Hamburg. Gegner und Befürworter diskutieren in der Patriotischen Gesellschaft über den Neubau – am Ende gibt es manche Übereinstimmung.

Seit Weihnachten elektrisiert die Frage nach dem Wiederaufbau der Synagoge am Bornplatz viele Hamburgerinnen und Hamburger: Während sich Politik und Jüdische Gemeinde fast einmütig für eine Rekonstruktion des alten Baus engagieren, wehren sich viele Holocaust-Überlebende sowie Intellektuelle in Israel und Deutschland gegen den Plan – sie fürchten um das bestehende Denkmal am Bornplatz und kritisieren, hier werden eine Wunde der Geschichte übertüncht.

Die Patriotische Gesellschaft hat in der mit Verve geführten Debatte eine Mittlerrolle übernommen und alle Beteiligten zu einer sorgfältigen Diskussion und Abwägung aufgerufen, um die beste Lösung gemeinsam zu erarbeiten. Am Dienstagabend kamen coronagerecht vier Vertreter der beiden Lager im Reimarus-Saal ins Gespräch – kontrovers und zielorientiert zugleich.

Bornplatzsynagoge: Jüdische Gemeinde will sichtbar werden

„Die Jüdische Gemeinde wünscht sich den Wiederaufbau der Synagoge. Gedanklich hat sie dabei das alte Gebäude vor Augen“, sagte Philipp Stricharz, der Erste Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg in seinem Eingangsstatement. Dieser Bau solle zeigen, was zerstört wurde, und ein Wiederaufbau erreiche viel mehr Menschen.

Der Wiederaufbau mache die Gemeinde stolz. „Wir wollen gesehen werden, wir wollen wahrgenommen werden.“ Stricharz verwies auf die Geschichte: „Hamburg hat die jüdische Welt geprägt.“ Dies sei heute zu wenig sichtbar, die Synagoge in der Hohen Weide spiele in der Stadt keine Rolle. „Antisemitismus hat ein Ziel: Juden sollen nicht sichtbar sein, nicht in der Öffentlichkeit vorkommen, keine Rolle spielen. Daher wollen wir ein Zeichen setzen an einem traditionsreichen Ort – im Herzen des jüdischen Viertels am Bornplatz.“

Historikerin: „Wir fantasieren uns in eine gute alte Zeit“

Die Historikerin Miriam Rürup, Direktorin des Moses Mendelssohn Zen­trums für europäisch-jüdische Studien in Potsdam, wollte die Dinge anschließend „etwas verkomplizieren“ und ordnete die Geschichte des Gebäudes ein. Sie sieht einen historischen Wiederaufbau kritisch. Die Bornplatzsynagoge sei erst 1906 eröffnet worden – Jahrhunderte, nachdem sich jüdisches Leben in Altona und der Neustadt entwickelt habe.

Der Bau selbst sei Ausdruck eines selbstbewussten Judentums – errichtet in einem christlichen Baustil, der sich Kirchen anpasst und eben schon damals nicht modern war. Rürup erinnerte daran, dass Hamburger die Synagoge im November 1938 in Brand steckten und danach an dieser Stelle einen Bunker errichteten. Rürup verwies auf die besondere Bedeutung des Bodenmosaiks der Künstlerin Margrit Kahl, das 1988 als Erinnerung an die jüdische Geschichte erstand.

„Das war eine Avantgarde-Bewegung von Juden und Nichtjuden. Darauf sollte man sehr stolz sein.“ Und sie fragte: „Dürfen wir uns davon schon abwenden? Sind wir schon so weit?“ Rürup warnt: „Wenn wir historisierend bauen, fantasieren wir uns in eine gute alte Zeit.“ Man könne Geschichte aber nicht heilen. Ausdrücklich warnte sie vor einer „moralischen Elbphilharmonie“.

Politik möchte auf Wünsche der Jüdischen Gemeinde eingehen

In der folgenden Debatte betonte die grüne Staatsrätin Eva Gümbel, das Wort „Wiederaufbau“ beinhalte sowohl die Kopie als auch den bloßen Wiederaufbau einer Synagoge. „Es ist kein politisches Projekt, in dem sich Politiker entlasten wollen. Hier geht es um den Wunsch der Jüdischen Gemeinde, hier sichtbar zu werden.“

Die Politik habe kein festes Bild im Kopf gehabt, sagte die Staatsrätin der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke. Es sei auch nicht die Position des Senats, dass eine Kopie des Baus von 1906 entstehen müsse. Die Politik werde aber gut zuhören, was die jüdische Gemeinde wünsche. „Die Machbarkeitsstudie ist offen“, sagte Gümbel.

Miriam Rürup: „Das ist eine große Herausforderung.“

Hier widersprach Ingrid Nümann-Seidewinkel, die von 1980 bis 1995 Bezirksamtsleiterin in Eimsbüttel und später Finanzsenatorin war. Sie verwies auf die Formulierung in der Ausschreibung der Jüdischen Gemeinde. Die Bürgerschaft habe den Wiederaufbau einer Synagoge beschlossen, nun heiße es Wiederaufbau der Synagoge. „Architekten wollen den Auftrag bekommen – da wird es nur eine Variante geben. Dann werden sie keine Chance mehr haben zu diskutieren.“

Miriam Rürup warb um „größtmögliche Kreativität“ bei der Herangehensweise – die Synagoge solle an den Bau von 1906 erinnern, mit dem bestehenden Mahnmal würdig umgehen, die Wünsche der Überlebenden berücksichtigen und der Jüdischen Gemeinde ein Zuhause geben. „Das ist eine große Herausforderung.“

Platz soll das deutsche Judentum voranbringen

Zum Schluss wagten alle einen Blick in die Zukunft – und da stellte sich heraus, dass die unterschiedlichen Positionen möglicherweise gar nicht unüberbrückbar auseinanderliegen. Philipp Stricharz wünscht sich einen Platz, der „vor Leben überquillt“, die Bornplatzsynagoge als offenen Ort für Gebete, Feste und Begegnung. „Ich möchte keinen hermetisch abgeriegelten Platz.“ Die Synagoge solle das deutsche Judentum voranbringen.

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Ingrid Nümann-Seidewinkel möchte dort einen modernen Komplex aus Synagoge und anderen Nutzungen, die Menschen zum Bornplatz lockt. „Es gibt tolle, moderne Architekten, die das schaffen.“

Bornplatzsynagoge: Gegner und Befürworter nähern sich

Miriam Rürups Vision sieht ein neues Gebäude, das den Bunker als Fragment hineinnimmt und so zerstört: „Das würde den Trotz zeigen: Ihr habt uns nicht kleingekriegt. Denn Juden durften damals nicht bei Bombenangriffen in den Bunker. Das Mahnmal wäre noch da, aber eben auch ein Platz mit Leben, ein Gemeindehaus.“ Sie bevorzugt eine Synagoge für alle Strömungen im Judentum.

Die Vision der Staatsrätin Eva Gümbel sieht es ähnlich: „Ich wünsche mir einen lebendigen Platz mit Bildungsarbeit und Begegnung zwischen Juden und Nichtjuden. Und ich wünsche mit sehnlichst, dass dann keine Sicherheitskräfte mehr nötig sind.“