Hamburg. Experten des UKE warnen vor Folgen elterlicher Gewalt. Jeder fünfte Säugling stirbt nach dieser schweren Misshandlung.

Es sind wenige Sekunden, die das Leben eines Babys für immer verändern können, es zerstören sogar. Wer sein Baby schüttelt, bringt es in Lebensgefahr. Etwa 20 Prozent aller geschüttelten Babys sterben, 66 Prozent sind danach behindert. Und die Dunkelziffer ist hoch. Doch wie gefährlich diese Form der Kindesmisshandlung ist, ist manchen Eltern vielleicht gar nicht bewusst. Jährlich sterben deutschlandweit rund 200 Kinder daran, dass sie in einem Moment der Überforderung, Verzweiflung oder Unwissenheit von einem wütenden Elternteil geschüttelt werden.

Erschreckende Zahlen, die Rechtsmediziner umtreiben und immer wieder vor den Gefahren warnen lassen. „Ein Kind darf man niemals schütteln“, betont der Direktor des Instituts für Rechts­medizin am UKE, Prof. Klaus Püschel. Das Schütteln sei „wie ein Beben im Kopf“. Es könne sehr schnell zur Schädigung des Gehirns, beispielsweise mit epileptischen Anfällen oder Erblinden oder sogar zum Tod führen. In einigen Fällen werde das Schütteltrauma-Syndrom nicht entdeckt beziehungsweise diagnostiziert: „Wahrscheinlich sind unter den Kindern, die in der Schule Probleme haben, auch welche, die geschüttelt worden sind“, so Püschel.

Entscheidend ist, die Wut nie am Kind auszulassen

Die möglichen Folgen des Schüttelns von Kindern ist eine Gefährdung, die Imme Adler, Vorsitzende der API Kinder- und Jugendstiftung, veranlasst zu sagen: „Jetzt müssen wir laut werden!“ Es müsse gezeigt werden, dass es viele Alternativen gibt, mit seiner Wut umzugehen, wenn die Nerven bei Eltern wegen schreiender Babys blank liegen. „Wir wollen aufklären, wir wollen Bündnisse, und wir wollen etwas erreichen“, so Adler. „Nämlich: weniger Kindermisshandlung durch Schütteltraumata!“

Das Herzstück einer Kampagne, die genau das leisten soll, hat Imme Adler über drei Jahre zusammen mit den Rechtsmedizinern Privatdozentin Dr. Dragana Seifert und Prof. Jan Sperhake vom UKE erarbeitet: „Sei wütend, aber schüttele nie dein Baby.“ Alles ist besser, als die Wut am Kind auszulassen, ist die Botschaft der Aktion, die Adler, Dr. Seifert und Prof. Sperhake im Medizinhistorischen Museum des UKE vorstellten.

Kern der Kampagne sind fünf unterschiedliche Plakate, in denen Menschen gratuliert wird, die ihre Wut anders ausgelebt haben, etwa indem sie eine Tasse an die Wand schmeißen. „Genial, Dennis.“ heißt es dort beispielsweise zu einem Foto, das eine zerbrochene Holzfigur zeigt. Begrüßt wird die Aktion auch von Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer und der Ärztekammer Hamburg. Wichtig seien beim Schütteltrauma die Aufklärung und die Prävention, sagt er: „Wir wollen, dass Eltern gar nicht erst zu Tätern werden."

Sekunden entscheiden über Leben und Tod

Die Kampagne wird als 45-Sekunden-Kurzfilm in Kinos in Hamburg, aber auch in Bremen, Bremerhaven, Berlin und Köln zu sehen sein, darüber hinaus auf rund 1300 Plakaten unter anderem in Hamburg sowie im Internet beispielsweise auf YouTube und auf Gaming Websites. Entwickelt wurden die Plakate unter der Regie von Produzent Felix Müller und Art Director Kalle Haasum. Fernsehmoderator Johannes B. Kerner, der die Veranstaltung moderierte, sagt: „Die Kampagne ist gut, die Kampagne ist wichtig.“

Dragana Seifert spricht von „fünf bis zehn Sekunden, die ein Leben für immer verändern oder sogar zerstören können“. Wenn ein Baby an Armen oder Brustkorb gefasst und geschüttelt wird, pendele der Kopf peitschenartig vor und zurück. Dieses kurze Schütteln reiche, um mitunter schwerste Schäden zu verursachen. Sie wünsche, dass Eltern, die so etwas getan haben, „sofort im Krankenhaus sagen, was passiert ist, um eine zeitnahe richtige Therapie zu ermöglichen“. Jan Sperhake sagt, es sei ein „erhebliches Schütteln“, das ein Beobachter sofort als „sehr gefährlich erkennen“ würde. Misshandlungs­bedingte Schädel-Hirn-Verletzungen, zu denen das Schütteltrauma gehört, seien für Säuglinge und Kleinkinder die häufigste nicht natürliche Todesursache.

Was für entsetzliche Folgen ein Schütteltrauma für die Opfer haben kann, war in den vergangenen Jahren unter anderem in zwei Strafprozessen deutlich geworden. Im Jahr 2015 war ein damals drei Monate alter Säugling von seinem Vater so massiv geschüttelt worden, dass der Junge blind und taub ist, seine Arme und Beine gelähmt sind und er regelmäßig Schmerzmittel bekommen muss. Der Vater, der die Misshandlung gestanden hatte, erhielt eine Freiheitsstrafe von siebeneinhalb Jahren. Nur wenige Wochen nach diesem Urteil wurde ein weiteres Kind so massiv geschüttelt, dass es an den Folgen starb. Der Stiefvater des Jungen wurde später zu elf Jahren Haft verurteilt.

www.schüttelntötet.de