Hamburg. Wegen Corona musste die Hamburgensie zum ersten Mal in ihrer 300-jährigen Geschichte abgesagt werden. Wie es den Händlern geht.

Diese Atmosphäre am frühen Morgen, wenn die Menschen sich dicht gedrängt über den Fischmarkt bewegen. Das ist einmalig. Da sind die Familien, die mit kleinen Kindern schon früh wach sind, da sind die Partyleute, die das letzte Bier oder den ersten Kaffee trinken, bevor die Nacht vorbei ist. Wohl nirgends treffen Nachtschwärmer auf Familien, auf Touristen. Auf den Fischmarkt gehören sie alle. Und mittendrin schreien Originale wie Aale-Dieter, Käse-Tommi oder Bananen-Fred, sorgen für Stimmung und guten Verkauf. Das war einmal. Die Pandemie hat den traditionellen Hamburger Fischmarkt sonn­tagmorgens zum Erliegen gebracht. Es ist jetzt still an der Großen Elbstraße.

Zum ersten Mal in seiner 300-jährigen Geschichte musste der Fischmarkt Mitte März wegen der Ausbreitung des Coronavirus abgesagt werden. Dort, wo sonst rund 120 Marktstände aufgebaut sind und sich sonntags bis zu 70.000 Besucher drängen, herrscht seitdem Leere. Trostloses kaltes Pflaster statt lebendiger Marktszene.

Fischmarkt-Urgestein Dieter Bruhn vermisst den Rummel

Zum ersten Mal muss auch Dieter Bruhn, alias Aale-Dieter, zu Hause bleiben. Nichts zu tun zu haben, das ist nichts für das Fischmarkt-Urgestein. Trotz seiner 81 Jahre hat er Hummeln im Hintern. Er vermisst den Rummel, er vermisst es, unterwegs zu sein in ganz Deutschland und seine Entertainer- und Verkaufsqualitäten unter Beweis zu stellen. Aber es nützt ja nichts. Und doch verstehen er und viele seiner Kollegen nicht, warum der Fischmarkt nicht stattfinden darf, der ebenfalls stark frequentierte Isemarkt in Harvestehude und andere Wochenmärkte aber schon.

Der Fischmarkt sei kein Tummelplatz für betrunkene Partyleute, sondern in erster Linie ein Wochenmarkt, sagt Bruhn. „Warum beim Fischmarkt andere Regeln gelten als beim vollen Isemarkt, verstehe ich nicht.“ Die AHA-Regeln einzuhalten – also Abstand, Hygiene und Alltagsmaske tragen – sei kein Problem. „Wir können die Besucher per Megafon auf die Einhaltung aufmerksam machen.“

Ende Oktober sollte es wieder losgehen

Ende Oktober sollte es zu veränderten Bedingungen wieder losgehen. Doch der Start wurde bis auf Weiteres verschoben. Sobald die Eindämmungsverordnung eine größere Besucherzahl als 100 auf den Fischmarkt ermöglicht, soll ein weiterer Anlauf zur Wiedereröffnung unternommen werden. Dann unter Corona-Bedingungen mit lediglich 60 Beschickern, die gewechselt werden, und statt von fünf Uhr beziehungsweise sieben Uhr im Winter bis 9.30 Uhr soll der Markt von elf bis 15 Uhr stattfinden. Statt Zehntausende Besucher werden vorerst nur 500 erlaubt sein.

Corona-Krise: Hamburg ändert die Strategie

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Das Gelände soll umzäunt werden mit einem getrennten Ein- und Ausgang und einer Einbahnstraßen-Regelung. Sicherheitskräfte sollen den Einlass regeln und auf die Einhaltung der Abstandsregeln achten. Die Fläche wird sich verkleinern und 250 Meter mal 30 Meter groß sein. Der Fischmarkt wird auf der sogenannten Containerfläche stattfinden, östlich des Eingangs zum U-Boot. Ab 14.30 Uhr soll über die Lautsprecheranlage eine Durchsage erfolgen, dass der Markt um 15 Uhr geschlossen wird.

Fischmarkt wird offiziell wie eine Großveranstaltung behandelt

„Das Sicherheitspersonal kommuniziert die Schließung des Marktes in der Warteschlange. Alle zu diesem Zeitpunkt noch wartenden Besucher werden aufgefordert, das Gelände zu verlassen“, so Mike Schlink, Sprecher des zuständigen Bezirksamtes Altona. Anders als der Isemarkt etwa wird der Fischmarkt offiziell wie eine Großveranstaltung behandelt. „Der Fischmarkt wurde stets mehr als Event wahrgenommen denn als Wochenmarkt zur Versorgung mit Lebensmitteln des täglichen Bedarfs.“

Dem widersprechen die Händler. „Der Fischmarkt ist ein echter Wochenmarkt. Viele umliegende Restaurants kaufen dort sonntagmorgens ihre Waren ein, häufig in großer Menge zu guten Bedingungen“, sagt Wilfried Thal, Präsident des ambulanten Gewerbes. Ob der Fischmarkt zu den späteren Zeiten sich wirtschaftlich rechnet und zukunftsfähig ist, sei fraglich. „Unter den Bedingungen ist das kein richtiger Hamburger Fischmarkt“, so Thal. Zwar gebe es ein Rotationsprinzip, sodass jeder Händler die Chance hat, einen Platz zu bekommen.

Niedrigere Kundenfrequenz

„Aber viele verkaufen frische Waren. Das lohnt sich für die nicht, die Waren nur in einem 14-tägigen Wechsel zu verkaufen. Diese Ware muss frisch umgeschlagen werden.“ Ziemlich düstere Aussichten also: eine niedrigere Kundenfrequenz – das alles sei nicht der Fischmarkt, wie man ihn kenne. „Das ist nicht das, was die Leute vom Hamburger Fischmarkt erwarten“, so Thal. Da würden massive Schäden entstehen. Und: Es sei fraglich, ob die Händler ihrem Fischmarkt auch nach Corona treu bleiben. „Viele müssen sich umorientieren, um wirtschaftlich überleben zu können“, so Thal.

Zehntausende Besucher auf dem Fischmarkt – vor Corona.
Zehntausende Besucher auf dem Fischmarkt – vor Corona. © dpa | Axel Heimken

„Die Leute kaufen Fisch morgens und nicht nachmittags, da wollen sie Kaffee und Kuchen“, sagt Dieter Bruhn. Man könne den Fischmarkt nicht einfach umkrempeln. „Der Markt ist ein Aushängeschild für Hamburg und wird es immer bleiben, auch nach Corona.“ Er ist sofort dabei, wenn der Markt wieder frühmorgens geöffnet wird. „Ich bin ein waschechter Hamburger, und ich bin doch ein fitter Junge. Ich bin auch mit 100 Jahren dabei.“ Die frische Luft an der Elbe, das sei doch in Corona-Zeiten ideal. „Ich habe den Krieg überlebt, da werde ich das hier auch überstehen.“

Dirk Radack kämpft um seine Zukunft

Ob es den Fischmarkt weiterhin geben wird, das sieht Aale-Dieters Kollege Bananen-Fred alias Dirk Radack weniger optimistisch. „Wir wissen ja nicht, wann Corona überstanden ist“, sagt er. Im Sommer noch dachte er, es würde mit dem Fischmarkt wieder losgehen. Nun ist es November, „und vor April/Mai wird das sicher nichts“. Seine 16 Mitarbeiter, die sonst im Land unterwegs sind als Marktschreier, arbeiteten jetzt in anderen Bereichen seiner Handelsgesellschaft. Das verursacht dem Unternehmer hohe Personalkosten, „aber ich entlasse niemanden“, so Radack. „Wenn das Schiff untergeht, dann komplett.“

Interaktiv - Klinik-Monitor zur Corona-Krise

Den Fuhrpark mit zehn Lkw hat er abgemeldet. Die Fahrzeuge stehen auf dem Hof, ungenutzt, weil nicht nur der Hamburger Fischmarkt, sondern sämtliche Märkte dieser Art ausfallen. Mit einem Fischmarkt von elf bis 15 Uhr tue er sich schwer, sagt er. Auf seine Bewerbung habe er bis heute noch keine Antwort bekommen. Es ist dieses Ungewisse, das nagt. Wenn er seine Waren nicht marktschreierisch verkaufen darf, kann er das auch als normaler Marktbeschicker, leiser ohne Brimborium. „Dass es auf dem Fischmarkt nur Betrunkene gibt, ist nicht wahr.“ Dirk Radack kämpft um seine Zukunft und auch um den guten Ruf des Hamburger Fischmarkts. „Es kommen Nachtschwärmer und Touristen genau wie Gastronomen und Händler, die hier ihr Schnäppchen machen. Und wo sonst in Hamburg gibt es noch Fisch?“

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Das momentane Aus des Fischmarkts sorgt auch beim Bezirksamt für finanzielle Ausfälle. So beträgt das Defizit durch wegfallende Gebühren für dieses Jahr rund 75.000 Euro. Zum Vergleich: 2019 betrugen die Gebühreneinnahmen 422.804,30 Euro. Ob der traditionelle Fischmarkt die Krise übersteht, hänge laut Bezirksamt vom Infektionsgeschehen ab. „Eine Wiedereröffnung kann nur daran ausgerichtet werden, mit welchem Konzept man den Fischmarkt regelkonform veranstalten kann“, so Bezirksamtssprecher Mike Schlink.

Fischmarkt ohne kontrollierten Besucherzugang nicht vorstellbar

In Zeiten, in denen Kontakte vermieden werden sollten, sei ein Fischmarkt im ursprünglichen Format ohne kontrollierten Besucherzugang und mit Men­schenansammlungen nicht vorstellbar. „Perspektivisch wird sich jedoch alles öffentliche Leben wieder der Normalität nähern und daher der Fischmarkt auch zu seinen alten Zeiten und seiner alten Ausprägung zurückkehren.“

Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie:

Diejenige, die mit über die Öffnung des Fischmarktes entscheidet, ist Altonas Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne). Sie kann im Fall einer Öffnung dann ihre erste Fischmarktrunde drehen. Denn sie war noch nie dort: „Ich bin keine Nachteule, die bis in den frühen Morgen noch um die Häuser zieht. Der Sonntagmorgen ist mir heilig. Da wache ich gerne etwas später auf, trinke Tee im Bett, nutze die Zeit, um mit meinem Mann zu quatschen, und lese bis in den späten Vormittag.“

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