Hamburg. Neue Abendblatt-Serie: Was macht die Corona-Pandemie mit den Hamburgensien? Teil eins: das Miniatur Wunderland in der Speicherstadt.

Im Büro des Miniatur Wunderlandes stapeln sich Päckchen und Pakete, ständig werden neue geliefert. Im Block D in der Speicherstadt ist es überraschend wuselig, obwohl im November keine Besucher in die Modelleisenbahn kommen dürfen. Doch Frederik und Gerrit Braun nutzen die erzwungene Schließung in diesen tristen Herbsttagen für etwas, was sie schon sehr lange aufgeschoben haben: Sie renovieren. 1100 Quadratmeter Fußboden werden erneuert ebenso wie die gesamte Oberfläche des Flughafens, die nach mehr als einer Million Flugbewegungen schon etliche Macken aufweist. „Wir hatten das schon lange vor. Der Fußboden ist 20 Jahre alt“, sagt Gerrit Braun. Mit der neuen Holzoberfläche des Flughafens seien zehn Leute vier Wochen lang beschäftigt.

Im laufenden Betrieb seien diese Arbeiten nicht möglich, sind sich die beiden Chefs einig. Wenigstens in dieser Hinsicht kommt ihnen der Teil-Lockdown im November gerade recht. Denn, wenn es wieder losgehen darf, ist einiges verschönert: „Wir wollen mit Vollgas aus der Krise kommen“, sagt Frederik Braun. Er und sein Bruder haben sich den Optimismus sozusagen selbst verordnet.

Sie schreiben viele Mails an die „Wunderländer“

Die Zwillingsbrüder beschäftigen sich seit Monaten intensiv mit dem Coronavirus – aus Fürsorge für ihre Mitarbeiter, aber auch für die Besucher. „Wir sind inzwischen beide Hobbyvirologen“, scherzt Frederik Braun, denn beide informieren sich ständig über die aktuelle Lage. Gerrit Braun sagt, er habe bereits im Sommer mit dem erneuten Lockdown gerechnet – aber schon in der vierten Oktoberwoche. Er sollte fast recht behalten. Die beiden Wunderland-Chefs hatten jedenfalls schon im September eine Liste mit Arbeiten erstellt, die während einer möglichen neuen Schließung erledigt werden könnten. Und so legten sie Anfang November sofort los. Auf den Etagen wuseln viele Mitarbeiter. Einer, der sonst in der Spülküche arbeitet, schnappte sich einen der Pressluftbohrer, mit denen der alte Fußboden rausgestemmt werden musste, andere packen ebenfalls außerhalb ihres eigentlichen Einsatzgebietes mit an.

Frederik und Gerrit Braun tragen Verantwortung für derzeit etwa 320 Mitarbeiter, bislang wurde wegen Corona niemand entlassen. Sie haben in der Pandemie schon viele lange Mails an ihre „Wunderländer“ geschrieben. „Menschlich sein, nach links und rechts gucken“, sagt Frederik Braun, das sei in diesen Zeiten besonders nötig. „Wir waren schon immer eine tolle Gemeinschaft. Jetzt sind wir eine eingeschworene Einheit geworden. Das ist ein ganz großer Gewinn für die Zukunft, dass wir so zusammenstehen, darauf können wir stolz sein.“ Statt bis zu 30 Prozent seien nun leider wieder bis zu 50 Prozent der Mitarbeiter in Kurzarbeit. Die Chefs stocken das Kurzarbeitergeld auf 90 Prozent auf, bei Bedarf auch auf 100 Prozent. Letzteres hätte aber nicht einmal jeder Siebte angenommen, sagen sie. Viele haben durch die Renovierung wieder eine Beschäftigung.

Frederik Braun ist mit der staatlichen Unterstützung der Betriebe zufrieden

Frederik Braun zeigt sich mit der staatlichen Unterstützung der Betriebe überaus zufrieden: „Wir stehen im November besser da, als wenn wir mit den aktuell wenig möglichen Gästen geöffnet hätten.“ Der November sei durch die Hilfen des Staates der schönste Monat eines ansonsten schwer zu ertragenden Jahres. „Es wirkt durchdacht und hilft uns sehr, was sich die Regierung an Hilfen überlegt hat.“ Er mache sich aber große Sorgen um den Kulturbereich. „Meine Frau ist Geigerin, sie hatte in all den Monaten seit dem Frühjahr keinen einzigen Auftritt“, sagt er über die Zeit der Pandemie, „und das geht Hunderttausenden Künstlern so.“ Ähnlich prekär sei es für Diskothekenbesitzer. Für viele Teile der Kultur hätte er sich in den Sommermonaten stärkere Unterstützung gewünscht. „Was macht eine Band, die von der Hand in den Mund lebt?“, sorgt sich auch sein Bruder Gerrit.

2001 eröffnet:

  • Das Miniatur Wunderland wurde am 16. August 2001 er­öffnet und inzwischen mehrfach erweitert – die Gesamtfläche beträgt 7000 Quadratmeter. Mittlerweile gibt es in der Modelleisenbahn in der Speicherstadt neun fertige Bauabschnitte. 2016 wurde das Wunderland von Guiness World Records offiziell zur größten Modelleisenbahn der Welt gekürt, 2019 verteidigte die Touristenattraktion diesen Titel.
  • Imposante Zahlen: 1040 Züge, mehr als 10.000 Waggons, 4340 Häuser und Brücken, 9259 Autos, 130.000 Bäume und 269.000 Figuren sind auf der 1499 Qua­dratmeter großen Modellfläche verteilt. Auf der Anlage sind 13.715 Meter Gleise verlegt. 479.000 LEDs setzen die Anlage ins rechte Licht.

Wie ist es um die beliebteste Touristenattraktion Deutschlands nach mehr als sieben Monate Pandemie-Krise bestellt? „Uns geht es den Umständen entsprechend gut, aber beschissen im Vergleich zu vorher“, sagt Frederik Braun. Man habe versucht, Kosten zu sparen und dadurch einen Reparatur- und Wartungsstau erzeugt. Doch die Ausgaben mussten reduziert werden, betont er. Als das Miniatur Wunderland in den vergangenen Jahren immer neue Besucher-Rekorde verzeichnete, waren auch die Kosten exorbitant hoch. Frederik Braun spricht von etwa 16 Millionen Euro pro Jahr.

Der Notfalltopf könnte bis Mitte 2021 reichen

Durch massive Sparmaßnahmen und auch das Aussetzen von Instandhaltungsarbeiten habe man die Ausgaben während der Schließung im Frühjahr auf etwa 400.000 Euro pro Monat senken können, unter anderem auch durch das „wunderbare Kurzarbeitergeld“, sagen beide. „Wir haben dazu alles gestoppt, was man auch nächstes Jahr machen kann, und sind davon ausgegangen, dass wir mit unserem Notfalltopf bis Ende des Jahres auskommen.“ Nach der Wiederöffnung im Mai, am Ende des ersten Lockdowns, durften in der Spitze nur noch 280 Besucher gleichzeitig in die Anlage – nur ein Viertel gegenüber früher. Der Eintrittspreis wurde vorübergehend um fünf Euro erhöht auf 20 Euro (Preis für einen Erwachsenen) – „solange die Abstandsregeln so sind, wie sie sind“, sagt Frederik Braun.

Gerrit Braun (l.) und Frederik Braun packen auch selbst mit an.
Gerrit Braun (l.) und Frederik Braun packen auch selbst mit an. © Marcelo Hernandez

Der Juni sei noch mau gewesen, danach sei es aber viel besser geworden. „Normalerweise verdienen wir zwischen dem 1. Juli und 31. Oktober unser Geld. In der Zeit verschaffen wir uns einen Puffer“, sagt Frederik Braun. Auch in diesem Jahr hätten sie versucht, aus den 25 Prozent Kapazität das Beste rauszuholen. Inzwischen seien sie optimistisch, „dass der Notfalltopf sogar bis Mitte nächsten Jahres reicht“.

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Die finanziellen Herausforderungen für die große Anlage bleiben enorm. Im kommenden Jahr soll die Erweiterung im Block L ausgebaut werden. „Der Ausbau ist verlangsamt, aber wir müssen den Ausbau machen – die Lüftungsanlage und die Toiletten.“ Dafür sei eigentlich der Notfalltopf geplant gewesen. Doch den wollen sie dafür nicht antasten. „Im festen optimistischen Glauben an die Zukunft haben wir einen KfW-Kredit aufgenommen“, sagt Frederik Braun.

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