Hamburg. Der Neubau der Bornplatzsynagoge sollte das Zuhause für alle jüdischen Glaubensrichtungen werden – und ein Ort der Begegnung.

Die Debatte um einen originalgetreuen Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge ist über weite Strecken eine Phantom­debatte. Der plakative Slogan der Hamburger Initiative für den Neubau „Nein zu Antisemitismus – Ja zur Bornplatz­synagoge“ darf nicht so missverstanden werden, dass jeder Vorschlag, der einen originalgetreuen Wiederaufbau infrage stellt, als „antisemitisch“ abgestempelt wird.

Aber bei aller Debattierfreude der an jüdischen Fragen interessierten Menschen innerhalb und außerhalb der Stadtgesellschaft sollte letztlich entscheidend sein, welche Bedürfnisse die heutigen Hamburger Jüdinnen und Juden haben, deren Vorgänger, bevor sie ermordet wurden, die alte Bornplatz­synagoge nach ihrer Schändung in der Pogromnacht vom November 1938 auf eigene Kosten abreißen lassen mussten. Wenn die heutigen Juden Hamburgs sich für eine Rekonstruktion entscheiden sollten, ist das ihr gutes Recht.

„Wir wünschen uns die Rückkehr an unseren alten Ort"

Die Idee eines originalgetreuen Wiederaufbaus habe ich selbst allerdings nie vertreten. Im September 2010 sprach ich bei der Feier zum 50. Jahrestag der Eröffnung der Synagoge Hohe Weide vom leeren Platz, auf dem einst die Bornplatzsynagoge stand.

Dort solle sich ein Traum erfüllen – eine neue Synagoge mit Gemeindezentrum, einem Saal für Veranstaltungen und einem Ort der Erinnerung: „Wir wünschen uns die Rückkehr an unseren alten Ort, denn der leere Platz ist eine Wunde in unserem Leben.“ Die Hamburgische Bürgerschaft hat mich mit diesem Satz in ihrem einstimmigen Beschluss vom 12. Februar 2020 zitiert. Einen Bau in der Architektur des Kaiserreiches heute zu errichten, als hätte es die Schoa nicht gegeben, hielt und halte ich für verfehlt.

Bei Aufgabe der Synagoge würde Veranstaltungssaal wegfallen

Wenn die 1960 eingeweihte Synagoge an der Hohen Weide aufgegeben und an die Freie und Hansestadt zurückgegeben wird, verschwindet damit auch der dortige Veranstaltungssaal. Es fehlen außerdem Räume für Jugend- und Seniorenarbeit, Seminare, Verwaltung, Bibliothek und nicht zuletzt Räume für die Begegnung mit der Stadtgesellschaft.

In einem Neubau auf dem Joseph-Carlebach-Platz könnte all dies in einem Gemeindezentrum integriert werden, gemeinsam mit einer Synagoge, die aus bekannten und sehr traurigen Gründen deutlich weniger Plätze braucht als die alte Bornplatzsynagoge. Eine angemessene und öffentlich sichtbare Form der Erinnerung wird mit Sicherheit dazugehören; Geschichtsvergessenheit wird niemand bei Juden befürchten müssen.

Bodenmosaik könnte in Neubau integriert werden

Das Bodenmosaik, das seit 1988 den Grundriss der alten Bornplatzsynagoge markiert, hat entscheidend dazu beigetragen, dass der leere Platz dauerhaft mit der Zerstörung jüdischen Lebens in der Nazizeit konnotiert ist – und dass alle Begehrlichkeiten, dieses Gelände irgendwie zu bebauen, hinfällig wurden. Wenn jetzt die Chance besteht, dem neuen jüdischen Leben in Hamburg an seinem alten Ort ein Zuhause zu bauen, ist damit nicht zwangsläufig die Zerstörung des Bodenmosaiks verbunden; es ließe sich fantasievoll in den Neubau integrieren.

Die Alternative wäre, einen anderen Ort für dieses Zuhause zu suchen. Das halte ich für keine gute Idee. In letzter Konsequenz hieße das ja, ungewollt ein Ziel der Nazis dauerhaft durchzusetzen, nämlich die zentrale Synagoge im Grindelviertel für alle Zeit verschwinden zu lassen. Richtig konfliktträchtig wird es, falls die Idee, den alten Bornplatz dauerhaft unbebaut zu lassen, viele Anhänger finden sollte.

Ehemaliger Kriegsbunker von Universität Hamburg genutzt

Dass denkmalschützerische Überlegungen Vorrang vor dem Schutz des sich neu regenden jüdischen Lebens in Hamburg und seiner Rückkehr an den alten Ort mitten im Grindelviertel haben sollen, kann ich nicht akzeptieren.

Dass gar der Kriegsbunker, den die Nazis auf dem Gelände errichtet haben, als Ausdruck des Zusammenhangs „von Krieg und Judenvernichtung“ erhaltenswürdig sei, wie ja auch zu lesen war, und dass schon deshalb keine Neubebauung des ganzen Platzes für jüdische Zwecke denkbar sei, leuchtet mir in keiner Weise ein, denn dem ehemaligen Kriegsbunker sieht man seine ursprüngliche Bestimmung nicht mehr an, seitdem er vor langer Zeit Fenster bekommen hat und von der Universität genutzt wird. Und, schlimmer noch: Eine solche Ausdeutung legt, gewollt oder ungewollt, die fatale Gleichsetzung von Holocaust und Bombenkrieg nahe.

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Neue Bornplatzsynagoge nicht nur als Zuhause der Orthodoxie

Wenn mit dem geplanten Neubau auf dem ehemaligen Bornplatz ein starker Impuls für das neu entstehende vielfältige jüdische Leben in Hamburg verbunden sein soll, dann darf dieses Haus nicht allein der Orthodoxie vorbehalten sein. Vor der Schoa gab es in Hamburg eine Vielzahl von Synagogen der unterschiedlichen jüdischen Glaubensrichtungen. Sie alle sind verschwunden, nicht nur der Tempel an der Oberstraße, der seit Jahrzehnten dem NDR als Konzertsaal dient.

Ein Neubau auf dem ehemaligen Bornplatz muss ein Zuhause für alle jüdischen Glaubensrichtungen werden – und ein Ort der Begegnung, der weit hinaus in die Stadtgesellschaft ausstrahlt.

Ruben Herzberg, geboren 1951 in Haifa/Israel, war von 1994 bis 2018 Schulleiter eines Hamburger Gymnasiums und von 2007 bis 2011 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg. Er leitet, gemeinsam mit seiner Frau Ingrid, die Redaktion einer pädagogischen Fachzeitschrift der Hamburger Schulbehörde.