Hamburg. Verrückte Idee: Wie der gelernte Sportjournalist aus Hamburg das Magazin „Grundgesetz“ gegen alle Widerstände auf den Markt brachte.

Es war im Spätsommer 2018, als Oliver Wurm Weggefährten einweihte. Er plane ein Projekt, das ihm am Herzen liege wie kein anderes zuvor. Er werde das Grundgesetz als Magazin veröffentlichen. Unsere Verfassung, sagte Oliver Wurm, müsse optisch endlich angemessen präsentiert werden. Auflage: 100.000 Stück, Stückpreis: 10 Euro.

Es war der Moment, wo man sich fragte, ob der gelernte Sportjournalist vor lauter Wagemut gegen jede wirtschaftliche Vernunft handelt. Wer soll, bitte schön, ein Magazin mit einem 70 Jahre alten Text kaufen, den sich jeder gratis im Internet herunterladen kann? Den einem die Bundeszentrale für politische Bildung sogar kostenlos als kleines Büchlein zuschickt?

 Brosda: Unternehmerischer Mut und demokratische Leidenschaft

Knapp zweieinhalb Jahre später plant Wurm (50) die fünfte Nachdruckauflage, die ersten 100.000 Exemplare waren binnen weniger Wochen vergriffen. Am Montag überreichte ihm Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien, das Bundesverdienstkreuz am Band: „Mit dieser besonderen Ehrung würdigt der Bundespräsident das ungewöhnliche Engagement von Oliver Wurm für unsere Gesellschaft. Einen 70 Jahre alten, frei verfügbaren Verfassungstext auf eigene Kosten als Zeitschrift zu veröffentlichen zeugt von unternehmerischem Mut, vor allem aber von demokratischer Leidenschaft“, sagte Brosda.

Wurm habe mit dem Projekt „auf eine der schönsten Arten unserem Grundgesetz zum 70. Geburtstag gratuliert und über die Grundlagen unserer Demokratie aufgeklärt.“

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Eine Fernsehsendung lieferte den Impuls. Im Oktober 2017 sagte der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar beim Talk mit Markus Lanz: „Das Grundgesetz ist sensationell. Wer es nicht gelesen hat, sollte es durchlesen.“ Noch in der Nacht schickte Wurm Art­director Andreas Volleritsch, zuständig für das Design seiner Magazine, eine SMS: „Andreas, wir haben das nächste Projekt.“

Wer in dem Magazin blättert, spürt die Wucht des alten Gesetzestextes. Es liegt nicht nur am hochwertigen Papier sowie der Gliederung in den Landesfarben, sondern auch an Wurms Mut, die 146 Artikel des Grundgesetzes optisch unterschiedlich zu gewichten. Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“) nimmt eine Doppelseite ein, Artikel 104 c („Finanzhilfen für Investoren“) ganze zwei Zentimeter.

Deutschland von oben: Bilder vom Astronaut Alexander Gerst

Die Magazin-Macher grübelten lange über geeignete Optiken. Im Internet sah Wurm dann Fotos, die der Astronaut Alexander Gerst auf seiner Mission mit der Sojus MS-09 geschossen hatte. „Deutschland von oben, das ist es“, dachte Wurm und schrieb Gerst eine Mail. Den Astronauten faszinierte die Idee so sehr, dass er seine Fotos honorarfrei zur Verfügung stellte.

Diese Episode verrät viel über das Erfolgsgeheimnis des gebürtigen Sauerländers. Er fackelt nicht lange: „Ich habe nicht mehr gute Ideen als viele andere. Ich setze nur mehr davon um. Auch die unvernünftigen.“ Und er kann begeistern. In vielen Gesprächen überzeugte er Partner – vom kleinen Fensterbauer bis zum Daimler-Konzern – das Projekt über Logos auf einer Unterstützer-Wand im Heft mitzufinanzieren. Wurm klapperte die Eigentümer großer Bahnhofsbuchhandlungen ab, um sie zu überzeugen, die Magazine auch ohne übliche Extrazahlungen gut zu platzieren.

Und doch konnte niemand wissen, dass das Magazin ein solcher Erfolg werden sollte. Sicher, Oliver Wurm hatte zuvor mit seinen mit Geschäftspartner Alexander Böker entwickelten Panini-Alben bewiesen, dass er ein Gespür für Marktlücken hat – allein für das Album „Hamburg sammelt Hamburg“ verkaufte das Duo 1,4 Millionen Tütchen.

Gibt auch Projekte mit einem dicken Minus

Aber es gibt eben auch Projekte mit einem dicken Minus. Kurz vor dem „Grundgesetz“ floppte sein Heft über Fußball-Maskottchen, vom HSV-Dino bis zum Hennes des 1. FC Köln. Und auch das WM-Heft 2018 – eine Folge aus seiner hochwertigen Serie „Fußballgold“ mit besonders hochwertigen Fußball-Magazinen – hatte am Kiosk einen schweren Stand. In der klassischen Verlagswelt können solche Niederlagen für verantwortliche Projektmanager zu unerfreulichen Gesprächen mit der Geschäftsleitung führen. Wurm spürt sie da, wo sie besonders wehtun: auf dem eigenen Konto.

„Auch auf die Schnauze fallen ist eine Vorwärtsbewegung“, sagt Wurm über sich selbst. Und die Ideen gehen ihm nicht aus. Am Vorabend der Auszeichnung karrte er Bestellungen seines Magazins „Diego“ über den inzwischen verstorbenen Fußballstar Maradona mit einer Sackkarre zu einer Postfiliale.

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