Hamburg. Zu laute Protestrufe, zu wenig Abstand, kein Mundschutz – Virologe und CDU warnen vor den Folgen des Protestes gegen Rassismus.
Kein Durchkommen mehr, kaum Abstand – und einzelne Teilnehmer ohne Atemschutzmaske: Die Großdemonstrationen gegen Rassismus in der City mit 14.000 Teilnehmern beschäftigen nicht nur weiter Experten und Behörden, sondern lassen auch Hamburger teilweise verärgert zurück. Schließlich werden Einzelpersonen bei Verstößen weiter mit Bußgeldern bestraft, die Menschenmassen am Sonnabend ließ die Stadt hingegen größtenteils gewähren. Virologen warnen davor, dass die Großdemonstration noch bittere Folgen haben könnte. Die Polizei kündigte eine Reaktion auf die Ereignisse an.
Man sei ebenso wie die Organisatoren von dem enormen Zulauf überrascht worden, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer dem Abendblatt. Selbst nach der bereits am Freitag aus dem Ruder gelaufenen Anti-Rassismus-Demo vor dem US-Konsulat habe es keine Handhabe und keinen Anlass gegeben, die Genehmigung für den eigentlich auf 525 Teilnehmer beschränkten Protest zu unterbinden.
„In der Situation am Sonnabend war es dann eine Abwägung für die Beamten vor Ort.“ Es sei richtig gewesen, die Demonstration nicht mit Zwangsmitteln aufzulösen. „Die Teilnehmer haben sich friedlich und kooperativ verhalten“, sich letztlich auch geordnet entfernt. „Dennoch müssen wir Schlüsse daraus ziehen.“
Grote will sich am Dienstag zu der Großdemo äußern
Sobald etwa eine erneute Demonstration gegen Rassismus angemeldet werden sollte, müsste genauer geprüft werden, wie auch die Versammlungsleitung die Einhaltung der Auflagen besser garantieren könne. Nach dem nun gewonnenen „Erfahrungswert“ sei erneut mit vielen Tausenden Teilnehmern zu rechnen. „Eine erneute solche Ballung von Demonstrationsgeschehen in der City wäre aus meiner Sicht nicht vertretbar“, sagt Meyer. „Möglicherweise müsste das Protestgeschehen etwa auf mehrere Standorte verteilt werden.“
Der Polizeipräsident betont, dass die Versammlungsfreiheit weiter sichergestellt werden solle und es sich beim Kampf gegen Rassismus um ein „hochaktuelles und wichtiges Thema“ handele. Auch aus der Innenbehörde heißt es, dass das Anliegen der Demonstranten legitim sei und die Reaktion der Polizei verhältnismäßig war.
Auf der anderen Seite hatte Innensenator Andy Grote (SPD) bereits eine illegale Feier in der Kneipe Zwick mit Blick auf das Infektionsrisiko als einen „GAU“ bezeichnet. Grote will sich am heutigen Dienstag erstmals zu der Großdemo äußern.
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Virologe rät zur Beschränkung der Teilnehmerzahl
Unter Corona-Experten werden die Ereignisse mit Sorge gesehen. „Grundsätzlich ist es ja schon mal gut, dass Demos unter freiem Himmel stattfinden“, sagt der renommierte Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut. In geschlossenen Räumen breite sich das Virus viel effektiver aus. Allerdings berge eine Großdemonstration auch mit Auflagen „immer eine Gefahr“.
Insbesondere durch das auf Demos übliche lautstarke Protestieren bei gleichzeitigem Unterschreiten der Abstände könnten Tröpfchen mit den Viren in die Luft geraten und so Infektionen verursachen, so Schmidt-Chanasit. „Dann hat man Verhältnisse wie bei einem Fußballspiel.“
Er rät zu einer Beschränkung der Teilnehmerzahl – einerseits, um das Infektionsrisiko zu senken, aber auch, „um im Zweifelsfall die Infektionsketten besser nachvollziehen zu können.“ Ansonsten sei das Beherzigen der üblichen Corona-Regeln ein Muss, also vor allem: Maske tragen und Abstand halten.
CDU reagierte empört auf die Bilder vom Wochenende
Nur bringe eine Maske wenig, wenn die Menschen trotzdem dicht an dicht stünden und dabei viel und laut sprächen. „Viele Menschen wiegen sich mit einer Maske in Sicherheit und vergessen dann alle anderen Vorsichtsmaßnahmen, das ist ein gefährlicher Trugschluss“, so der Virologe.
Kommen noch Ausschreitungen hinzu, wie in Hamburg geschehen, lasse sich das Risiko kaum noch kalkulieren. Zwar sei die Verbreitung des Coronavirus in Hamburg auf niedrigem Niveau. Wie die jüngsten Corona-Ausbrüche in Göttingen und Bremerhaven gezeigt hätten, reiche aber mitunter ein einzelner Infizierter, um Dutzende oder Hunderte anderer Menschen anzustecken, warnt Schmidt-Chanasit.
Die Hamburger CDU reagierte empört auf die Bilder vom Wochenende. Sie hätten eine „fatale Signalwirkung“, so Fraktionschef Dennis Thering. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß warnte gegenüber dem Abendblatt vor einem Schaden für das Vertrauen in den Rechtsstaat. „Seit vielen Wochen wird den Bürgern extrem viel zugemutet.
Zahlreiche Grundrechte sind eingeschränkt. Unternehmer müssen um ihre Existenz bangen, Schulen sind geschlossen, Verwandte und Freude dürfen sich nur begrenzt treffen – und dann sehen die Betroffenen die Bilder von Tausenden Demonstranten, die sich dicht gedrängt ohne Mundschutz versammeln, so Ploß. „Wie möchte der Senat ernsthaft für die Akzeptanz der Corona-Regeln werben, wenn er so etwas zulässt?“
Grüne solidarisieren sich mit den Teilnehmern
Die stellvertretende Chefin der Grünen-Fraktion, Mareike Engels, betonte dagegen ihre Unterstützung für die Demonstranten. „Es ist richtig und wichtig, dass dieser Protest von so vielen Menschen getragen wird.“ Auch in Corona-Zeiten bleibe das Versammlungsrecht ein hohes Gut.
„Ich habe den Eindruck, dass die meisten Menschen sehr verantwortungsvoll damit umgehen, Masken tragen und Abstand halten.“ Natürlich bleibe der Protest aufgrund des Infektionsrisikos eine Gratwanderung. „Die Veranstalterinnen der Demonstration am Sonnabend haben verantwortungsvoll gehandelt und die Demo abgebrochen, als zu viele Menschen auf zu engem Raum aufeinandertrafen.“
Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Deniz Celik, teilt diese Einschätzung und lobte die Polizei dafür, den Protest auf dem Rathausmarkt nicht geräumt zu haben. „Auch in Zukunft müssen große Demonstrationen unter Wahrung des Infektionsschutzes möglich sein.“
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Dirk Nockemann sagte, das Grundrecht zu demonstrieren, sei herausgehoben wichtig, müsse aber besonders verantwortungsvoll ausgeübt werden. „Andernfalls werden Demonstranten und Polizisten in Gefahr gebracht.“