heraus, dass die Elfjährige an einer Methadon-Vergiftung gestorben war“, erzählt die forensische Toxikologin Dr. Stefanie Iwersen-Bergmann. Die Schülerin hatte eine Tablette nur versehentlich eingenommen. „Es war wirklich ein Drama.“

Rätselhaften Fällen auf den Grund gehen, winzigste Mengen von fremden Stoffen im menschlichen Körper aufspüren, Vergiftungen aufklären: Wenn die Leiterin der Toxikologie am UKE von ihrem Beruf erzählt, klingt die Faszination durch, die die 56-Jährige für ihr Fach empfindet. „Die Materie ist ungeheuer spannend. Schon winzigste Mengen Gift, Arzneimittel oder Drogen können mit den modernen Messverfahren nachgewiesen werden“, betont die Wissenschaftlerin. „Wir messen in Bereichen von einer Prise Salz in einem Schwimmbad.“ Giftmorde gibt es indes nur noch sehr selten, erzählt Iwersen-Bergmann.

Arsen galt über Jahrhunderte als Gift der Wahl

Dagegen hatten solche heimtückischen Tötungen etwa in der Renaissance und lange danach Hochkonjunktur. Insbesondere Arsen galt über Jahrhunderte als Mittel der Wahl, um unliebsame Ehegatten oder andere Angehörige umzubringen, was dem geruchs- und geschmacklosen Zellgift den Beinamen „Erbschaftspulver“ einbrachte. „Oft wurde es auch als ,Waffe der Frauen’ bezeichnet“, so Iwersen-Bergmann.

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„Doch seit es dem Chemiker James Marsh im Jahr 1836 gelang, Arsen im Leichnam nachzuweisen, verlor das Gift an Attraktivität.“ Andere tödliche Substanzen wie Zyankali und Thallium, die eigentlich als Rattengift verkauft wurden, ersetzten nun Arsen, später wurde häufiger das Pflanzenschutzmittel E 605 verwendet.

Um Leichen geht es in etwa fünf Prozent der Fälle der Hamburger Toxikologie

Um Leichen geht es in etwa fünf Prozent der Fälle der Hamburger Toxikologie im Rechtsmedizinischen Institut am UKE. „Heutzutage beschäftigt uns meist eher die Frage einer ordnungsgemäßen Behandlung“, erläutert Iwersen-Bergmann. So werden die Experten beispielsweise beauftragt, wenn es in Kliniken oder Altenheimen den Verdacht gibt, Ärzte oder Pfleger hätten ein falsches Medikament verabreicht – oder zu viel eines eigentlich indizierten Präparats.

Die Analysen, die bei Leichen durchgeführt werden, um sehr viele unterschiedliche Gifte nachweisen zu können, dauern lange, erklärt die Wissenschaftlerin. Es werden verschiedene Körperflüssigkeiten und Gewebe untersucht. Je nach erhobenem Befund können weitere Untersuchungen notwendig werden.

Gamma-Hydroxybuttersäure ist gefährlich

Das könne Monate dauern, betont Iwersen-Bergmann. „Im Fernseh-,Tatort’ sieht das immer so einfach aus: Rechtsmediziner Boerne stellt nur nonchalant ein Röhrchen in einen Automaten und hat 30 Minuten später das Ergebnis. Oder er legt eine Probe einmal kurz unters Mikroskop. Das entspricht überhaupt nicht der Realität.“

Gefährlich sei Gamma-Hydroxybuttersäure, kurz GHB, oder seine noch häufiger eingesetzte Vorläufersubstanz Gamma-Butyrolacton (GBL), die im Körper zu GHB abgebaut wird. In geringeren Dosierungen hat es einen aufputschenden, stimmungsaufhellenden, champagnerrauschartigen Effekt, in größeren Mengen wirkt es als Narkotikum.

Bei Verdacht auf GHB – Urinprobe in den Kühlschrank

„GHB kann zu tiefem Koma führen. Wir hatten schon Todesfälle“, erzählt die Toxikologin. GHB oder GBL wird auch als K.-o.Tropfen beziehungsweise „Vergewaltigungsdrogen“ eingesetzt, also jemandem etwa heimlich ins Getränk gemischt, um die Opfer zu betäuben und damit wehrlos zu machen. „Nach dem Erwachen können sich die Opfer häufig aufgrund eines Blackouts nicht mehr an die Tat erinnern. Das macht den strafrechtlichen Nachweis oft schwierig.

Die Opfer sind erstmal verwirrt, leiden an Kopfschmerzen. Sie knabbern seelisch an ihrer Erinnerungslücke herum und melden sich nicht sofort. Das Problem: GHB wird relativ schnell ausgeschieden, deshalb muss möglichst schnell eine Urinprobe gesichert werden. Das kann zu Hause in einem sauberen Gefäß geschehen, dann Datum drauf – und ab damit in den Kühlschrank.

Fremdsubstanzen aus dem Untersuchungsmaterial heraus extrahieren

Dann kann man auch noch später mit der Probe zu uns in die Toxikologie kommen.“ Eine Doktorandin in der Toxikologie hat gerade vier Jahre an einer sehr empfindlichen Methode gearbeitet, um insgesamt 146 mögliche K.o.-Mittel im Urin noch möglichst lange nachweisen zu können.

In der Toxikologie werden bei lebenden Personen Urin, Blut und Haare untersucht. Es sei das Ziel, erklärt Iwersen-Bergmann, die Fremdsubstanzen aus dem Untersuchungsmaterial heraus zu extrahieren, die identifiziert und quantifiziert werden sollen. „Was im Blut zirkuliert, ist das, was gerade jetzt wirkt, zum Beispiel für einen Alkoholtest.“ Aus dem Blut gelangen die Substanzen auch in Haarwurzeln und diffundieren in die Haarsubstanz hinein. Dort sind sie noch lange nachweisbar.

Haare ermöglichen die Analyse bestimmter Zeiträume

„Für eine Haaranalyse brauchen wir einen bleistiftdicken Strang Haare. Dieser wird vermessen und der zu untersuchende Abschnitt abgetrennt. Er wird mehrfach gewaschen, dann zerschneiden wir die Haare in winzig kleine Schnipsel, extrahieren diese mit organischen Lösemitteln und analysieren die Extrakte.“

Weil Haare etwa einen Zentimeter pro Monat wachsen, können rückwirkend gezielt bestimmte Zeiträume untersucht werden. „Wenn sich etwa bei einem Kind der Hinweis auf einen zeitlich zurückliegenden sexuellen Missbrauch unter Einfluss von K.o.-Substanzen ergibt, kann konkret der Haarabschnitt untersucht werden, der in Frage steht, sofern die Haare lange genug sind.“

Iwersen-Bergmann macht sich Sorgen um die Zukunft der Toxikologie

Iwersen-Bergmann macht sich allerdings Sorgen um die Zukunft der Toxikologie in der Rechtsmedizin in Deutschland. So schreibe die Polizei diese Untersuchungsaufträge für Blutproben bundesweit zunehmend häufig öffentlich aus, moniert die Expertin. Die Aufträge werden somit auch an private Anbieter vergeben. Der Preis für eine Untersuchung spiele dabei oft die entscheidende Rolle. „Bei strafrechts- oder zumindest rechtsrelevanten Fragestellungen darf nicht primär der Preis für die Vergabe von Aufträgen entscheidend sein“, mahnt Iwersen-Bergmann.