Hamburg. Hippies, Impfgegner, Rechtsradikale, linke Politiker: Hamburgs Corona-Protest hatte auch hässliche Seiten – und einen Bösewicht.

Um kurz vor 17 Uhr ist auf dem Rathausmarkt eine bizarre Szene zu beobachten. Eine, die auf den Punkt bringt, was sich hier in den vergangenen Stunden abgespielt hat. Menschen, von denen einige aussehen wie Hippies, mit bunten Klamotten und Friedenssymbolen auf der Stirn, sitzen in selbstgemalten Kreide-Kreise und singen im Schneidersitz zuerst die „Gedanken sind frei“ und dann die deutsche Nationalhymne.

Es ist ihr Protest gegen die Corona-Regeln, meditiert haben sie dagegen auch schon. Um sie herum stehen Angehörige der vom Verfassungsschutz als linksradikal eingestuften Antifa, schwarz gekleidet und, nun ja, vermummt. Man könnte auch sagen: Sie sind mit Atem- und Nasenbedeckungen ausgerüstet, wie es zurzeit eben gewünscht ist.

Hippies an Antifaschisten: "Liebe, Liebe, Liebe"

Offenbar gibt es Pöbeleien, vielleicht sogar eine kleine Rangelei, denn plötzlich stehen die Hippies auf und skandieren. „Kein Hass, kein Hass, kein Hass“. Die Antifa-Leute antworten mit dem altbekannten Schlachtruf „Antifascista Alerta“. Darauf die Hippies im Chor: „Liebe, Liebe, Liebe“.

Das klingt nicht nur schrill, das ist es auch. Mehrere Hundert Menschen haben sich am Sonnabendnachmittag auf dem Rathausmarkt versammelt. Einige haben zuvor an separaten Kundgebungen teilgenommen, etwa an der am Gerhart-Hauptmann-Platz gestarteten Demo unter dem Motto „Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit“.

Hamburg: Corona-Demonstration am Rathaus

Das Coronavirus in Deutschland und weltweit:

Das Hamburger Bündnis gegen Rechts hatte gleich drei Demos angemeldet, eine auf dem Rathausmarkt, zwei weitere in unmittelbarer Nähe. Eine Privatperson hatte auf dem Rathausmarkt zudem eine Kundgebung mit dem Tenor „Wir sind das Grundgesetz“ angemeldet. Genehmigt hatte die Polizei diese vier Demos mit maximal 175 Teilnehmern – tatsächlich versammeln sich am Sonnabend in der Spitze vor dem Rathaus nach Polizeiangaben bis zu 1500 Menschen.

Hamburger Corona-Demo: Ein heilloses Durcheinander

Die Folge: ein heilloses Durcheinander. Die hier vertretenen politischen Positionen lassen sich zwar unterscheiden, aber kaum überschauen – sie vermengen sich auf dem Rathausmarkt zu einem diffusen Gemisch: die Hippies in ihren Kreide-Kreisen, die Antifa, die Esoteriker, die Ökopaxe, die Grundrechts-Aktivisten, die Omas gegen Rechts, die Verschwörungsfreaks mit den Aluhüten und die Sympathisanten der Bewegung „Demokratischer Widerstand“ mit den „Querdenker-Bommeln“ aus Alu um den Hals.

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Eine Frau, die sehr viel lächelt, hält eine Papptafel mit der Aufschrift „Merkel, du Fresse, Hände weg vom Rechtsstaat“ hoch, auf anderen Plakaten heißt es „Selbstbestimmung statt Impflicht“ und „Gib Gates keine Chance“. Gemeint ist der Multi-Milliardär Bill Gates, von dem die Verschwörerszene glaubt, er wolle die Menschheit zwangsimpfen und mit unter die Haut transplantierten Mikrochips versklaven.

Ein Mann läuft mit einem Holzsarg auf dem Rücken durch die Menge, darauf steht: Demokratie 2020. Viele tragen eine Ausgabe des Grundgesetzes wie eine Monstranz vor sich her, fordern ein sofortiges Ende der Corona-Einschränkungen oder schlicht „Reisefreiheit“. Und immer wieder marschieren Züge der Bereitschaftspolizei durch die Menge, um die Menschen an die Abstandsregeln zu erinnern.

Es wird pausenlos diskutiert

Aus Richtung Alster-Arkaden, wo weitere Linke ein Protestlager aufgeschlagen haben, hört man laut und bassig den Szene-Hit „Hurra die Welt geht unter“, während die Partei die Linke, unterstützt von ihrer ehemaligen Bürgerschaftsabgeordneten Christiane Schneider, ihr Banner an der Mönckebergstraße schwenkt. Vor allem aber wird diskutiert, pausenlos und überall, häufig im Zwiegespräch. Alle reden mit allen. Über die Corona-Auflagen, über die Grundrechte, viel mehr aber noch über die Gefahr einer Vereinnahmung oder Unterwanderung der (bürgerlichen) Corona-Proteste durch Rechtsextreme - die Sicherheitsbehörden warnen zurzeit eindringlich davor.

Und dann tauchen tatsächlich ein paar bekannte und weniger bekannte Rechtsextreme auf, die Polizei spricht von rund 40, darunter auch der Hamburger NPD-Chef Lennart Schwarzbach.

NPD-Mann wirkt auf Demonstranten wie Adrenalin

Auf die linke Szene wirkt allein Schwarzbachs Anwesenheit wie Adrenalin. Die Lage spitzt sich zu, doch bevor sie eskalieren kann, geleiten Polizeibeamte den Rechtsextremen vom Rathausmarkt, angeblich zum Bahnhof Jungfernstieg. Doch damit endet es nicht: Immer wieder liefern sich Linke und Rechte einen buchstäblichen Schlagabtausch.

Irgendwann fliegt eine Flasche, ein Mann erleidet eine blutende Verletzung an der Schläfe und wird mit dem Rettungswagen abtransportiert. Die ohnehin geladene Stimmung droht zwischendurch zu kippen. Um die Gruppen zu trennen, setzt die Polizei sogar Pfefferspray ein.

Gegen 18 Uhr hat der Spuk ein Ende, die meisten Demonstranten haben den Rathausmarkt bereits verlassen. Eins ist sicher: Es wird nicht die letzte Versammlung dieser Art sein.