Hamburg. Ver.di und Linkspartei kritisieren Senat. Der verweist auf Zwänge der Familien. Zahl der neuen Corona-Fälle hoch, aber stabil.
Die Entscheidung des Hamburger Senats, die Kitas auch im heute beginnenden landesweiten Lockdown geöffnet zu lassen, sorgt für Diskussionen. „Ein Lockdown ist nicht die Zeit für den Regelbetrieb“, kritisiert die Gewerkschaft Ver.di. Und Die Linke sieht die Kitas „in einer Zwickmühle zwischen Betreuungswünschen und Fürsorgepflicht für ihre Beschäftigten“.
Wie berichtet, hatte der rot-grüne Senat am Sonntag beschlossen, dass die Kitas „im Interesse der Kinder und ihrer Eltern“ geöffnet bleiben – und zwar im Regelbetrieb und nicht nur mit Notbetreuung. Das entspricht auf den ersten Blick nicht dem kurz zuvor gefassten Beschluss von Bund und der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK). Dort heißt es, vom 16. Dezember bis zum 10. Januar würden „die Schulen grundsätzlich geschlossen, oder die Präsenzpflicht wird ausgesetzt“. Und: „In Kindertagesstätten wird analog verfahren. Für Eltern werden zusätzliche Möglichkeiten geschaffen, für die Betreuung der Kinder im genannten Zeitraum bezahlten Urlaub zu nehmen.“ Von einer möglichen Kita-Öffnung ist nicht die Rede. Und die Präsenzpflicht kann an Kitas nicht ausgesetzt werden, da es sie nicht gibt.
Leonhard: „Kindern ein Stück Normalität bewahren“
Dennoch ist der rot-grüne Senat der Auffassung, dass seine Entscheidung „durchaus dazu passt, was die MPK beschlossen hat“, so Senatssprecher Marcel Schweitzer am Dienstag. Denn erstens gehe es darum, Menschen mit systemrelevanten Berufen – von Kassierern im Supermarkt über Labormitarbeiter bis hin zu Krankenpflegern – zu ermöglichen, weiter zur Arbeit zu gehen: „Wenn diese Menschen eine Kinderbetreuung nicht im Privaten organisieren können, dann ist es eine gesellschaftliche Aufgabe, dass wir das sicherstellen“, so Schweitzer. „Deshalb bleiben Kitas und Schulen geöffnet.“
Und zweitens habe der Senat, auch in Person von Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD), alle Eltern ja ausdrücklich darum gebeten, ihre Kinder bis zum 10. Januar 2021 „möglichst nicht“ in die Kita oder zur Tagesmutter zu bringen. „Wir wollen den Hamburger Kindern und Familien ein Stück Normalität in dieser schwierigen Zeit bewahren“, sagte Leonhard am Dienstag. „Wir wissen aus dem Frühjahr, dass die Eltern sehr verantwortungsbewusst mit der Möglichkeit umgehen, ihr Kind bei Bedarf betreuen zu lassen.“ Während des ersten Lockdowns war der Senat ähnlich verfahren – mit dem Ergebnis, dass anfangs weniger als fünf Prozent der in normalen Zeiten mehr als 90.000 Kita-Kinder in die Betreuung gegeben wurden. Allerdings handelte es sich damals um „Notbetreuung“, nicht um „Regelbetrieb“.
Schon vor dem Lockdown war das Personal knapp
Britta Herrmann, Familienexpertin der Grünen in der Bürgerschaft, verwies auf einen weiteren Aspekt: „Für Kinder ist Stabilität durch soziale Kontakte und Förderung im Kontext von Tagesbetreuung enorm wichtig. Die aktuelle Umsetzung der Beschlüsse in Hamburg richtet den Fokus diesmal, anders als im ersten Lockdown, genau darauf.“ Auch Kinderärzte und Klinikbetreiber hatten daher appelliert, die Kitas nicht ganz zu schließen – unter anderem, weil dann Personal in Krankenhäusern fehlen würde.
Nach Aussage der Gewerkschaft Ver.di stößt diese Haltung bei den Kita-Beschäftigten auf Unverständnis. Schon vor dem Lockdown sei das Personal dort knapp gewesen. Durch Corona-Infektionsfälle und Quarantäneanordnungen werde es noch knapper, sodass die pädagogische Arbeit leide. „Im Lockdown sollten alle Kontakte so weit wie möglich heruntergefahren werden“, sagte Ver.diSekretär Michael Stock. „Die Beibehaltung des Regelbetriebs in den Kitas erscheint uns falsch und passt nicht dazu.“ Ver.di plädiert daher dafür, im Lockdown nur eine Notbetreuung für die Kinder von Eltern in systemrelevanten Berufen oder von Kindern mit pädagogischem Bedarf aufrechtzuerhalten.
Handfestes Problem
Auch aus Sicht der Fraktion der Linken in der Bürgerschaft wirft die Kita-Öffnung Fragen auf: „Dank der butterweichen Entscheidung des Senats befinden die Kitas sich hier in einer Zwickmühle zwischen Betreuungswünschen und Fürsorgepflicht für ihre Beschäftigten“, sagte Insa Tietjen, kinderpolitische Sprecherin der Fraktion. „Für die verlässliche Planung der Beschäftigten und der Eltern hätten wir gerade angesichts der anstehenden Feiertage und des Jahreswechsels eine klarere Lösung gebraucht.“
Hinzu kommt möglicherweise ein handfestes Problem: Denn bei einer Schließung der Kitas (ebenso wie der Schulen) haben Eltern, die dann nicht arbeiten gehen können, einen Anspruch auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz – bis zu 67 Prozent des Nettoeinkommens, höchstens aber 2016 Euro pro Monat übernimmt dann der Staat. Entfällt dieser Anspruch bei geöffneten Kitas? Das sei noch in Klärung, hieß es dazu aus der Sozialbehörde. Das Bundesarbeitsministerium arbeite noch an einer Regelung – die vermutlich dahin gehe, dass Eltern diesen Anspruch auch bei geöffneten Kitas haben, wenn sie sich an den Appell halten, ihre Kinder möglichst zu Hause zu betreuen.
Aufbau des zentralen Hamburger Impfzentrums abgeschlossen
Am Dienstag wurden in Hamburg 279 Corona-Neuinfektionen registriert. Nachdem es am Dienstag der Vorwoche 281 Fälle waren, sank die Inzidenz (Zahl der Ansteckungen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen) minimal um 0,1 Prozentpunkte auf 138,3. Das sei zwar besser als der Bundesdurchschnitt (174), aber immer noch zu hoch, so Senatssprecher Schweitzer: „Unsere Zielzahl ist 50, da müssen wir drunter.“ Die Zahl der Covid-19-Patienten in Krankenhäusern stieg um 48 auf 467. Unter ihnen waren 355 Patienten aus Hamburg. Insgesamt 93 Patienten mussten intensivmedizinisch betreut werden, unter ihnen 73 Hamburger. Zum Vergleich: Vor einer Wochen wurden in Hamburg 386 Patienten wegen Covid-19 behandelt. Schweitzer sprach von einer „besorgniserregenden Entwicklung“. Das RKI meldete insgesamt 481 Verstorbene, die auch mit dem Coronavirus infiziert waren – drei mehr als am Montag.
Unterdessen ist der Aufbau des zentralen Hamburger Impfzentrums in den Messehallen planmäßig abgeschlossen worden. Sobald die erste Corona-Vakzine verfügbar sei, werde „unverzüglich“ mit Impfungen begonnen, so die Sozialbehörde. Zwar hieß es am Dienstag, die Europäische Arzneimittel-Agentur werde den Impfstoff von Biontech und Pfizer schon in Kürze für Deutschland und die EU zulassen. Ab wann danach die Impfungen in den Messehallen starten werden, konnte der Senat aber noch nicht sagen.
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Die Universität Hamburg teilte am Dienstag mit, dass von heute an bis zum 10. Januar an der Hochschule keine Präsenzveranstaltungen mehr stattfinden sollen. Zudem werde die Uni in dieser Zeit ihre Gebäude schließen und den Betrieb der Bibliotheken einstellen. An der größten Hochschule der Hansestadt mit etwa 60.000 Beschäftigten und Studierenden fanden im Wintersemester allerdings schon die meisten Vorlesungen und Seminare digital statt. Ausnahmen bildeten etwa Übungen in Laboren, Schulpraktika und die Ausbildung von angehenden Medizinern an Patienten.
Für ein weithin sichtbares Zeichen der Wertschätzung sorgte schon am Montagabend Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Kay Gätgens (SPD): Erleuchtete Fenster des Amtsgebäude am Grindelberg bildeten das Wort „DANKE“. Dies gelte dem Engagement der mehr als 1000 Amtsmitarbeiter während der Corona-Pandemie, aber auch allen Bürgern, die dazu beitragen, das Infektionsgeschehen einzudämmen, sagte Gätgens.
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