Welche Rolle kommt Zeitungen in einer Demokratie und gerade in Corona-Zeiten zu? Ein Beitrag von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde des Hamburger Abendblatts,
normalerweise gehen wir an dieser Stelle auf Ihre Wünsche oder Kritik ein, berichten aus dem Redaktionsalltag in Corona- oder anderen Zeiten. Heute wollen wir ausnahmsweise einmal nicht nicht einen Text von uns über uns veröffentlichen – sondern einen bemerkenswerten Beitrag über Journalismus in Deutschland. Er stammt von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), wurde auf ihrer Internetseite auch als Video veröffentlicht. Angela Merkel sagt dort Folgendes über Journalismus im Allgemeinen und Zeitungen im Besonderen:
Angela Merkel über Pressefreiheit in der Corona-Krise
„Vor 75 Jahren wurden die ersten Zeitungen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet. In unserem Grundgesetz aus dem Jahr 1949 heißt es im Artikel 5: „Die Pressefreiheit wird gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Das war alles andere als selbstverständlich nach der Zeit des Nationalsozialismus. In dieser Zeit wurden Journalistinnen und Journalisten mundtot gemacht, eingesperrt und sogar ermordet. Und auch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg kam nur dem westlichen Teil die Pressefreiheit zugute. In der DDR gab es keine Pressefreiheit. Wir wissen auch heute aus autoritären Regimen, dass, wenn sie an die Macht kommen, zuallererst die Pressefreiheit unterdrückt wird und der freie Journalismus nicht mehr stattfinden kann.
Was macht eine freie Presse für eine Demokratie wichtig?
Umso bedauerlicher ist es, wenn auch bei uns in unserer demokratischen Gesellschaft Reporter und Journalisten angegriffen werden. Man kann sagen: Wie es um die Pressefreiheit steht, das zeigt und ist ein Gradmesser, wie es um unsere Demokratie insgesamt steht. Deshalb müssen wir alle einstehen für einen freien Journalismus und eine freie Arbeit der Journalistinnen und Journalisten.
Wer die Freiheit liebt, dem ist eine freie Presse auch unverzichtbar. Freiheit bedeutet auch immer, die Meinungen und Überzeugungen anderer wahrzunehmen und wertzuschätzen. Und das bedeutet gleichzeitig, das eigene Denken und alte Gewissheiten immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Journalistinnen und Journalisten müssen die Regierung und alle politischen Akteure einem kritischen Blick unterziehen können. Eine Demokratie braucht Fakten und Informationen. Sie muss zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden.
Gut recherchierte Informationen sichern die Meinungsbildung
Es muss möglich sein, aus verschiedenen Perspektiven die Realität zu sehen und daraus die entsprechenden Meinungen zu formen. Dies gilt auch ganz besonders in der aktuellen Lage, im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Gerade in dem Zusammenhang sind gut recherchierte Informationen für uns alle von großer Wichtigkeit.
Dies sind häufig Informationen, die auch sehr komplex sind und deshalb durch Journalistinnen und Journalisten aufbereitet und einfach und nachvollziehbar dargestellt werden können. Das ist für die Meinungsbildung in unserer Gesellschaft von herausragender Bedeutung.
Demokratie braucht Öffentlichkeit, in der gestritten werden kann
In Zeiten der Pandemie kritisieren manche wieder, die Presse bilde nicht das ganze Meinungsspektrum ab. Ich sehe das nicht so. Im Gegenteil. Jeden Tag lernen wir dazu, die Wissenschaft vor allem, und sie versorgt uns mit neuen Erkenntnissen. Dass wir das verstehen und dass viele Menschen davon erfahren, das ist absolut wichtig. Dafür sorgen die Medienangebote, die öffentlich-rechtlichen genauso wie die privaten, die analogen genauso wie die digitalen Medienangebote.
Eine Demokratie braucht Öffentlichkeit. Sie braucht einen Raum, in dem wir uns gemeinsam über unsere Gesetze, aber auch über unsere Werte verständigen können. Sie braucht eine Öffentlichkeit, in der gestritten werden kann und verschiedene Meinungen ausgetragen werden können, um daraus gemeinschaftliche Lösungen zu entwickeln. Das setzt Toleranz gegenüber der Meinung des anderen voraus. Das setzt aber auch voraus, gegenüber der eigenen Meinung Kritik einstecken zu können.
Wenn wir das alles beherzigen, dann wird unsere offene Gesellschaft zu den besten Lösungen finden. Dass wir mittlerweile über 70 Jahre Pressefreiheit haben, das kann uns mit Stolz, aber auch mit Dankbarkeit erfüllen. Es ist uns aber auch eine Aufforderung, jeden Tag aufs Neue dafür Sorge zu tragen, dass Journalistinnen und Journalisten Möglichkeiten der freien Arbeit haben und dass wir diese Arbeit achten, schätzen und unterstützen.