Hamburg. Bundesverdienstkreuz: Ex-Präsident des Verfassungsgerichts in Hamburg schreibt im Folgenden über Oliver Wurm und dessen Verdienst.

Das Grundgesetz als Magazin – zeitgemäß gestaltet, vielfarbig, grafisch ansprechend, bebildert – aber immer noch das Grundgesetz, Wort für Wort. Und genau das ist das geniale Geschenk von Oliver Wurm zum 70. Geburtstag unseres gesellschaftlichen Fundaments.

Sicher: Viele andere haben sich auch um Recht, Rechtsstaat im Grundgesetz verdient gemacht, an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz, in Reden vor Parlamenten, in ihrem Engagement, beruflich und ehrenamtlich. Aber Oliver Wurm ist etwas gelungen, was einzigartig ist, eine neue, eine andere Aufmerksamkeit zu erzeugen, den Weg zu denjenigen zu bereiten, die vielleicht sonst nicht so genau hingeschaut hätten.

Oliver Wurm schafft es, zum Nachdenken anzuregen

Ja, das Grundgesetz mit demokratischem Rechtsstaat und einer unabhängigen Justiz geht uns alle etwas an. Das schafft den Rahmen als tragende Säule für unsere Gesellschaft, aber eben auch insbesondere durch die Grundrechte für jeden Einzelnen von uns: Menschenwürde (Art. 1), das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2), die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3), die Glaubens- und Religionsfreiheit (Art. 4), Meinungs-, Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5), Versammlungsfreiheit (Art. 8), Berufsfreiheit (Art. 12), um nur einige Grundrechte zu nennen.

Oliver Wurm ist im besten Sinn ein Überzeugungstäter, davon konnte ich mich selbst überzeugen. Das erste Mal begegnete ich ihm am 29. Mai 2019 im NDR-90,3-„Kulturjournal Spezial“ zum Grundgesetz. Er als „Jura-Laien-GG-Patriot“, wie er sich selbst damals bezeichnete­; und ich als damaliger Prä­sident des Hamburgischen Verfassungsgerichts.

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Später nahmen wir beide im Februar 2020 zusammen mit einem Zeitzeugen des Dritten Reiches vor mehreren Hundert Schülerinnen, Schülern und Eltern an einer Podiumsdiskussion zum Grundgesetz teil, später auf Einladung der Evonik Stiftung im Oktober 2020 vor jungen Wissenschaftsstipendiatinnen bzw. -stipendiaten zu Wissenschaft und Grundgesetz.

Bei diesen Begegnungen vor so unterschiedlichen Kreisen schaffte es Oliver Wurm, seine Begeisterung, sein Engagement für unser Grundgesetz, seine Beweggründe für gerade diesen von ihm gewählten Weg eines Grundgesetz-Magazins zu vermitteln, zum Nachdenken anzuregen und anzustoßen, sich damit selbst auseinanderzusetzen. Ich konnte bei Diskussionen mit Schulklassen erleben, wie intensiv das Magazin als Lernmaterial eingesetzt wurde und offensichtlich auch bei den Schülerinnen und Schülern auf begeistertes Interesse stieß.

Friedrich-Joachim Mehmel (r.) ist der Ex-Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts und schreibt über den Weggefährten Oliver Wurm.
Friedrich-Joachim Mehmel (r.) ist der Ex-Präsident des Hamburgischen Verfassungsgerichts und schreibt über den Weggefährten Oliver Wurm. © Michael Rauhe

Gerade jetzt zeigt sich mehr denn je die Notwendigkeit, sich mit unserem Grundgesetz zu beschäftigen, für Demokratie und Rechtsstaat einzutreten:

  • Wir erleben ein gesellschaftliches Klima, das man als gefühlte Rechts­staats­losigkeit bezeichnen könnte: Immer mehr Menschen aus unterschiedlichen Milieus meinen für sich definieren zu können, was Recht und Unrecht ist; Wenn man nicht Recht bekomme, sei etwas mit den Rechtsstaat, mit der Justiz generell nicht in Ordnung. Auch wenn es gerade im internationalen Vergleich das berühmte „Klagen auf hohem Niveau ist“, kann man es als ein Alarmzeichen für einen beginnenden Vertrauensverlust in unseren Rechtsstaat, die Justiz und staatliche Institutionen ansehen.
  • Die politische Meinungsbildung findet nicht mehr allein im sogenannten bürgerlichen Kommunikationsraum statt, sondern im großen Umfang unterhalb des Radars in den sozialen Medien in einer Art „Schattenöffentlichkeit“, geprägt von Fake News und Verschwörungstheorien.
  • Und in der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie stehen einer großen Zustimmung der Bevölkerung zu den beschlossenen Maßnahmen, wie die jüngsten Demonstrationen in Deutschland gezeigt haben, krude Verschwörungstheorien gegenüber und verschwimmen die Grenzen zwischen den verschiedensten politischen Gruppen, wenn auf einmal Rechtsradikale, Antisemiten, Evangelikale, Anthroposophen, Esoteriker, Impfgegner u. a. Seite an Seite marschieren. Und aus dem Munde einiger deutscher Rechtswissenschaftler konnte man in den vergangenen Monaten auch Einschätzungen hören wie „faschistoid-hysterischer Hygienestaat“ oder der Rechtsstaat sei schwer beschmutzt, es gebe sogar Tendenzen hin zum totalen Überwachungsstaat. So sehr die Kritik besonders wirtschaftlich Betroffener ernst zu nehmen ist, rechtfertigt dies die zum Teil massive Kritik nicht – wie schon allein die Vielzahl der verwaltungs- und verfassungsgerichtlichen Entscheidungen zeigt.

Auch wenn viele das Grundgesetz, den Rechtsstaat und die Demokratie als etwas Selbstverständliches ansehen, zeigen doch diese Beispiele aus der aktuellen Diskussion und auch weitere Herausforderungen wie zum Beispiel der Einsatz von künstlicher Intelligenz und deren Auswirkungen auf verschiedenste gesellschaftliche Bereiche, dass unser Grundgesetz, dass der demokratische Rechtsstaat alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Es besteht die dringende Notwendigkeit der Achtsamkeit, der Vermittlung der Bedeutung des Grundgesetzes, des Werbens für Demokratie und Rechtsstaat.

Jeder kann dem Grundgesetz ein Geschenk machen

Oliver Wurm hat mit dem „Grundgesetz als Magazin“ hierfür einen zentralen Beitrag geleistet. Es reicht eben nicht aus, in klugen Büchern darüber zu schreiben, Reden zu halten oder Gerichtsentscheidungen zu treffen, so wichtig sie auch jeweils für sich sind. Es geht darum, die Diskussion zu den Menschen zu tragen und sie zu erreichen, neugierig zu machen, sie dazu zu bringen, sich mit dem Grundgesetz aus­einanderzusetzen. Recht muss erklärt werden, man muss Recht kommunizieren. Dies gilt insbesondere für die Schülerinnen und Schüler. Gerade hier stellt das Grundrechts-Magazin – auch durch seine Gestaltung – ein anderes Medium für die Beschäftigung mit unserer Verfassung dar. Und nur so kann daraus dann auch Wertschätzung werden.

Für uns alle sollte das, was Oliver Wurm mit dem Magazin erkennbar auf den Weg gebracht hat, selbst Herausforderung, Anspruch, ja, Notwendigkeit sein, sich für unser Grundgesetz, für Demokratie und Rechtsstaat bei aller Kritik im Einzelnen in unseren jeweiligen Umfeldern und Wirkungskreisen immer wieder aktiv einzusetzen. Das ist das Geschenk, das jeder und jede ans Grundgesetz machen kann.

Friedrich-Joachim Mehmel, Präsident des Hamburgischen Verfassungs- und Oberverwaltungsgerichts a. D. und Vorsitzender des Rechtsstandorts Hamburg e. V.