Hamburg. Die Hamburger Kreativen Oliver Wurm und Andreas Volleritsch machen aus der deutschen Verfassung eine hochwertige Zeitschrift.


Als Oliver Wurm im Literaturhauscafé an der Alster das Heft aus seiner Tasche holt, streicht er fast zärtlich über die Titelseite. Dann legt er das Magazin behutsam auf den Tisch. Stolz wie ein Vater, der gerade das erste Foto seines Babys zeigt.

Der Vergleich ist so falsch nicht. In gewisser Weise ist das Heft sein Baby. Nicht sein erstes: Der Hamburger Journalist hat sich einen Namen mit hochwertigen Magazinen gemacht, vor allem dank seiner Hefte zu Fußball-Europa- und Weltmeisterschaften.

Und doch ist dieses Mal alles anders. „Bei diesem Projekt habe ich eine Mission“, sagt Oliver Wurm: „Dieses Heft sollte jeder in Deutschland lesen.“ Nun hegen alle Magazin-Macher diesen frommen Wunsch. Doch Wurm geht es um das große Ganze, um den aus seiner Sicht wichtigsten deutschen Text.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

In sechs Monaten wird die deutsche Verfassung 70 Jahre alt, die Rückseite seines Magazins zeigt die Urkunde der Verabschiedung des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat. Sie trägt das Datum 23. Mai 1949. Der Jahrestag passt perfekt zu Wurms Projekt, war aber nicht der Anlass. „Mir geht es darum, gerade in diesen Zeiten dafür zu sorgen, dass sich wieder mehr Menschen mit unserer Verfassung beschäftigen.“ Diese Zeiten, das sind für Wurm: Hetze gegen Flüchtlinge, Demonstrationen von Neonazis. Oder international: das Aufkommen der Populisten in Europa, die Twitter-Kanonaden aus dem Weißen Haus, die Inhaftierung von Regimegegnern in der Türkei.

Das Grundgesetz sei sensationell

Den letzten Impuls lieferte Ranga Yogeshwar im Oktober 2017. Beim Talk mit Markus Lanz sagte der Wissenschaftsjournalist: „Das Grundgesetz ist sensationell. Wer es nicht gelesen hat, sollte es durchlesen.“ Noch in der Nacht schickte Wurm seinem Geschäftspartner Andreas Volleritsch, zuständig für das Design seiner Magazine, eine SMS: „Andreas, wir haben das nächste Projekt.“ Jetzt ist das Werk vollendet: Am Dienstag kommt das „Das Grundgesetz als Magazin“ in einer Auflage von 100.000 Stück in den Handel.

Es ist ein Projekt, das so ziemlich gegen jede Marketingregel verstößt. Der Text ist mitunter sperrig, fast 70 Jahre alt. Vor allem aber kann ihn sich jeder binnen Sekunden aus dem Internet herunterladen. Oder als Büchlein von der Bundeszentrale für politische Bildung schicken lassen. Beides kostenlos. Doch Wurm hat schon mehrmals sein Gespür für Ideen abseits von Marktforschungsinstituten bewiesen – etwa mit „Jesus am Kiosk“, dem Neuen Testament in einer ähnlichen hochwertigen Aufmachung, gekürt mit Preisen. Für das Grundrauschen in der Kasse sorgen die Panini-Hefte der Reihe „Deutschland sammelt“, allein in Hamburg verkaufte er 7,5 Millionen Klebebildchen.

Doch zum Mut gehört auch Scheitern. Im Sommer floppte sein Heft über Fußball-Maskottchen, vom HSV-Dino bis zum Hennes des 1. FC Köln. „Dabei ist es eines meiner schönsten Magazine“, sagt Wurm. In der klassischen Verlagswelt gäbe es dafür für den Chef vielleicht einen Rüffel vom Vorstand. Wurm schmerzen solche Niederlagen als eigenständiger Macher mehr: Er spürt sie auf dem eigenen Konto.

Als Zeichen für weltoffenes tolerantes Deutschland

Beim Grundgesetz-Magazin stehen die Zeichen besser. Partner wie Daimler oder die Deutsche Post garantieren mit ihren Logos auf einer Unterstützer-Wand die Mindestabnahme einer bestimmten Heftzahl. In den Gesprächen hat Wurm gespürt, dass er bei vielen Unternehmern und Managern einen Nerv getroffen hat. Auch sie finden das Grundgesetz-Magazin wichtig als Zeichen für ein weltoffenes tolerantes Deutschland. Gemeinnützige Organisationen wie das Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ bekommen Hefte und Logo, ohne einen Cent zu bezahlen.

Wer in dem Magazin blättert, spürt die Wucht des alten Gesetzestextes. Es liegt nicht nur am hochwertigen Papier sowie der Gliederung in den Landesfarben, sondern auch an Wurms Mut, die insgesamt 146 Artikel des Grundgesetzes optisch unterschiedlich zu gewichten. Artikel 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“) nimmt eine Doppelseite ein, Artikel 104 c („Finanzhilfen für Investoren“) zwei Zentimeter.

Die Fotos im Magazin kommen von oben. Von ganz oben, geschossen von Astronaut Alexander Gerst auf seiner Mission mit der Sojus MS-09 zur Internationalen Raumstation ISS. Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie Infografiken zur deutschen Geschichte, zu Wahlen und zu den Parteien endet das Heft.

Als der Abendblatt-Reporter das Heft in seinen Rucksack packen will, verzieht Wurm kurz das Gesicht: „Bitte knick es nicht.“ Ist eben sein Baby.

www.dasgrundgesetz.de